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Cinefest 2013
X. Internationales Festival des deutschen Film-Erbes
Hamburg: 16.-24.11.2013

Termine in Berlin, Prag, Udine, Wiesbaden, Wien und Zürich

eine Veranstaltung von CineGraph und Bundesarchiv-Filmarchiv


Verboten!
Film-Zensur in Europa


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"Überfall" (D 1928, Ernö Metzner)
Quelle: Filmmuseum Berlin - Deutsche Kinemathek / Sammlung Casparius


2013 beschäftigt sich cinefest unter dem Motto Verboten! Filmzensur in Europa mit den vielfältigen Formen der Einflussnahme auf Produktion, Distribution und Aufführung von Filmen quer durchs 20. Jahrhundert. Was von Politikern, Gesetzgebern oder Institutionen der Filmwirtschaft für unerwünscht und verboten erklärt wurde, durfte gar nicht oder nur entschärft auf der Leinwand erscheinen. cinefest präsentiert bekannte und unbekannte »Fälle« aus Deutschland, Österreich, Großbritannien, der Tschechoslowakei und den USA, die zum Objekt (nicht nur) staatlicher Eingriffe wurden.

Im Visier der Filmprüfstellen in der Weimarer Republik standen zunächst besonders die »Sittenfilme« über gefallene Mädchen und kriminelle Typen in anrüchigem Großstadtmilieu, deren soziale Problematik oft als Vorwand für spekulative Erotik galt. Reinhold Schünzels DS MÄDCHEN AUS DER ACKERSTRASSE (1919/20), die tragische Beziehungsgeschichte zwischen einer verzweifelten jungen Frau und einem weltfremden Professor, wurde nachträglich wegen »entsittlichender Wirkung« verboten, Gustav Ucickys CAFÉ ELEKTRIC (1927) um einen wiener Zuhälter (Willi Forst) und eine abenteuerlustige Tochter aus gutem Hause (Marlene Dietrich) kam wegen zu positiver Darstellung des Dirnenmilieus erst nach drastischen Kürzungen in die Kinos. Das Abtreibungsdrama CYANKALI (1930) nach dem umstrittenen Bühnenstück von Friedrich Wolf wurde als tendenziöses Pamphlet gegen den § 218 zunächst verboten und nur in entschärfter Version freigegeben. Der berühmteste politische Zensurfall der 1920er Jahre war Sergej M. Eisensteins Revolutionsepos PANZERKREUZER POTEMKIN, das zeitweilig wegen »Gefährdung der öffentlichen Sicherheit« verboten war und beim cinefest in der gekürzten Nadeltonfassung von 1930 mit der Originalmusik von Edmund Meisel zu sehen ist.

Unter den Filmen mit »kommunistischer, sexueller oder pazifistischer Tendenz«, die von den Nationalsozialisten gleich nach der Machtübernahme aus den Kinos entfernt wurden, war auch Heinz Pauls Antikriegsfilm DIE ANDERE SEITE (1931), weil die schonungslose Schilderung des Fronterlebnisses aus englischer Sicht für die neuen Machthaber einen »zersetzenden Einfluß auf den deutschen Wehrwillen« hatte. Gustav Machatýs avantgardistisch-erotisches Beziehungsdrama EKSTASE (1932) wurde dagegen wegen »gröbster Spekulation auf niedrigste Instinkte« verboten und sorgte noch 1950 in BRD-Kinos für Tumulte katholischer Jugendgruppen. Das Verbot von Willy Zielkes Dokumentar-Spielfilm DAS STAHLTIER (1935) ist wohl auf die Reichsbahn zurückzuführen, die sich zur Feier ihres 100. Jubiläums eher einen kundenfreundlichen Imagefilm als ein avantgardistisches Montagegewitter mit ungeschminkten Laiendarstellern gewünscht hatte. Als »Betriebsunfall« der inzwischen staatlich gelenkten Filmproduktion ist Karl Ritters Fliegerdrama BESATZUNG DORA (1942/43) um Frauengeschichten und Kameradschaft einer Fernaufklärerbesatzung zu sehen, das bei Zensurvorlage bereits von der Kriegsentwicklung überholt war.

