Der Willy Haas-Preis zeichnet jährlich im Rahmen des cinefest – Internationales Festival des deutschen Film-Erbes bedeutende internationale Publikationen zum deutschsprachigen Film in den Bereichen Buch- und DVD/Blu-ray-Edition aus. 2019 wird der, nach dem deutsch-tschechischen Literaten, Drehbuchautor und Filmkritiker Willy Haas benannte, Preis zum sechzehnten Mal vergeben.
2019 bestand das Juroren-Komitee aus Peter Bossen (Hamburg), Judith Ellenbürger (Hamburg), Oliver Hanley (Potsdam), Uli Jung (Trier) und Fabian Tietke (Berlin).
Die Jury hatte aus den Neuerscheinungen der letzten 24 Monaten je Kategorie sechs Kandidaten für den Preis nominiert. Der endgültige Sieger
wurde im Rahmen der Eröffnung des 32. Internationalen Filmhistorischen Kongresses am Mittwoch, den 20. November 2019, im Hamburger Kino Metropolis bekannt gegeben.
Die Gewinner erhielten jeweils eine Urkunde und eine Original-Grafik des Künstlers und Filmmachers Franz Winzentsen überreicht.
Pressemeldung als pdf
Die Jury zeichnete in der Kategorie Buch aus:
Angeschlossen und gleichgeschaltet. Kino in Österreich 1938-1945
von Klaus Christian Vögl. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 2018.
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Wenn neue Quellen auf einen Autoren treffen, der zu hervorragender historischer Arbeit befähigt ist, ist dies ein Glücksfall. Klaus Christian Vögls Studie »Angeschlossen und gleichgeschaltet – Kino in Österreich 1938–1945« ist ein solcher Glücksfall. Vögl erschließt erstmals Aktenbestände der Reichsfilmkammer zum Kino in Österreich und liefert so eine fürderhin unverzichtbare Studie zur Struktur, Organisation und Geschichte der österreichischen Filmwirtschaft. Präzise und mit großer Anschaulichkeit schildert Vögl die Instrumentalisierung der österreichischen Filmwirtschaft während des Nationalsozialismus und bettet diese ein in ein größeres Bild vom Funktionieren der NS-Kulturpolitik. Ausblicke zur formalen Abwicklung der NS-Filmwirtschaft in Österreich und Überlegungen zur Sprache der Quellen runden das Buch ab.
Für die Shortlist der Kategorie Buch waren
zusätzlich die folgenden Bücher nominiert:
Klassiker des deutschsprachigen Dokumentarfilms
von Thomas Bräutigam. Marburg: Schüren 2019.
→ zur Verlagsseite Gelungener Versuch, einen Kanon des deutschsprachigen Dokumentarfilms zu erstellen. Mit ca. 140 Titeln wird eine beachtliche Anzahl von Filmen in ausführlichen Besprechungen unter Zuhilfenahme von ergänzenden Pressezitaten und weiterführenden Literaturhinweisen gründlich analysiert und vorgestellt. Vorangestellt ist eine kurze, prägnante Einführung in die »Geschichte des Dokumentarfilms im deutschsprachigen Raum«. Kleine s/w-Abbildungen, gelungene Auswahl. Ein informatives Werk mit Grundlagencharakter.
Greif zur Kamera, gib der Freizeit einen Sinn. Amateurfilm in der DDR
von Ralf Forster. München: et+k 2018.
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Während Forschung und Publikationen zur Amateurfilm-Gattung international länger etabliert sind, sind deutschsprachige Publikationen zum Thema immer noch eine Ausnahme. Mit seiner 510 Seiten umfassenden Buchpublikation »Greif zur Kamera. Amateurfilm in der DDR« legt Ralf Forster ein Standwerk zu einer bislang kaum erfassten, kaum erforschten Kultur des Filmmachens in Deutschland dar und leistet dabei einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung (ost-)deutscher bzw. (ost-)europäischer Filmgeschichte jenseits des industriellen Kinos. Das akribisch recherchierte, reichlich illustrierte Buch ist in der Film-Erbe-Reihe des Verlags et+k München erschienen und weist die von dieser Reihe gewohnt hohe Qualität auf. Eine beigelegte DVD mit 16 Filmen macht das Werk der DDR-Filmamateure auf exemplarischer Weise sichtbar.
