cinefest 2019
XVI.
Internationales Festival des deutschen Film-Erbes
Hamburg: 16. - 24.11.2019
weitere Termine in Berlin, Gorizia, Prag,
Wiesbaden
eine Veranstaltung von CineGraph und Bundesarchiv
Dr. Seltsam oder: Aus
den Wolken kommt das Glück
Film zwischen Polit-Komödie und Gesellschafts-Satire
Amphitryon. Aus den Wolken kommt das Glück (D 1935, Reinhold
Schünzel)
Quelle: DFF - Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt
Im Kino wurde schon immer gelacht. Wann aber der Spaß aufhört und der
Ernst beginnt, loteten Filmmacher und Publikum stets wieder aufs Neue
aus. Dass sich Kurt Tucholsky Frage »Was darf Satire?« in der
Filmgeschichte nicht pauschal mit »Alles.« beantworten lässt, sondern
die Antwort immer abhängig vom historischen Kontext, insbesondere den
jeweiligen Machtstrukturen war, zeigt cinefest, das mit Filmen von 1924
bis 2015 die Spannweite dieses kritisch-unterhaltsamen Genres erkundet.
Mit einer »satirischen Vision« einer »Stadt ohne Juden« reagierte
der Schriftsteller Hugo Bettauer 1922 auf den Antisemitismus seiner
Zeit. Der Bestsellerroman wurde 1924 von Hans Karl Breslauer verfilmt.
STADT OHNE JUDEN (AT 1924) gilt als filmisches Dokument gegen den
Antisemitismus und zählt heute zu einer der wichtigsten österreichisches
Produktionen der Zwischenkriegsjahre.
Der georgische Stummfilm CHEMI
BEBIA (SU(GE) 1929) ist eine groteske Komödie von Kote Mikaberidze, die
Schlendrian und Karrierismus in privatwirtschaftlichen Bereichen der
jungen Sowjetunion aufs Korn nimmt und Jahrzehnte unter Verschluss
gehalten wurde.
Auf der Bühne wie für die Leinwand ist die Odyssee
des Schusters Wilhelm Voigt, die ihm das Ersuchen nach einem Pass
bereitet, vielfach inszeniert worden. cinefest zeigt DER HAUPTMANN VON
KÖPENICK in der Tonfilmfassung von 1931, bei der Richard Oswald die
Regie führte.
Während Reinhold Schünzel in AMPHITRYON. AUS DEN
WOLKEN KOMMT DAS GLÜCK (D 1935) im Nationalsozialismus ein satirisches
Spiel mit den Autoritäten betrieb, entstand fast zeitglich unter der
Regie von Veit Harlan die propagandistische Satire MEIN SOHN, DER HERR
MINISTER (D 1937), der heute als Vorbehaltsfilm eingestuft ist und im
Anschluss an die Vorführung diskutiert wird.
Ernst Lubitsch hingegen
richtete seinen Blick aus Hollywood kritisch auf die politischen
Entwicklungen in Europa. In TO BE OR NOT TO BE (SEIN ODER NICHTSEIN) (US
1941/42) ließ er im Nazi-besetzten Warschau eine Schauspielergruppe
Hitler an der Nase herumführen.
Eine Nachkriegssatire über die
Dystopie einer friedlichen Gesellschaft schuf Heinz Hilpert mit DER HERR
VOM ANDERN STERN (BRD 1948). In dem Film verirrt sich Heinz Rühmann als
Außerirdischer auf die Erde und gerät in die Mühlen der Bürokratie.
Ebenfalls in der Bürokratie gefangen findet sich Peter Vogel in HIN UND
HER (AT 1947). Ausgewiesen aus seiner Wahlheimat und ohne
Einreisegenehmigung für sein Geburtsland lebt er staatenlos auf einer
Brücke zwischen den beiden Ländern. Dieser kaum bekannte Nachkriegsfilm
nach Ödön von Horvath von und mit Theo Lingen ist eine Rarität, deren
Wiederentdeckung lohnt!
DER UNTERTAN (DDR 1951), Wolfgang Staudtes
Adaptation von Heinrich Manns Roman, ist eine bissige Satire auf den
Mief des Kleinbürgertums der Wilhelminischen Ära. Eine sozialistische
Vergangenheitsbewältigung, die in den Strudel des Ost-West-Konflikts
geriet. In West-Deutschland drehte Staudte eine Adaptation von Heinrich
Spoerls Bühnenstück DER MAULKORB (BRD 1958) in der ein standesbewusster
Staatsanwalt im Suff einem Fürstendenkmal einen Maulkorb aufsetzt.