1950 provozierte die verständnisvolle Darstellung von Prostitution, Selbstmord und Tod auf Verlangen in Willi Forsts DIE SÜNDERIN, einem Melodram um einen todkranken Maler (Gustav Fröhlich) und eine Hure mit Herz (Hildegard Knef), den ersten Filmskandal der jungen Bundesrepublik mit Boykottaufrufen, Demonstrationen und Polizeiverboten. Als 1957 in Veit Harlans DAS DRITTE GESCHLECHT eine Mutter (Paula Wessely) ihren Sohn (Christian Wolff) mit der Haustochter verkuppelte, um ihn den Abgründen der gleichgeschlechtlichen Liebe zu entreißen, witterte die FSK »Propaganda für die männliche Homosexualität« und gab den Film erst nach gravierenden Kürzungen und Hinzufügung nachgedrehter Szenen unter dem Titel ANDERS ALS DU UND ICH (§ 175) frei. Dass auch internationale Verleiher sich als »Zensoren« betätigten, um Unmut bei FSK und Publikum vorzubeugen, belegt die um 20 Minuten gekürzte deutsche Fassung von CASABLANCA, in der 1952 per Schnitt und Synchronisation die Nazis um Major Strasser (Conrad Veidt) komplett eliminiert wurden. DOROTHEAS RACHE, Peter Fleischmanns drastische Sexfilm-Parodie über ein hamburger Mädel, das die Liebe sucht und auf dem Kiez in die Abgründe der kommerzialisierten Erotik gerät, wurde 1974 vom hamburger Amtsgericht wegen »Verbreitung unzüchtiger Darstellungen« beschlagnahmt, vom Landgericht jedoch als satirischer »Anti-Porno« wieder freigegeben.

Auch die umfassende staatliche Lenkung der Filmherstellung in DDR und ČSR konnte Filmverbote nicht verhindern, wenn sich die Parteilinie und damit die Zulassungskriterien durch ideologische Richtungswechsel und weltpolitische Ereignisse veränderten. DAS BEIL VON WANDSBEK (1950/51), nach Arnold Zweigs Exil-Roman über einen hamburger Schlachtermeister, der sich von den Nazis als Henker anwerben lässt, wurde zurückgezogen, weil er Mitleid mit dem Schicksal eines Mitläufers erregte statt die Verdienste des antifaschistischen Widerstands herauszustellen. Der von Günther Stahnke bei der DEFA fürs Fernsehen gedrehte MONOLOG FÜR EINEN TAXIFAHRER (1962), eine ins Surreale gleitende Odyssee eines Taxifahrers durch das weihnachtliche Ost-Berlin, verdankte die Absetzung dagegen seinen angeblich »formalistischen« und »nihilistischen« Tendenzen. KARLA (1965) erzählte offen von Aufbruch und Scheitern einer idealistischen Junglehrerin (Jutta Hoffmann) und wurde zusammen mit anderen Produktionen nach dem 11. Plenum des ZK der SED verboten, weil er sich zu kritisch mit gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzte. Iris Gusners DIE TAUBE AUF DEM DACH (1972/73), die melancholische Liebesgeschichte einer Bauingenieurin zwischen einem älteren Brigadier und einem jungen Studenten auf einer Großbaustelle, konfrontierte die offiziellen Ideale der Arbeiterklasse mit der kleinbürgerlichen Realität und wurde deshalb als Angriff auf den Sozialismus gewertet. Rainer Simons JADUP UND BOEL(1979-81), ein selbstkritischer Rückblick der Aufbau-Generation auf die Diskrepanz zwischen frühen Hoffnungen und düsterer Realität, wurde unter intensiver Beobachtung der Stasi fertiggestellt, dann aber als letzter DEFA-Spielfilm verboten und erst kurz vor der »Wende« aufgeführt.

In der Tschechoslowakei wurde das satirische Gegenwartsmärchen TŘI PŘÁNÍ 1958 zur Zielscheibe eines filmpolitischen »Kahlschlags«, weil sich der Slowake Ján Kadár und der Tscheche Elmar Klos zu viele ironische Seitenhiebe auf die Schwierigkeiten des sozialistischen Alltags leisteten. HOŘÍ, MÁ PANENKO! (1967), Milos Formans groteske Komödie um den Jahresball einer freiwilligen Feuerwehr in der tschechischen Provinz, wurde als böse Parabel auf das kommunistische Herrschaftssystem verstanden und nach Niederschlagung des Prager Frühlings in den Tresor verbannt. Dasselbe Schicksal ereilte Pavel Juráčeks PŘÍPAD PRO ZAČÍNAJÍHO KATA (1969), eine visuell überwältigende, surreale Satire nach Motiven aus Swifts »Gullivers Reisen«. Auch Věra Chytilovás PANELSTORY ANEB JAK SE RODÍ SÍDLIŠTĚ (1979), eine überdrehte Komödie über das chaotische Leben und Treiben in einer halb fertiggestellten Hochhaussiedlung, verriet den Zensoren eindeutig zu viel über die Missstände in der Gesellschaft. Mit JA MILUJEM, TY MILUJEŠ, einer Tragikomödie zweier Junggesellen zwischen Alkohol und Frauengeschichten, zeichnete Dušan Hanák 1980 ein schonungsloses Bild des slowakischen Landlebens, das ebenfalls nicht den Vorstellungen der Machthaber entsprach.

