21.11. – 23.11.2013, 9.30 – 16.00 Uhr
im Gästehaus der Universität (Rothenbaumchaussee 34)
- für die Teilnahme am Kongress ist eine vorherige Anmeldung erforderlich -
Übersicht der Panels
20.11. (Eröffnung)
21.11. 22.11. 23.11.
Programm als pdf
"Die Sünderin" (BRD 1950, Willi Forst). Hildegard Knef und Gustav Fröhlich
Quelle: Filmmuseum Berlin - Deutsche Kinemathek
Überwachen, beschneiden, verbieten: Seit es das Kino gibt, sahen sich staatliche Behörden, Kirchenvertreter, Pädagogen und Interessenverbände genötigt, dem einflussreichen Massenmedium inhaltliche und ästhetische Grenzen zu setzen. Die Suggestivkraft des Films barg in ihren Augen ein breit gefächertes Gefahrenpotential für Publikum, Gesellschaft und Staat. Als gefährdet galten im Lauf der Zeit nicht nur die seelische und moralische Verfassung der Zuschauer sondern auch die »öffentliche Ordnung«, die außenpolitischen Beziehungen, der »Wehrwille der Volksgemeinschaft«, die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« und der »Aufbau des Sozialismus«. Die erforderlichen Präventionsmaßnahmen reglementierten die Arbeit von Filmproduzenten, Verleihern und Kinobesitzern. Die Praxis entwickelte sich von der Visitation der Wanderkinos durch den Ortspolizisten über die Erteilung von Zensurkarten durch zentrale Prüfstellen bis zu ausgefeilten Systemen staatlicher Produktionsüberwachung und »freiwilliger Selbstkontrolle« der Filmwirtschaft.
Doch die Arbeit der Zensurbehörden stieß auch regelmäßig auf Kritik, weil ihre gesetzlichen Grundlagen meist große Interpretationsspielräume boten und die von ihnen unterstellten Filmwirkungen letztlich auf Spekulation beruhten. Die internen oder öffentlichen Auseinandersetzungen darum, in welcher Form Schattenseiten der sozialen Realität oder heikle Themen wie Erotik, Gewalt und Religion auf der Leinwand erscheinen durften, spiegelten und beeinflussten zugleich die gesellschaftlichen und politischen Diskurse der Zeit. Die offizielle Festlegung des Nicht-Darstellbaren hatte nicht zuletzt entscheidende Auswirkungen auf Erzählstrategien und Bildsprache deutscher und europäischer Regisseure, die sich in diesen Grenzen einrichteten oder sie zu überschreiten versuchten.
Cinefest 2013, das von CineGraph (Hamburg) und Bundesarchiv-Filmarchiv (Berlin) veranstaltete X. Internationale Festival des deutschen Film-Erbes und der 26. Internationale Filmhistorische Kongress verfolgen die Entwicklung der Filmzensur in Europa im 20. Jahrhundert anhand ausgewählter Aspekte der deutschen, österreichischen, tschechoslowakischen und britischen Filmgeschichte. Im Fokus stehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Funktion, Struktur und ideologischer Ausrichtung der Filmkontrolle in verschiedenen politischen Systemen. Da Zensurvorgänge meist Aushandlungsprozesse zwischen unterschiedlichen Interessen waren, sind die Motive und Strategien der daran Beteiligten von besonderem Interesse. Dabei beschränken cinefest und Kongress ihre Perspektive nicht auf den Bereich der »klassischen« Zensur, sondern nehmen auch andere Formen der Einflussnahme auf Filmproduktion, -distribution und -aufführung wie Einfuhrverbote und die Bearbeitung von Synchronfassungen durch Verleiher in den Blick.
Ein einführendes Panel skizziert exemplarisch Geschichte und Funktionsweise unterschiedlicher Zensurmodelle: Die Freiwillige Selbstkontrolle der bundesdeutschen Filmwirtschaft (FSK) und ihre durch das »Dritte Reich« gebrochene Traditionslinie zur Filmzensur der Weimarer Republik, das britische BBFC und den Wandel seiner Prüfpraxis von »Censorship« zu »Classification« sowie die umfassende Kontrolle der DEFA-Produktion durch Partei und Staat.