Ende
der 1950er Jahre bemühten sich einige bundesdeutsche Filme, die jüngste
Vergangenheit kritisch-kabarettistisch zu hinterfragen, wie Kurt
Hoffmanns WIR WUNDERKINDER (BRD 1958) und Jochen Wiedermanns WIR
KELLERKINDER (BRD 1960), beide mit Wolfgang Neuss. Der Kalte Krieg
spiegelte sich bereits in der frühen Nachkriegszeit in Filmproduktionen
von Ost und West. Im Sozialismus war natürlich der Kapitalismus eine
satirische Zielscheibe, die auch CHEMIE UND LIEBE (DDR 1947/48, Arthur
Maria Rabenalt) anvisierte. In dem Film gelingt modernes Fooddesign:
eine Butter direkt aus Weidegras, ohne die Hilfe von Kühen.
Gut 30
Jahre später geht Hansjürgen Pohland der Frage nach WARUM DIE UFOS
UNSEREN SALAT KLAUEN (BRD 1979/80). In der überdrehten Öko-Sci-Fi-Satire
mit Hildegard Knef und Curd Jürgens dreht sich alles um die Züchtung
einer geheimnisvollen Supersalatsorte in einer westberliner
Kleingartenkolonie.
Auch bei den Westmächten wurden Filme zum
Politikum, so war die CIA in die Produktion von ANIMAL FARM (GB 1951-54,
John Halas, Joy Batchelor) involviert. Es entstand eine harsche
Sozialismussatire im Gewand eines Animationsfilms. Billy Wilder wurde
bei den Dreharbeiten von ONE, TWO, THREE (US 1961), einer Satire über
den Ost-West-Konflikt, von der Realität überrascht, als die Berliner
Mauer gebaut wurde.
DIE SENDUNG DER LYSISTRATA (BRD 1960/61, Fritz
Kortner) verhandelt die Frage um Krieg und Frieden als Kampf der
Geschlechter und plädiert für pazifistische Aktionen. Die Rahmenhandlung
lässt dabei die aktuelle weltpolitische Situation um die nukleare
Aufrüstung nicht außer Acht. Der Film mit Romy Schneider und Barbara
Rütting, war Anfang der 1960er Jahre ein Skandal und wurde in Bayern
nicht im TV gezeigt.
Eine der bekanntesten Satiren auf den Kalten
Krieg und die Atomaufrüstung ist Stanley Kubricks DR. STRANGELOVE OR:
HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (DR. SELTSAM ODER WIE
ICH LERNTE, DIE BOMBE ZU LIEBEN) (GB/US 1963/64).
Der spöttische
Blick wurde aber nicht ausschließlich auf den internationalen Gegner
gerichtet. Auch innenpolitisch boten sich satirische Gelegenheiten. In
MORAL 63 (BRD 1963) mit Nadja Tiller als Gründerin der »Gesellschaft zur
Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen e.V.« und Mario Adorf als
rasendem Reporter, behandelte Rolf Thiele die bundesdeutschen Skandale
der 1960er Jahre.
Dass es im Sozialismus neben der Kritik am Westen
auch Kritik gegen das eigene System gab, wenn auch nur moderat, zeigen
u.a. einige Folgen aus dem Satire-Programm DAS STACHELTIER, die ab 1953
im DDR-Kinovorprogramm liefen und bei denen viele später bei der DEFA
bekannte Personen mitwirkten. Offensichtlich kritischer und politisch
nicht erwünscht war Siegfried Kühns Satire über einen Schrankenwärter,
der sich mit eigenmächtigen Bildungsmaßnahmen widersetzt, als er durch
die Elektrifizierung seines Streckenabschnitts überflüssig wird. DAS
ZWEITE LEBEN DES FRIEDRICH WILHELM GEORG PLATOW (DDR 1972/73) war einer
der wichtigsten DDR-Produktionen seiner Zeit, lief aber nur mit wenigen
Kopien und erhielt ein Exportverbot.
