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27. Internationaler Filmhistorischer Kongress

GEGEN?ÖFFENTLICHKEIT!
Neue Wege im Dokumentarischen


20.11. – 22.11.2014, 9.30 – 16.00 Uhr
im Gästehaus der Universität (Rothenbaumchaussee 34)
- für die Teilnahme am Kongress ist eine vorherige Anmeldung erforderlich -

Übersicht der Panels
Mittwoch 19.11. (Eröffnung) | Donnerstag 20.11. | Freitag 21.11. | Sonnabend 22.11.

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c/o: Günter Zint


Die Studentenrevolte 1968 veränderte die bundesdeutsche Gesellschaft tiefgreifend. Plötzlich wurde der konservative Obrigkeitsstaat grundlegend in Frage gestellt. Die 1960er Jahre brachten beiden deutschen Staaten eine Infragestellung ihres politischen Systems. Es entstanden Protestbewegungen, die in ihrer Aufmüpfigkeit das gesellschaftliche Klima bestimmten. Nach einer Entpolitisierung der Gesellschaft ist seit der Jahrtausendwende das Interesse – insbesondere von Jugendlichen – an Alternativen zum kapitalistischen System wieder gewachsen und Proteste gegen die totale Unterwerfung unter die Ökonomie mehren sich.

Diese gesellschaftlichen Umbrüche veränderten auch den Dokumentarfilm inhaltlich, technisch, ästhetisch, konzeptionell. Wurde er vor 1960 überwiegend mit schweren 35mm-Kameras gedreht, revolutionierten handliche 16mm-Kameras mit synchronem Ton die Näherung an die Wirklichkeit. Jede Inszenierung war verpönt. Man behauptete, die Realität wirklich zu zeigen. Dabei übersah man geflissentlich, dass der Dokumentarfilm ein künstlerisch gestaltetes Produkt blieb. Er lebt von seinem Autor, der Wahl des Sujets und der Montage, bei der aus vielen Stunden Filmmaterial der Dokumentarfilm herausdestilliert wird.

In den 1970er Jahren entstanden Medienkooperativen und Videogruppen, die dezidiert das Ziel hatten, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Denn über die Ziele der Protestbewegungen berichteten bürgerliche Medien nicht oder nur verzerrt. Nach Zeitungsprojekten entstanden zunächst im universitären Umfeld Radio- und Filmgruppen. Sie nutzten Videokameras, mit denen ganz anders gedreht werden konnte. Um ihre Produktionen der alternativen Öffentlichkeit zeigen zu können, wurden neue Vertriebsstrukturen geschaffen. Die Videogruppen verstanden sich als Teil der Bewegung und hatten überhaupt nicht den Anspruch, objektiv über Hausbesetzungen, Proteste gegen Atomkraftwerke oder die Friedensbewegung zu berichten.

cinefest 2014, das von CineGraph (Hamburg) und Bundesarchiv (Berlin) veranstaltete XI. Internationale Festival des deutschen Film-Erbes und der 27. Internationale Filmhistorische Kongress, stellen diesmal den Dokumentarfilm als »Gegenöffentlichkeit« in den Mittelpunkt. Inhaltlich beraten wurden sie vom DFG-Projekt zur Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland nach 1945, das an den Universitäten Hamburg und Potsdam sowie dem Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms angesiedelt und Mitveranstalter ist.

Jeder soll Filme machen können
Auf dem Kongress liefert das 1. Panel theoretische Grundlagen, denn die Videobewegung bezog sich auf Vorläufer der Weimarer Republik. Bert Brecht forderte in seiner Radiotheorie die Partizipation der Hörer am Programm: »Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln.«  Einflussreich waren sowjetische Filmtheoretiker wie Dziga Vertov oder Sergej Tretâkov, die eine kollektive Produktion ohne Hierarchie forderten. Die Montage sollte Zusammenhänge aufdecken. 1964 veröffentlichte Hans Magnus Enzensberger seine kritische Analyse der »Bewußtseins-Industrie«. Oskar Negt und Alexander Kluge stellten 1972 in »Öffentlichkeit und Erfahrung« der bürgerlichen eine proletarische Öffentlichkeit gegenüber. Auf der Duisburger Filmwoche stritten Klaus Kreimeier und Klaus Wildenhahn, inwieweit man im Dokumentarfilm inszenieren darf. 

»Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv«
Der deutsche Dokumentarfilm wurde stark beeinflusst von Debatten und Konzepten aus dem Ausland. Im 2. Panel soll dies am Beispiel von England und Frankreich diskutiert werden. Die Internationalität war ein Kennzeichen der Videogruppen und Medienzentren, deren Geschichte im 3.Panel nach einem Überblick der technischen Rahmenbedingungen im Detail vorgestellt werden sollen. Viele ihrer Filme begleiteten die Protestbewegungen und nahmen eindeutig Stellung. Dieser partizipative Ansatz zeichnet bis heute die alternative Medienarbeit aus. Vor allem das Internet ermöglicht nun eine globale Vernetzung und eine Aktivierung vor Ort.

Freund und Feind Fernsehen
Die Gegenöffentlichkeit schuf sich schon damals eigene Strukturen, wie im 4. Panel am Beispiel von Hamburg gezeigt werden soll. Selbst wenn das Selbstverständnis der Gruppen sich als Gegenöffentlichkeit definierte, kam es punktuell zur Zusammenarbeit mit Redaktionen öffentlich-rechtlicher Sender. Dies Verhältnis von Distanz und Nähe soll am Beispiel des NDR vorgestellt werden.

»Wir sind das Volk«
In der DDR gab es keinen Spielraum für Protestbewegungen. Und doch kann man sich wundern, wie offen einige der Protagonistinnen und Protagonisten in den Dokumentarfilmen der DEFA über die wirklichen Verhältnisse im realen Sozialismus sprechen. Diese Aussagen durchliefen ein ausgeklügeltes System der Kontrolle. Das 5. Panel diskutiert die Sonderstellung der Amateurfilmstudios, die gewisse Freiheiten genossen. Dass in der DDR ein kritisches Potential existierte, bewiesen die zahlreichen Dokumentarfilme zur Wende. Ein Seismograph der Befindlichkeiten des Volkes.

»Mein Bauch gehört mir«
Auch im Westen gab es gesellschaftliche Veränderungen. Exemplarisch wird dies im 6. Panel an der Frauenbewegung aufgezeigt, die zunächst gegen den § 218 kämpfte, der Abtreibung unter Strafe stellte. Daraus erwuchs ein neues Selbstbewusstsein, das in Dokumentarfilmen von Frauen deutlich wird; sie boten Alternativen zu einer von Männern dominierten Gesellschaft. Dies Vorbild ermutigte Schwule und Lesben, für ihre Interessen und gesellschaftliche Anerkennung zu kämpfen. Sie waren erfolgreich und sind heute ebenso wie die damaligen Protestbewegungen ein selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft.              



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Programm


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Mittwoch, 19.11.


Metropolis-Kino (Kleine Theaterstr. 10)

17:00
Obrazy starého sveta (Bilder einer alten Welt, CS 1972, Dušan Hanák), 79 min, OmU
Gast: Dušan Hanák

19:30
Kongress-Eröffnung mit Verleihung der Willy Haas-Preise
Eröffnungsfilme:
Ihre Zeitungen (D 1968, Harun Farocki, Regie-Assistenz: Helke Sander), 18 min
Das ist nur der Anfang – der Kampf geht weiter (BRD 1968/69, Claudia von Alemann), 45 min
Gast: Claudia von Alemann

Im Anschluss laden wir zu einem Umtrunk ein.



Kongress im Gästehaus der Universität (Rothenbaumchaussee 34)


Donnerstag, 20.11.


9:30
Begrüßung

9:45 - 12:45
Panel 1: GRUNDLAGEN: DOKUMENTARFILM, ÖFFENTLICHKEIT & ERFAHRUNG
Thomas Weber, Hamburg: Gegenöffentlichkeit, unanschaulich. Eine Einführung in die Inanspruchnahme des Begriffs
Klaus Kreimeier, Berlin: Gegenöffentlichkeit? - Achtundsechzig: Die wilden Anfänge
Britta Hartmann, Bonn: Die Kreimeier-Wildenhahn-Debatte, 25 Jahre später. Eine Nachlese

14:00 - 16:00
Panel 2: INTERNATIONALE VORBILDER: PROTESTE & VERNETZUNG
Julian Petley, London: Taking Sides. The Documentary and Industrial Conflict in 1970s and 1980s Britain
Thomas Tode, Hamburg: Gegenöffentlichkeit in Frankreich: Der Fall Chris Marker

Filmprogramm vom 20.11.

