Unter dem Motto cinema trans-alpino beschäftigt sich CineFest das VII. Internationale Festival des deutschen Film-Erbes, mit den deutsch-italienischen Filmbeziehungen. 25 Filme aus den Jahren 19132001 bieten die Gelegenheit, den personellen Austausch der Filmschaffenden, die Verflechtung der Produktionsstrukturen und die Bilder des anderen Landes und seiner Bewohner im deutschen und italienischen Kino durch das letzte Jahrhundert zu verfolgen.
Im Laufe der 1920er bildete sich in Berlin eine Kolonie italienischer Filmschaffender, von denen sich einige erfolgreich im Weimarer Kino etablierten. Gennaro Righelli inszenierte seine Stendhal-Adaptation DER GEHEIME KURIER (1928) als Abenteuerfilm voller Liebes-, Kampf- und Massenszenen. Bislang nur in einer Kurzfassung erhalten, erlebt der Film nun seine Wiederaufführung in einer vollständigen, neu restaurierten Fassung. Der elegante Sensationsdarsteller und Harry Piel-Konkurrent Luciano Albertini schmuggelt sich in der rasanten Detektivgeschichte TEMPO! TEMPO! (1929) in eine Gangsterbande ein und absolviert die waghalsigsten Stunts stets im tadellosen Frack.
Die kulturpolitische Zusammenarbeit zwischen dem faschistischen Italien und NS-Deutschland führte seit Mitte der 1930er Jahre verstärkt zur Produktion von deutsch-italienischen Sprachversionen. In MUTTERLIED (1937) steht der populäre Tenor Beniamino Gigli im Mittelpunkt eines herzzerreißenden Melodrams im Opernmilieu mit viel Gesang und dem putzigen Kinderdarsteller Peter Bosse, der auch bei der Vorstellung anwesend ist. Mit dem propagandistischen Historienspektakel CONDOTTIERI (1936/37) schuf der Südtiroler Luis Trenker als Regisseur und Hauptdarsteller ein Prestigeprojekt der »kulturellen Achse« RomBerlin. Abseits der offiziellen Kooperation hielt die italienische Filmindustrie Nischen bereit: Der jüdische Emigrant Max Ophüls drehte 1934 mit LA SIGNORA DI TUTTI ein Melodram über das tragische Liebesleben einer gefeierten Schauspielerin. Carl Koch führte 1940/41 Regie bei LA TOSCA, einer Liebesgeschichte nach der Oper von Puccini.
Die Auseinandersetzung italienischer Regisseure mit den Folgen von Faschismus und Nationalsozialismus begann kurz nach Kriegsende und dauert bis heute an. Roberto Rosselini analysierte 1948 in GERMANIA ANNO ZERO, der Tragödie einer Familie im zerstörten Berlin, die geistige und seelische Verfassung der Deutschen nach dem Kriege. Zwei von der bundesdeutschen Politik und Presse als »deutschfeindlich« gebrandmarkte Produktionen lösten 1962 einen deutsch-italienischen »Film-Krieg« aus. I SEQUESTRATI DI ALTONA war Vittorio de Sicas Versuch, Sartres Bühnenstück mit einer Kritik an den reaktionären Verhältnissen in der BRD zu verbinden. Er drehte mit seiner hochkarätigen Besetzung (Frederick March, Sophia Loren, Maximilian Schell) nicht nur in Hamburg, sondern auch beim Berliner Ensemble in der DDR. Mit LA QUATTRO GIORNATE DI NAPOLI legte Nanni Loy ein Volksepos über den Aufstand der Neapolitaner gegen die deutsche Besatzungsmacht im September 1943 vor. In Westdeutschland wegen der gezeigten Grausamkeiten der Wehrmacht angefeindet und in der DDR als Heldenlied des italienischen Volkes gefeiert, löste der Film in Italien heftige Diskussionen über die Darstellung der Widerstandsbewegung aus.
1974 beging Liliana Cavani mit IL PORTIERE DI NOTTE einen Tabubruch im medialen Umgang mit dem Nationalsozialismus, indem sie die sadomasochistische Beziehung zwischen einem SS-Offizier (Dirk Bogarde) und einer KZ-Insassin (Charlotte Rampling) in den Mittelpunkt ihres verstörenden Melodrams stellte. In Italien skandalisiert und zunächst verboten, sorgte der Film auch in Deutschland für heftige Kontroversen. Der einzige Film eines deutschen Regisseurs, der sich mit dem Verhalten der Italiener während des Krieges beschäftigt, war Wolfgang Staudtes pazifistische Humoreske KANONEN-SERENADE (1958) über den Kapitän eines Gemüsedampfers (Vittorio de Sica), der sich nach der Begegnung mit einem U-Boot in ein wahnhaftes Kriegsheldentum hineinsteigert.
