Eine Galgenfrist. Die aufgeschobene, aber unvermeidbare Wiedereinführung der tschechoslowakischen Filmzensur nach 1968
Die politisch brisantesten Filme des sogenannten Prager Frühlings hatten bis auf wenige Ausnahmen eines gemeinsam: Sie waren zum Zeitpunkt des Einmarschs der Truppen des Warschauer Paktes im August 1968 nicht fertig. Dennoch durfte ein großer Teil von ihnen sowohl eine offizielle Premiere erleben als auch eine reguläre Kinoauswertung, die Verbotswelle kam erst viel später. Die erste Feststellung ist leicht zu erklären: die Produktionsszeit eines Langspielfilms – zumal in einem planwirtschaftlichen System – ist langwierig , besonders in Zeiten der überstürzten politischen Enwicklungen hinkt der Film der aktuellen Lage zwangsläufig hinterher, und diese Verzögerung zeitigt viele Paradoxien.
Zur zweiten Feststellung muss man weiter ausholen. Die Russen waren zwar seit August 1968 im Lande, aber eine sowjettreue Regierung aus tschechischen und slowakischen Repräsentanten konnte nicht – noch nicht – gebildet werden. Alexander Dubček war zwar über Nacht vom Hoffnungsträger zu einer tragischen, machtlosen Figur geworden, er blieb aber noch acht Monate lang an der Spitze der Nomenklatura. Auch nach seiner Ersetzung durch Gustav Husák kommt die sogenannte „Normalisierung“ nur zaghaft, ja geradezu schleichend voran, so dass sich vor allem auch unter den Künstlern lange Zeit falsche Hoffnungen halten können. Die Reformer werden auch im Filmbereich nicht von heute auf morgen, sondern sehr langsam, in vielen Etappen, aus ihren Ӓmtern gedrängt. So kann es zu Fällen kommen, dass ein gerade erst aus den Kinos genommener „Problemfilm“ zur gleichen Zeit noch einen heimischen Preis gewinnen kann und im Ausland vorgeführt werden darf.
Für die spätere Zeit, als das sowjethörige Husák-ZK schon alle wichtigen Ӓmter kontrolliert, gilt es sehr genau zu unterscheiden: Welcher Film wurde zu einem tatsächlichen Tresorfilm (also unwiderruflich verboten), welche Filme wurden nur behindert oder zeitweilig aus dem Programm genommen und warum, in welchen Phasen? Die Dubček-Zeit wurde offiziell Krisenzeit genannt und scharf verurteilt, doch die filmischen Kinder des Prager Frühlings erfuhren keine Gleichbehandlung, auf einige widersprüchlichen Falle möchte ich hinweisen. Einem richtigen Ostblock-Klassiker steht es gut an, einmal verboten gewesen zu sein, doch einige Klassiker führen dieses Adelszeichen zu Unrecht.