MEINE FRAU INGE UND MEINE FRAU
SCHMIDT (DDR 1983/84, Roland Oehme) ist eine heitere Dreiecksgeschichte
mit Katrin Saß, Viola Schweizer und Walter Plathe, die die Lebensform
der monogamen Ehe in Frage stellt.
Auch in den anderen Ländern des
Ostblocks entstanden satirische Filme, die die eigenen Lebensumstände
bloßstellten. In der tschechoslowakischen Produktion PRÍPAD BARNABÁŠ KOS
(CS(SK) 1964) inszenierte Peter Solan eine Satire auf Amtsmissbrauch,
Machterschleichung und Personenkult mit kafkaesken Zügen vor der Kulisse
eines Sinfonieorchesters. Und in AŽ PŘIJDE KOCOUR (WENN DER KATER KOMMT)
(CS 1963, Vojtěch Jasný) enthüllt der Kater einer Wanderschauspielgruppe
durch seinen magischen Blick den wahren Charakter der Menschen. Das
poetisch-satirische Märchen erhielt 1963 in Cannes den Spezialpreis der
Jury.
Zwei Filmsatiren aus der Prager Filmhochschule FAMU - EVŽEN
MEZI NÁMI (CS 1980, Petr Nýdrle) und NEZVANÝ HOST (DER UNGEBETENE GAST)
(CS 1969, Vlastimil Venclík) konnten hingegen aus politischen Gründen
erst nach 1989 aufgeführt werden.
Dass in der Geschäftswelt ein
bitterer Konkurrenzkampf herrscht, zeigt sowohl Robert Altmans THE
PLAYER (US 1991/92), eine böse Satire über Hollywood, als auch ZEIT DER
KANNIBALEN (D 2013/14), in dem Johannes Naber die unkollegialen
Machenschaften der modernen Finanzwelt offenlegt und ein Haifischbecken
ohne Erbarmen skizziert. Der jüngste Film im Programm ist David Wnendts
Gegenwartssatire ER IST WIEDER DA (2014/15), in der Adolf Hitler zum
Leben erwacht und seine erneute Machtergreifung plant.
Die
Stummfilme werden von Musikern live im Kino begleitet. Alle Filme werden
fachkundig eingeführt und in den Zeitzusammenhang gestellt.
Gesprächs-Foren in der
Zentralbibliothek begleiten das cinefest.
Zur Vorbereitung auf Festival und Kongress fand vom 9. - 12.
Mai eine Sichtungsveranstaltung in Berlin statt.
Weitere
Termine:Berlin: 7. Januar - 20. Februar 2020 (
Zeughauskino)
Gorizia: 26.-28. März 2020 (FilmForum)
Prag: 14. - 19. April 2020
(Ponrepo Kino)
Wiesbaden: Frühjahr/Sommer 2020 (Murnau-Filmtheater)
Weitere Informationen bei:
CineGraph - Hamburgisches Centrum für Filmforschung e.V.
Schillerstr. 43, 22767 Hamburg
Tel: +49-(0)40-352194 / Fax: +49-(0)40-345864
email:
info(at)cinefest.de
cinefest 2019 wird veranstaltet in Zusammenarbeit mit
Kinemathek Hamburg - Kommunales Kino Metropolis
Deutsches Historisches Museum / Zeughauskino, Berlin
Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden
Narodní filmový archiv, Prag
Cinémathèque Suisse Lausanne / Filmpodium Zürich
FilmForum Udine/Gorizia
Abaton Kino, Hamburg
Alabama Kino, Hamburg
Lichtmess Kino, Hamburg
Mit freundlicher Unterstützung von
Arte, Straßburg
Bücherhallen Hamburg
DEFA-Stiftung, Berlin
Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds, Prag
Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin
DFF - Deutsches Filminstitu & Filmmuseum, Frankfurt
Due Baristi Espressobar, Hamburg
Elbler GmbH, Hamburg
Filmarchiv Austria, Wien
Gästehaus der Universität, Hamburg
Hotel Alster-Hof,
Hamburg
Italienisches Kulturinstitut, Hamburg
Österreichisches Filmmuseum, Wien
Slovenský Filmový ùstav, Bratislava
UCM.ONE GmbH, Berlin
Universität Hamburg – Institut für Medien und Kommunikation
VG Bildkunst, Bonn
Wildwuchs Brauwerk Hamburg
Die Arbeit von CineGraph Hamburgisches Centrum für Filmforschung e.V. wird gefördert durch die Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg
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