Die Verhältnisse in der Stummfilmzeit beleuchten zwei Panels zum deutschsprachigen Kino. Einblicke in die österreichische Zensurpraxis geben Vorträge zum Umgang der Polizeibehörden mit den erotischen »Herrenabend-Films« der Wiener Saturn-Film (1906–11) sowie zur Kontrolle von öffentlich aufgeführten Amateurfilmen (1927–38). Die Umsetzung des Reichslichtspielgesetzes von 1920 in der Weimarer Republik durch die Filmprüfstellen wird anhand von neu entdeckten Zensurausschnitten in ihrer »sittlich-moralischen« Argumentation und anhand von Partei- und Wahlwerbefilmen in ihrer politischen Ausprägung untersucht.
Zwei Panels zum Kino in der Bundesrepublik veranschaulichen die erstaunliche Bandbreite der möglichen Eingriffe und Gegenmaßnahmen, denen Filme im Laufe ihrer Herstellung und Verwertung ausgesetzt sei konnten. Ein eher unbekanntes Kapitel ist die Rolle der Verleihfirmen als »Zensoren« ausländischer Filme, die durch Schnitte und Dialogverfälschungen in der Synchronisation auf den vermuteten Publikumsgeschmack und den Kriterienkatalog der FSK zugerichtet wurden. Ein Extrembeispiel ist der Umgang mit Michael Curtiz’ Casablanca, dessen Verstümmelung zum »nazifreien« Abenteuerfilm in der Synchronfassung von 1952 im Vergleich mit der 1947 für das italienische Kino erfolgten Umarbeitung analysiert wird. Ein Überblick über die bundesdeutschen Fassungen der Filme von Luchino Visconti verdeutlicht dagegen besonders die unterschiedlichen Beweggründe für die durch Verleiher und FSK vorgenommenen Änderungen. Den Augen der Öffentlichkeit noch stärker entzogen war lange Zeit der bonner »Interministerielle Ausschuss für Ost-West-Filmfragen«, der sich präventiv mit ausländischen Filmen beschäftigte: Seine – vom Grundgesetz nicht gedeckte – Arbeit bestand in der Verhinderung des Imports von »verfassungsgefährdenden« Produktionen aus den Ländern des Ostblocks. Auch drastisch dargestellte Religionskritik in Filmen wie Das Gespenst war noch in den 1980er Jahren nicht nur für die FSK problematisch, sondern provozierte sogar Demonstrationen, Strafanzeigen, Gerichtsverhandlungen und das Einfrieren von Fördergeldern durch den Bundesinnenminister.
Ein Panel zur Filmproduktion in der DDR und der Tschechoslowakei konzentriert sich auf historische Situationen, in denen die Machthaber die Notwendigkeit eines filmpolitischen Kahlschlags sahen. Drei Vorträge analysieren vergleichend Ausgangslage, Mechanismen und Folgen der Filmkonferenz in Banská Bystrica 1959, des 11. Plenums des ZK der SED im Dezember 1965 und der Zensurwelle nach der Niederschlagung des Prager Frühlings.
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Mittwoch, 20.11.
Metropolis Kino (Kleine Theaterstr. 10)
17:00
Tři přání (Drei Wünsche) (CS 1958, Ján Kadár, Elmar Klos), 96 Min, OmU
19:30
Kongress-Eröffnung mit Gästen und Verleihung der Willy-Haas-Preise
Durch den Abend führt Johannes Roschlau
Eröffnungsfilm:
Die Taube auf dem Dach (DDR 1972/73, Iris Gusner), 82
zu Gast: Iris Gusner
Im Anschluss laden wir zu einem Umtrunk ein.
Donnerstag, 21.11.