Im deutschen Film erscheint Italien vor allem als Land der Sehnsüchte und als Projektionsfläche für bildungsbürgerlichen Wissendrang, touristischen Erlebnishunger und erotische Fantasien. 1913 konfrontierte Theater-Papst Max Reinhardt in seinem »heiteren Flimmerspiel« DIE INSEL DER SELIGEN deutsche Spießer im Golf von Spezia mit antiken Sagenfiguren und freizügig inszenierten amourösen Verwicklungen. In Gerhard Lamprechts Spionagefilm EIN GEWISSER HERR GRAN (1933) macht Hans Albers als Geheimagent auf der Jagd nach einer gestohlenen Formel in seiner unnachahmlichen Art Rom und Venedig unsicher. DAS LIED DER SONNE inszenierte Max Neufeld 1933 als beschwingte Komödie mit Gesang und touristischen Postkartenmotiven um ein Berliner Mädchen, das in Italien nach einem Tenor fahndet und im jungen Vittorio de Sica einen charmanten Geliebten findet. Alle Facetten des Italien-Tourismus der 1950er Jahre schildert ITALIENREISE - LIEBE INBEGRIFFEN (1957), ein komödiantischer Ensemblefilm um eine Reisegruppe, die mit dem Bus die obligatorischen Sehenswürdigkeiten abklappert und sich dabei menschlich näherkommt Liebesverwirrungen um den feschen Reiseführer Paul Hubschmid inklusive. Elegische Schwarzweiß-Bilder zeigen das winterlich abweisende Venedig in DIE ROTE (1962) als Fluchtpunkt einer Frau in der Krise. Helmut Käutner orientierte sich bei der Verfilmung des Romans von Alfred Andersch mit internationaler Starbesetzung (Ruth Leuwerik, Rossano Brazzi, Gert Fröbe) an Antonioni. Als Ort des Verfalls und des Todes erscheint die Lagunenstadt in Luchino Viscontis Thomas Mann-Adaptation MORTE A VENEZIA (1970). Die Geschichte um einen sterbenden Komponisten und seine Sehnsucht nach einem Jungen schwelgt in der Musik von Gustav Mahler und im Flair der Jahrhundertwende.
Die unterschiedlichen Facetten des Bildes vom italienischen Migranten, der sich jenseits der Alpen als »Gastarbeiter« verdingt und mit den Verhältnissen in der Fremde arrangieren muss, zeigen Produktionen aus der DDR, der Bundesrepublik und Italien. Der DEFA-Film SIMPLON-TUNNEL (1958/59) schildert vor dem historischen Hintergrund der Bauarbeiten in den Alpen (mit rein deutscher Besetzung) die Rivalitäten zwischen deutschen und italienischen Bauleuten, um so die internationale Solidarität zu beschwören. Francesco Rosi beschreibt zur selben Zeit in I MAGLIARI die Erlebnisse eines klassischen »Gastarbeiters« aus der Toskana in der Welt der halbseidenen neapolitanischen Kleinganoven in Hannover und auf St. Pauli. Der Filmmacher, Psychiater und Kunstsammler Ottomar Domnick setzt 1960 in seiner avantgardistischen Dreiecksgeschichte GINO die Figur eines jungen Italieners als Katalysator zwischen zwei geschiedenen Eheleuten ein und übertrug die Rolle dem Debütanten Jörg Pleva, der auch bei der Vorstellung anwesend ist. Das Schicksal der italienischen Migranten aus dem ländlichen Süden im deutschen Industrie-Kapitalismus ist nirgendwo schonungsloser beschrieben worden als in Werner Schroeters PALERMO ODER WOLFSBURG (1979/80). Die Geschichte um den 17-jährigen Sizilianer Nicola entwickelt sich nach realistisch-dokumentarischem Beginn zur satirisch-surrealistischen Passions-Oper. Klaus Emmerichs PIZZA COLONIA (1990/91) ist dagegen eine überdrehte Familienkomödie um Mario Adorf als italienischem Restaurantbesitzer zwischen Familie, Ehefrau und Geliebter.
Interessante Verbindungen und Affinitäten zwischen deutschem und italienischem Kino lassen sich auch im weiten Bereich zwischen Krimi, Giallo und Politthriller finden. Markante Beispiele sind zwei Co-Produktionen: Mario Bavas BLUTIGE SEIDE (1963), ein Thriller um einen Serienmörder, dessen stilisierte Farbdramaturgie noch heute fasziniert, und Jürgen Rolands Hamburg-Krimi ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN (1972/73), der mit harter Action und ein wenig Erotik den Kampf einer zugereisten Mafia-Bande mit eingesessenen Ganoven schildert. Mit Anklängen an das Genre des Polit- und Mafiathrillers gestaltete Tom Tykwer nach einem Drehbuch von Krzysztof Kieslowski in Italien sein religiös grundiertes Liebesdrama HEAVEN (2000/01) mit Cate Blanchett in der Hauptrolle.
cinefest und Filmhistorischer Kongress beleuchten damit ein spannendes Kapitel der europäischen Filmgeschichte, das bisher kaum im Gesamtzusammenhang erforscht wurde.
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Zum Festival erschien wieder ein umfangreiches Katalogbuch inkl. einer DVD-Beilage mit Filmen und Dokumenten zum Thema.
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Im Anschluß an die Veranstaltungen in Hamburg werden Teile des Filmprogramms auch in Berlin, Prag, Wien, Zürich und in mehreren italienischen Städten im Rahmen der Initiative "Va bene?! La Germania in Italiano. Italien auf Deutsch" gezeigt.
Termine:
Berlin: 04.01-09.02.2011 (Zeughauskino)
Prag: Anfang Februar 2011 (Ponrepo Kino)
Udine/Gorizia: März 2011 (im Rahmen des FilmForums)
Turin: April/Mai 2011 (Museo Nazionale del Cinema)
in Zusammenarbeit mit
Kinemathek Hamburg - Kommunales Kino Metropolis
Deutsches Historisches Museum / Zeughauskino, Berlin
Narodní filmový archiv, Prag
FilmForum Udine/Gorizia
Filmarchiv Austria, Wien
Cinémathèque Suisse Lausanne / Filmpodium Zürich
Mit freundlicher Unterstützung von
absolutMedien, Berlin
Arte, Straßburg
Cinecentrum, Hamburg
DEFA-Stiftung, Berlin
Deutsch-Italienische Gesellschaft e.V., Hamburg
Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin
Deutsche Wochenschau GmbH, Hamburg
Deutsches Filminstitut DIF, Frankfurt
Due Baristi Espressobar, Hamburg
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Goethe-Institut Hamburg
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Istituto Italiano di Cultura Berlino
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