I do not get rid of the ghosts. Zur Exilerfahrung in den Filmen Fred Zinnemanns
von Imme Klages. Marburg: Schüren 2018
→ zur Verlagsseite In Studien zu Autorenfilmmacher*innen bleibt der Name Fred Zinnemann meist außen vor, obwohl er für mehrere unumstrittene Filmklassiker verantwortlich zeichnete. Auch in Publikationen zum Filmexil taucht der aus der Österreich-Ungarischen Monarchie stammende Regisseur eher nur ansatzweise auf. Imme Klages Monografie, die erstmalig die Exilerfahrung in den Filmen Zinnemanns anhand drei ausgewählter Beispiele tiefgehend untersucht, füllt daher eine doppelte Forschungslücke aus. Dank einer ausführlichen Zusammenfassung des Themas Filmexil im einleitenden Kapitel des im Schüren Verlag erschienenen Buches können sowohl Einsteiger*innen als auch Expert*innen von der Lektüre gleichermaßen profitieren. Ebenfalls erwähnenswert ist in diesem Kontext der 70 Seiten umfassende Anhang, in dem eine ganze Reihe von wertvollen Primärquellen als Faksimile und/oder Transkription für die Leser*innen zugänglich gemacht werden.
Sie. Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme
Herausgegeben von Cornelia Klauß, Ralf Schenk. Berlin: Bertz+Fischer 2019.
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»Sie. Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme« ist ein sehr ambitioniertes und reichhaltiges Buch, das die Frauen in den Fokus stellt und damit in unserer noch immer patriarchalen Filmkultur einen wichtigen Perspektivwechsel vornimmt. Nacheinander werden die knapp 60 Regisseurinnen der DEFA anhand von Archivmaterial vorgestellt. Die Texte sind biografisch und geschichtlich ausgerichtet und dabei häufig sehr lebhaft geschrieben, sodass Leser*innen ein Bild von der Frau, ihrer Arbeit, ihren Arbeitsbedingungen und der Zeit bzw. den sozialen und kulturellen Kontexten bekommt. Zahlreiche Porträtfotografien, Szenenaufnahmen und Schnappschüsse flankieren die Texte und vertiefen den Einblick.
Andres Veiel. Streitbare Zeitbilder
von Claudia Lenssen. Marburg:Schüren 2019.
→ zur Verlagsseite Andres Veiels medienübergreifendes Werk wird nur selten in seinem ganzen Umfang gewürdigt. Oft bleibt die Betrachtung auf einen der Aspekte – die Dokumentarfilme oder die Theaterstücke – beschränkt. Die Berliner Filmkritikerin Claudia Lenssen hat mit »Andres Veiel. Streitbare Zeitbilder« nun im Schüren Verlag eine umfassende Auseinandersetzung mit Veiel vorgelegt. Viel Wert legt Lenssen auf die Darstellung Veiels als politischer Künstler. Ein ausführliches Interview und Werkanalysen all seiner Arbeiten machen den Band unverzichtbar für alle, die sich für den Dokumentarfilm in Deutschland oder Kunst als politische Intervention interessieren.
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Die Jury zeichnete in der Kategorie DVD/Blu-ray aus:
Münchhausen
Regie: Josef von Báky. 2 Blu-rays/DVDs mit 3 Fassungen. Inkl. Bonusmaterial.
Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung/Universum Film 2019.
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Die Edition ist eine großartige Produktion für Filmhistoriker*innen und Liebhaber*innen von Film, bzw. genauer: Filmmaterialität. Es ist immer noch eine Ausnahme, dass drei unterschiedliche Fassungen desselben Films in einer Edition vereint sind. Allein aus diesem Grund sticht die neue Ausgabe des deutschen Farbfilmklassikers unter den vielen hochwertigen, lobenswerten Editionen hervor. Neben der 2017 auf dem Filmfest München uraufgeführten restaurierten deutschen Verleihfassung sind auch die farbrestaurierte Exportfassung und die erst kürzlich in Moskau wiederentdeckte Premierenfassung mit zusätzlichem Material vollständig auf der DVD- bzw. Blu-ray-Edition vorhanden. Somit kann die Ausgabe auch als »Studienedition« angesehen werden. Mit den verschiedenen Versionen des Klassikers MÜNCHHAUSEN lässt sich nicht nur die Geschichte und Entwicklung dieses einen Films, sondern auch diverse übergeordnete Filmthemen wie Farbe, Rhythmus und Dramaturgie erforschen. Die bereits auf der 2005er Edition vorhandene Dokumentation von den Farbfilmhistorikern Gert und Nina Koshofer ist hier wieder dabei und leistet vieles zur Vermittlung des historischen Hintergrunds zum Film auf produktionskultureller Ebene. Ergänzt wird das AV-Angebot um ein informatives Booklet.