09:30
Begrüßung
09:45 – 12:45
Panel 1: ZENSUR IN EUROPA: MODELLE UND STRUKTUREN
Martin Loiperdinger, Trier: Von Preußens Polizeizensur zur Freiwilligen Selbstkontrolle. Kontinuitäten und Brüche der deutsche Zensurgeschichte
Günter Jordan, Kleinmachnow: Seine Hoheit Genosse Staat. Filmzensur in der DDR
Julian Petley, London: Classifier or Censor? The BBFC at Work
14:00 – 16:00
Panel 2: ÖSTERREICH: VOYEURE UND AMATEURFILMER
Michael Achenbach/ Thomas Ballhausen, Wien: »Wiener Sujets«. Zur Erfolgs- und Zensurgeschichte der Saturn-Film
Paolo Caneppele, Wien: Schmalfilme, schmal zensuriert? Die Zensurpraxis der Amateur- und Schmalfilme 1928-1938
Filmprogramm vom 21.11.
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Freitag, 22.11.
09:30 – 11:30
Panel 3: WEIMARER REPUBLIK: MORAL UND POLITIK
Anna Bohn, Berlin: Entsittlichend – verrohend – anstößig. Auf der Spur deutscher Zensurdokumente in russischen Archiven
Georg Eckes, Frankfurt/Main: Politische Filme – Politische Zensur? Die SPD als Filmproduzentin und Zensurgesetzgeberin
13:00 – 16:00
Panel 4: KAHLSCHLÄGE: ZENSURWELLEN IM OSTBLOCK
Ivan Klimeš, Prag: Die Leistungsschau als Tribunal. Das Festival des tschechoslowakischenFilms in Banská Bystrica 1959
Ralf Schenk, Berlin: Die Falken und die Tauben. Fünf Fehler beim Nachdenken über das SED-Verbotsplenum 1965
Milan Klepikov, Prag: Eine Galgenfrist. Die aufgeschobene, aber unvermeidbare Wiedereinführung der tschechoslowakischen Filmzensur nach 1968.
Filmprogramm vom 22.11.
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Sonnabend, 23.11.
09:30 – 12:30
Panel 5: FILMIMPORT: VERLEIHER ALS »ZENSOREN«
Carla Mereu Keating, Reading: »You Must Not Remember This.« Burying the past in the italian post-war edition of Casablanca
Joseph Garncarz, Köln: »nicht zur Vorführung in Deutschland geeignet.« Signifikante Filmvariationen durch bundesdeutschen Verleiher in den 1950er Jahren
Francesco Bono, Rom: »Wer den Film in der Bundesrepublik gesehen hat, hat ihn nicht gesehen.« Zu den (west-)deutschen Fassungen der Filme Viscontis.
13:30 – 15:30
Panel 6: BUNDESREPUBLIK: OST-PROGANDA UND RELIGIONSKRITIK
Andreas Kötzing, Leipzig: »Der Bundeskanzler wünscht einen harten Kurs«. Filmzensur durch den Interministeriellen Ausschuss für Ost/West-Filmfragen
Ursula von Keitz, Konstanz: Zwischen Himmel und Hölle. Zum Provokationspotential des Religiösen in Filmen der 1970er und 1980er Jahre
Filmprogramm vom 23.11.
Filmprogramm vom 24.11.
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Der 26. Internationale Filmhistorische Kongress ist integraler Bestandteil des X. Cinefest – Internationales Festival des deutschen Film-Erbes (16.–24.11.).
Die Vorträge des Kongresses werden in überarbeiteter Form anschließend in einem CineGraph Buch veröffentlicht.
Konzeption: Johannes Roschlau
Beratung: Hans-Michael Bock, Karl Griep, Milan Klepikov, Julian Petley
Organisation: Erika Wottrich
Coordination Bundesarchiv-Filmarchiv: Roland Foitzik
Weitere Informationen bei:
CineGraph e.V., Schillerstr. 43, 22767 Hamburg
Tel.: +49-(0)40-352194, Fax: +49-(0)40-345864
email: kongress(at)cinegraph.de
Kontakt: Johannes Roschlau, Erika Wottrich
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