Aus Anlass der 100. Wiederkehr der Gründung der
Weimarer Republik wollen CineGraph und Bundesarchiv an Joe May
(1880-1954) erinnern, einen der wichtigsten Filmschaffenden des Weimarer
Kinos.
Der in seiner breiten Wirkung eher Vergessene war nicht nur
Regisseur einiger bedeutender Filme der 1920er und frühen 1930er Jahre,
sondern auch Produzent, Atelierbetreiber, Erfinder zahlreicher
Genre-Serien sowie Entdecker und Förderer von Talenten.
Der 1911 in
Hamburg durch seine Frau, die Operettendiva Mia May (1884-1980) zum Film
gekommene Wiener, versuchte in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg als
Regisseur, Autor und Produzent u.a. mit »May's Preisrätsel im Film«, mit
Mia-May-Melodramen und Detektiv-Serien ein bürgerliches Publikum zu
erreichen. Von den wenigen erhaltenen Filmen dieser Epoche werden der
Stuart Webbs-Film DER MANN IM KELLER (1914, Johannes Guter) und DAS
ROLLENDE HOTEL (1918/19, Harry Piel) mit dem Gentleman-Detektiv Joe
Deebs gezeigt.
Der Großfilm VERITAS VINCIT (DIE WAHRHEIT SIEGT!)
(1918/19), entstand – mit Mia May in der Hauptrolle – im Rahmen der
neugegründeten Ufa. Die Filmtrilogie ist
ein (vergessenes) deutsches Gegenstück zu D. W. Griffiths INTOLERANCE
(1916 USA), der erst Jahre später in Deutschland herauskam.
Für seine
May-Film GmbH führte er 1919 im eigenen Atelier Berlin-Weißensee und in
der Filmstadt Woltersdorf die Oberleitung für die weltumspannende
Abenteuerserie DIE HERRIN DER WELT, von deren 8 selbständigen Teilen das
METROPOLIS-Vorbild und Afrika-Abenteuer OPHIR, DIE STADT DER
VERGANGENHEIT und die Medien-Satire DIE FRAU MIT DEN MILLIARDEN – beide
unter der Regie von Uwe Jens Krafft – päsentiert werden.
Zu den
jungen Mitarbeitern dieses Projekts zählte auch Fritz Lang, dem May 1920
die Regie zum Mia May-Melodram DAS WANDERNDE BILD übertrug. Das Drehbuch
schrieb Lang mit seiner späteren Ehefrau Thea von Harbou. Beide waren
auch 1921 die Autoren zum exotischen 2-Teiler DAS INDISCHE GRABMAL,
dessen Inszenierung mit Großbauten von Martin Jacoby-Boy und Otto Hunte
in Woltersdorf dann May selbst übernahm. (Der Stoff wurde zweimal wieder
verfilmt: 1937/38 tönend von Richard Eichberg und schließlich 1958/59
bunt von Lang selbst. Beispiele dieser Remakes laufen ebenfalls im
Programm).
Nach etwa 50 Filmen beendete Mia May – ausgelöst durch
dem Selbstmord ihrer Tochter Eva (1902-1924) – ihre Film-Karriere.
Im
folgenden Jahr inszenierte Joe May mit internationaler Besetzung und mit
Blick auf die ausländischen Märkte die amerikanisch-europäische
Gesellschaftskomödie DER FARMER AUS TEXAS nach dem Bühnenstück
»Kolportage« des Erfolgsautors Georg Kaiser.
Da ab Mitte der 1920er
Jahre die May-Film AG in wirtschaftliche Probleme geriet, arbeitete May
nun mit und für wechselnde Firmen. So drehte er 1928/29 im Rahmen der
Erich Pommer-Produktion der Ufa zwei Stummfilm-Meisterwerke: den
Großstadtkrimi ASPHALT sowie das Zeitdrama HEIMKEHR nach einer Novelle
von Leonhard Frank, deren DEFA-Verfilmung DIE FRAU UND DER FREMDE (1984,
Rainer Simon) mit einem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde.
Der stets
an der technischen Entwicklung interessierte May engagierte sich auch
theoretisch und praktisch für die Erweiterung des Mediums durch den Ton.
Zunächst betreute er 1929/30 im Rahmen der Joe May-Produktion der Ufa
internationale Misch-Versionen fremder Regisseure: Gustav Ucickys
Dorf-Musical DER UNSTERBLICHE LUMP, von dem nur eine
französisch-englische Fassung erhalten ist, und Kurt Bernhardts
Preussen-Drama DIE LETZTE KOMPAGNIE mit Conrad Veidt, von dem die
zeitgenössische englische Synchron-Fassung gezeigt wird (die deutsche
Originalfassung ist z.Z. nur sehr fragmentarisch erhalten).
1930
übernahm May selbst wieder die Regie und realisierte mit turbulenten
Verwicklungen für die wiedererstandene May-Film AG zwei der gelungensten
frühen deutschen Tonfilmkomödien, für die Walter Jurmann Ohrwürmer
komponierte: IHRE MAJESTÄT DIE LIEBE, und ...UND DAS IST DIE
HAUPTSACHE!?, den wir als Wiederentdeckung präsentieren. Der skurrile
Sängerfilm EIN LIED FÜR DICH der Cine-Allianz Tonfilm GmbH für die Ufa
kam noch im April 1933 heraus und wurde für den jüdischen Regisseur der
letzte Film, den er in Nazi-Deutschland herstellen konnte.
Zunächst
war May mit anderen Film-Emigranten in England und Frankreich an
verschiedenen Produktionen beteiligt. 1934 konnte er in Hollywood für
die Fox Film MUSIC IN THE AIR drehen, produziert von Erich Pommer,
Drehbuch u.a. von Billie Wilder. (CineGraph präsentiert diesen ersten
wichtigen Exilfilm am 31.10.2018 im Rahmen der Tage des Exils.). Doch
während junge Nachwuchskräfte wie Wilder eine Karriere im
Hollywood-System begannen, konnte sich der 55-jährige Ex-Mogul nur
schwer anpassen. Seine nächste Regie-Chance, CONFESSION (1937) für
Warner Bros., war ein Remake von Willi Forsts Cine-Allianz Tonfilm
MAZURKA (1935), bei dem May einzelne Szenen dem Original nachgestaltete.
Ab 1938 arbeitete er für Universal, drehte mit THE HOUSE OF FEAR
(1939) ein Ton-Remake von THE LAST WARNING (1928), dem letzten Film
seines ehemaligen Mitarbeiters, des Szenografen und Regisseurs Paul Leni
(1885-1929). Gemeinsam mit dem Autor Kurt Siodmak beteiligte er sich mit
THE INVISIBLE MAN RETURNS (1939/40) an einer erfolgreichen Universal
Horror-Serie. Die Heimatfront-Komödie JOHNNY DOESN'T LIVE HERE ANYMORE
(1943/44) wurde Joe Mays letzte Filmregie.
Das cinefest steht auch in Zusammenhang mit einem online-Portal zur Weimarer Republik, das der Mitveranstalter Bundesarchiv mit Bildern, Plakaten und Dokumenten aus seinen Beständen aufbaut.