Beispiele für Kontroversen zwischen dem von der Filmindustrie gegründeten BBFC (British Board of Film Censors / Classification), den Regionalbehörden und der Öffentlichkeit in Großbritannien sind drei klassische Konfliktfälle um die Darstellung von Sex und Gewalt. Der Gangsterfilm NO ORCHIDS FOR MISS BLANDISH (1948) galt der Presse als »the most sickening exhibition of brutality, perversion, sex and sadism ever to be shown on a cinema screen«. Ken Russells THE DEVILS (1970), ein orgiastisches Schauergemälde um Teufelsaustreibung und sexuelle Hysterie nach einem historischen Fall aus dem 17. Jahrhundert, ist nach diversen Verstümmelungen und Verboten erst seit 2012 wieder durch eine BFI-Restaurierung in seiner ursprünglichen Fassung zugänglich. Der heftig umstrittene Schocker A CLOCKWORK ORANGE (1970/71), eine von Stanley Kubrick nach dem Roman von Anthony Burgess gedrehte negative Utopie über eine gewalttätige Jugendgang in London unter ihrem sadistischen Anführer Alex, wurde nach Berichten über Nachahmungstaten und Morddrohungen vom Regisseur aus dem Verkehr gezogen – ein eigentümlicher Fall von Selbst-Zensur.



cf13 Katalog
Zum Festival erscheint wieder ein umfangreiches Katalogbuch, inkl. einer DVD-Beilage mit Filmen und Dokumenten zum Thema. Erhältlich ab 16.11.2013


Zur Vorbereitung auf Kongress und Festival fand vom 2.-5. Mai 2013 ein internes Sichtungskolloquium in Berlin statt.

Weitere Informationen bei:

CineGraph - Hamburgisches Centrum für Filmforschung e.V.
Schillerstr. 43, 22767 Hamburg
Tel: +49-(0)40-352194 / Fax: +49-(0)40-345864
email: info(at)cinefest.de



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Im Anschluß an die Veranstaltungen in Hamburg werden Teile des Filmprogramms auch in Berlin, Prag, Wiesbaden, Udine/Gorizia, Wien und Zürich gezeigt.

Termine:

Berlin: 1.1. - 2.2.2014 (Zeughauskino)
Prag: März 2014
Udine: März 2014
Wiesbaden: März 2014
Wien: Mai 2014
Zürich: Mai/Juni 2014







in Zusammenarbeit mit
Kinemathek Hamburg - Kommunales Kino Metropolis
Deutsches Historisches Museum / Zeughauskino, Berlin
Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden
Narodní filmový archiv, Prag
FilmForum Udine/Gorizia
Filmarchiv Austria, Wien
Cinémathèque Suisse Lausanne / Filmpodium Zürich

Mit freundlicher Unterstützung von
absolutMedien, Berlin
Altoner Museum, Hamburg
Arte, Straßburg
Barefoot Wine
British Council, Berlin
British Film Institute, London
Budweiser Budvar
DEFA-Stiftung, Berlin
Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds, Prag
Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin
Deutsches Filminstitut – DIF, Frankfurt
Due Baristi Espressobar, Hamburg
Filmmuseum Potsdam
Filmmuseum Wien
Hamburger Öffentlichen Bücherhallen
Hotel am Rothenbaum, Hamburg
Jugendinformationszentrum - JIZ, Hamburg
Omnimago, Ingelheim
Österreichisches Kulturforum, Berlin
Skoda Auto Deutschland GmbH
SK Limousines + Services, Hamburg
Slovenský Filmový Ústav, Bratislava
Slowakisches Institut, Berlin
Transit Film GmbH, München
Universität Hamburg – Institut für Neuere deutsche Literatur und Medienkultur



Medienpartner: FilmDienst


Die Arbeit von CineGraph – Hamburgisches Centrum für Filmforschung e.V. wird gefördert durch die
Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg




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Trailer cinefest 2017




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