Für die Shortlist der Kategorie DVD wurden die folgenden DVD-Editionen
ausgewählt:
Der Gang in die Nacht
Regie: Friedrich Wilhelm Murnau. Inkl. Live-Mitschnitt der Musikbegleitung. 2 DVDs ausführliches Booklet. Edition Filmmuseum 2018.
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Rekonstruktion eines melodramatischen Frühwerks von Friedrich Wilhelm Murnau nach einem Drehbuch von Carl Mayer, bei der man sich mit der neu komponierten Orchestermusik von
Richard Siedhoff besonders viel Mühe gegeben hat. Bonus: »Musik für Murnau«, ein halbstündiges Special über Rekonstruktion und Einspielung der neuen Musik. Ebenfalls im Bonusmaterial: der auf dem Cover leider (man könnte auch sagen sträflicherweise) vernachlässigte Klassiker SCHERBEN von Lupu Pick, ein weiterer Film nach einem Drehbuch von Mayer, sowie ein Beiheft mit ausführlichen Informationen zu beiden Filmen und zu Carl Mayer. Wie bei dem Label üblich, wieder eine schöne und überdurchschnittliche Edition zweier bisher nicht auf DVD veröffentlichter Werke von drei wesentlichen Figuren der deutschen Stummfilmgeschichte.
Geschichte vom Kübelkind
Regie: Ulla Stöckl und Edgar Reitz. Blu-ray. Ausführliches Booklet. Studiocanal 2019.
→ zur Verlagsseite Ohne Aussicht auf realisierbare Spielfilm-Projekte begannen Ula Stöckl und Edgar Reitz Ende der 1960er Jahre eine Reihe von anarchisch-subversiven Kurzfilmen um das antiautoritäre Kübelkind zu drehen, das in der Gestalt einer ebenso naiven wie attraktiven Kindfrau daherkommt. Die Filme entstanden ohne Drehbuch und Budget, mit Laiendarstellern und wurden nur selten öffentlich aufgeführt. Erst mit den Jahren bekamen sie eine Reputation als cineastischer Geheimtipp und erlangten Kultstatus, auch wenn sie heute inhaltlich etwas angestaubt wirken mögen. Diese Veröffentlichung enthält alle 23 produzierten Filme, wobei die zufällige Abspielreihenfolge ein netter Gimmick ist, um dem Zuschauer die originale Präsentationsweise zu vermitteln; dazu ein Booklet mit Interviews mit beiden Filmmachern sowie eine ebenso informative wie unterhaltende
lange Dokumentation.
Mord und Totschlag
Regie: Volker Schlöndorff. DVD / Blu-ray. Inkl. Bonusmaterial. Subkultur 2019.
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→ zur InformationsseiteEdition Deutsche Vita hat hiermit eine überdurchschnittlich gute
Ausgabe herausgebracht, die ein ungewöhnliches Werk eines der wichtigsten lebenden deutschen Filmmacher wieder verfügbar macht und dabei eine Lücke für Schlöndorff-Begeisterte sowie für Genrekinofans füllt. Die Edition ist liebevoll produziert mit hochqualitativer Verpackung – ausgestattet mit Extras wie einem Begleitheft, in dem ein Auszug aus Schlöndorffs Autobiographie zu lesen ist, und dem Zusatzmaterial, in dem man weitere informative Interviews mit dem Regisseur und dem Darsteller Hans Peter Hallwachs findet. Die Produktion mutet trotz einiger Außenaufnahmen in den Straßen wie ein intensives Kammerspiel in einem Zimmer an, in dem die Protagonistin ihren (Ex-)Freund erschießt und von wo aus sie die Leiche letztlich entfernen muss. Die Geschichte ist unkonventionell erzählt und erinnert in vielen Details an die Leichtigkeit der Nouvelle Vague. An der Filmmusik haben last but not least zwei Mitglieder der Rolling Stones mitgearbeitet.