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Freitag, 21.11.


9:30 - 12:30
Panel 3: GEGENÖFFENTLICHKEIT: VIDEOGRUPPEN & PROTESTBEWEGUNGEN
Kay Hoffmann, Stuttgart: Die Technik verändert den Dokumentarfilm. Neue Formen durch synchrone 16mm- und Video-Kameras
Wolfgang Stickel, Freiburg: Videobewegung und Bewegungsvideos. Politische Videoarbeit der Medienwerkstatt Freiburg in den 1980er Jahren
Malte Voß, Berlin: Videoaktivismus und Social Media – politische orientierte Medienarbeit mit Video im Web 2.0

14:00 - 16:00
Panel 4: HAMBURGER MEDIENLANDSCHAFT: ALTERNATIV & ETABLIERT
Gerd Roscher, Hamburg: Wir machen unsere Filme selbst! Basiskultur und Gegenöffentlichkeit in den siebziger Jahren
Christian Hißnauer, Göttingen: Aus dem Fernsehspiel geboren: Die dokumentarischen Ansätze Klaus Wildenhahns und Eberhard Fechners


Filmprogramm vom 21.11.

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Sonnabend, 22.11.


9:30 - 11:30
Panel 5: KEIN WIDERSPRUCH: SUBVERSIVITÄT & DDR
Ralf Forster, Berlin: Grenzen ausloten, Freiräume schaffen: Kritische Tendenzen im DDR-Amateurfilm
Matthias Steinle, Paris: Zwischen Ich will ein Fremder bleiben (1990) und Ausgerechnet Bananen (1991). Wechselseitige Blicke von Ost und West in Wendedokumentarfilmen

13:00 - 15:00
Panel 6: KAMPF UM ANERKENNUNG: FEMINISMUS & SCHWUL-LESBISCHE BEWEGUNG
Ursula von Keitz, Potsdam: Die bewegte Frau. Feminismus in den 1970ern und ‘80er Jahren
Daniel Kulle, Hamburg: »Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!« Film und die Schwulenbewegung der 1970er Jahre

15:15 - 16:00
Abschlussdiskussion

Filmprogramm vom 22.11.
Filmprogramm vom 23.11.

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Der 27. Internationale Filmhistorische Kongress ist integraler Bestandteil des XI. Cinefest – Internationales Festival des deutschen Film-Erbes (15.–23.11.).

Die Vorträge des Kongresses werden in überarbeiteter Form anschließend in einem CineGraph Buch veröffentlicht.


Konzeption: Hans-Michael Bock, Kay Hoffmann, Erika Wottrich, Swenja Schiemann
Beratung: Karl Griep,Thomas Weber, Ursula von Keitz, Christian Lehmann-Feddersen, Johannes Roschlau, Julian Petley

Organisation: Erika Wottrich
Coordination Bundesarchiv-Filmarchiv: Roland Foitzik


Der Kongress findet statt in Zusammenarbeit mit dem DFG-Projekt »Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland (1945-2005)«.

Weitere Informationen bei:
CineGraph e.V., Schillerstr. 43, 22767 Hamburg
Tel.: +49-(0)40-352194, Fax: +49-(0)40-345864
email: kongress(at)cinegraph.de
Kontakt: Erika Wottrich, Swenja Schiemann

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Rückblick auf den 26. Internationalen Filmhistorischen Kongress
Rückblick auf den 25. Internationalen Filmhistorischen Kongress
Rückblick auf den 24. Internationalen Filmhistorischen Kongress
Rückblick auf den 23. Internationalen Filmhistorischen Kongress
Rückblick auf den 22. Internationalen Filmhistorischen Kongress
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Rückblick auf die Kongresse 1989-2004

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