Gegenöffentlichkeit? - Achtundsechzig: Die wilden Anfänge
Der relativ neue Begriff »Gegenöffentlichkeit«, sagen die Soziologen, beschreibt einen sehr alten Sachverhalt: Demonstrationen gab es schließlich schon in der Antike. Zu prüfen ist allerdings die Karriere des Begriffs seit den 1970er Jahren, im Kontext gefestigter demokratischer Gesellschaften und vor dem Horizont eines entwickelten Medienpanoramas, vor allem der zentralen Rolle des Films. Gerade in diesem Jahrzehnt bauen die »sozialen Bewegungen«, die aus dem Aufbruch von 1968 hervorgegangen waren, ihre Produktions- und Vertriebsstützpunkte auf, die keineswegs nur ihre eigene politische Klientel erreichen, sondern auch erfolgreich einen Anschluss an das herrschende Mediensystem suchen. Zahlreiche Arbeiten linker Film- und Videogruppen nach 1970 werden von den Fernsehanstalten finanziert oder ko-finanziert – zu einer Zeit, als »das Fernsehen« im linken Diskurs noch als Bastion der Herrschenden keinen besonders guten Ruf hatte. »Gegenöffentlichkeit« ist zu dieser Zeit nur noch ein Kampfbegriff. Anders die Konstellation in den »wilden Jahren« 1967-1969: Erstmals in der Bundesrepublik sah sich eine demokratische Protestbewegung dem Staat als einem Machtblock konfrontiert, der zudem auf den Protest mit einem zuvor ungeahnten Ausmaß physischer Gewalt reagierte. Etliche Filme, die (zumal an der Berliner DFFB) im Kontext der Schüsse auf Ohnesorg und Dutschke oder der Kampagne gegen Springer entstanden, reflektieren ein Samisdat-Bewusstsein: die Überzeugung, gegen die Medienmacht einer feindlichen Öffentlichkeit einen Freiraum zu erkämpfen. Zumindest subjektiv war der Begriff »Gegenöffentlichkeit« legitim. Aber zu dieser Zeit gab es ihn noch nicht.