Der Hund von Baskerville
Regie: Richard Oswald. 2 Fassungen. DVD & Blu-ray. Inkl. Bonusmaterial. Booklet. Flicker Alley 2019.
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Für vorbildliche Editionen zur deutsch(sprachig)en Filmgeschichte lohnt immer ein Blick ins Ausland. Das amerikanische Label Flicker Alley macht mit ihrer Ausgabe von Richard Oswalds DER HUND VON BASKERVILLE (D 1929) einen für lange Zeit verschollen geglaubten deutschen Stummfilm in einer digital restaurierten Fassung erstmals für das Heimkino zugänglich. Als wäre das nicht genug, findet man auf der Blu-ray-Scheibe der ohne Regionalcode versehenen »Dual Format«-Edition, die auch eine DVD im NTSC-Format enthält, zusätzlich eine frühere, ebenfalls in Deutschland produzierte Verfilmung des gleichen Stoffes aus dem Jahr 1914 in einer bislang nicht veröffentlichten Rekonstruktion des Münchner Filmmuseums. Beide Verfilmungen sind von soliden Orchester- bzw. Klaviermusiken der renommierten deutschen Stummfilmbegleiter Günter Buchwald und Joachim Bärenz untermalt. Zwei informative Videofeatures, die durch Experteninterviews den Film kontextualisieren und die Restaurierungsarbeit erläutern, sowie ein Booklet mit einem Aufsatz des amerikanischen Filmhistorikers und Sherlock-Holmes-Experten Russell Merritt runden das lobenswerte Paket ab.
Jenseits von Golzow. 15 Filme von Barbara und Winfried Junge 1964 - 1990
Regie: Barbara und Winfried Junge. 2 DVDs. Ausführliches Booklet. absolut Medien 2019.
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Das Dokumentarfilmer-Paar Barbara und Winfried Junge wird heute im Allgemeinen mit der Langzeitstudie DIE KINDER VON GOLZOW verbunden. Die Vielseitigkeit ihres dokumentarischen Schaffens gerät dabei leicht aus dem Blick. Mit der DVD-Edition »Jenseits von Golzow«, die die DEFA-Stiftung in Kooperation mit dem Label absolut Medien herausgegeben hat,
wird diese Lücke nun geschloßen. Die Edition vereint 15 kurze und mittellange Dokumentarfilme, die in der Zeit zwischen 1964 und 1990 im Auftrag der DEFA entstanden sind und nicht chronologisch, sondern thematisch
auf die zwei Scheiben verteilt sind. Die Filme werden begleitet und kontextualisiert durch ein Booklet, das der Edition als pdf beigefügt ist und auf 576 (!) Seiten eine Schatztruhe an Text- und Bild-Materialien verbirgt. Eine vorbildliche Edition.
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Zudem wurde für folgende Publikationen eine LOBENDE ERWÄHNUNG ausgesprochen:
Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen
Herausgegeben von Karin Herbst-Meßlinger, Rainer Rother. Berlin: Bertz+Fischer 2019.
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Der Begleitband zur Retrospektive der diesjährigen Berlinale, in der es um das Filmschaffen von Filmmacherinnen in BRD und DDR zwischen den 1960er und den 1990er Jahren geht, beinhaltet hochinformative Essays, ausgezeichnetes Bildmaterial und ein tolles Layout. Überzeugend verfasst, wechseln Close Reading einzelner Filme mit Beiträgen ab, die eher einen Überblick bieten. Satz und Bildqualität sind hervorragend.
Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen
Regie: divers. 2 DVDs. Ausführliches Booklet. absolut Medien 2019.
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Die Edition »Selbstbestimmt« versammelt zahlreiche bekannte und unbekanntere Filme von Frauen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gedreht wurden und so etwas wie eine weibliche Perspektive erkunden. Es ging den Frauen nicht nur darum, neue Bilder von Weiblichkeit zu erschaffen (jenseits der klassischen Rollen), sondern auch eine eigene künstlerische Handschrift zu entwickeln. Insofern vermittelt diese Zusammenstellung von Filmen von Ula Stöckl, May Spils, Gitta Nickel, Christine Noll Brinckmann und vielen anderen den konzentrierten Einblick in eine (Such-)Bewegung. Zu den Filmen gibt es ein kurzes Booklet mit Einführung, das die Auswahl rahmt.
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