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Pressespiegel
zum cinefest 2012
(Auswahl)


In jeder Hinsicht unmöglich
Dem ästhetischen Aufbruch im deutschen Kino der frühen 1960er Jahre widmet sich eine neue Reihe im Zeughauskino

Will Tremper ist „in jeder Hinsicht unmöglich“, schrieb der Kritiker Uwe Nettelbeck im Jahr 1966 anlässlich des Films „Playgirl“. Er beschrieb mit dieser Formulierung eine ästhetische Position im deutschen Kino, die zwischen einem Interesse an kommerziellen Formen und dem strengen Bildungsideal der Oberhausener Reformisten originäre Lösungen suchte. Tremper wurde damals sofort der leichten Muse zugeordnet, denn er arbeitete in Metiers, die mit der Hochkultur nicht viel zu schaffen haben.
So schrieb er etwa einen „Illustrierten-Roman“, aus dem 1959 der Film „Menschen im Netz“ wurde, auf Grundlage eines Drehbuchs von Herbert Reinecker. Es ist eine ziemliche Kolportage-Story: Klaus Martens sitzt in der DDR unschuldig im Gefängnis, seine Frau Gitta lebt in der Bundesrepublik, sie wird vom kommunistischen Geheimdienst angeheuert, nur so kann sie dem Mann die Freiheit verschaffen. Gitta stirbt, Klaus gerät in Lebensgefahr. Im Zeughauskino läuft „Menschen im Netz“ an diesem Freitag in einer Reihe mit dem Titel „Kalter Krieg und Film-Frühling“, die auf einer Veranstaltung von CineGraph Hamburg und Bundesarchiv-Filmarchiv aus dem vergangenen Herbst beruht. Als „Internationales Festival des deutschen Film-Erbes“ tourt das Programm bis nach Italien, nun macht es in Berlin Station.
Das deutsche Kino der frühen 1960er Jahre stand natürlich unter dem Eindruck des wesentlichen historischen Faktums dieser Zeit. 1961 wurde in Berlin die Mauer errichtet, die bis zu diesem Zeitpunkt noch durchlässige Grenze wurde geschlossen, Deutschland wurde endgültig zu einem Epizentrum des Kalten Kriegs. „Menschen im Netz“ stellt einen Versuch dar, die große Geschichte mit dem Leben der einfachen Menschen zu vermitteln. Das „Netz“ der internationalen Institutionen verweist auf die staatliche Kriminalität der Geheimdienste, denen sich auch unbescholtene Bürger nicht entziehen können.
Will Tremper hatte mit dem Film schließlich nicht viel zu tun, längst hatte er zu diesem Zeitpunkt mit „Flucht nach Berlin“ selbst etwas zum Thema beigesteuert. Das Zeughaus zeigt allerdings erst den nächsten Tremper-Film, „Die endlose Nacht“ aus dem Jahr 1963, in dem Reisende auf dem Flughafen Tempelhof wegen Nebels festsitzen. Diese Zufallsmenge an Schicksalen durchquert Tremper in seinem für die damalige Zeit ungewöhnlichen Ensemblefilm. „Die endlose Nacht“ lässt sich auch auf das zweite wesentliche Datum beziehen, das für die Schau „Kalter Krieg und Film-Frühling“ relevant ist. 1962 veröffentlichte eine Gruppe innovativ denkender Filmschaffender das „Oberhausener Manifest“, an dem fortan fast alles gemessen wurde, was der deutsche Film hervorbrachte, auch Trempers Nonkonformismus.
Im Zeughaus kann man nun sehen, wie vielfältig die Innovationslandschaft des Kinos damals war - nicht nur im Westdeutschland, sondern auch in der DDR, wo Regisseure wie Ralf Kirsten („Beschreibung eines Sommers“), Joachim Hasler („Chronik eines Mordes“) oder Egon Günther („Lots Weib“) eigene Wege zu gehen versuchten. Dazu kommt natürlich Konrad Wolfs „Der geteilte Himmel“, nach dem Roman von Christa Wolf, ein unübertroffenes Dokument für die Sensibilität einer Jugend, die der Ideologie des Patriarchats zu entkommen sucht. Ein Blick über die Grenze in die Tschechoslowakei, wo sich in diesen Jahren der Prager Frühling schon künstlerisch vorbereitete, trägt wesentlich zur Differenzierung des Befundes von „Kalter Krieg und Film-Frühling“ bei. Man muss sich nur den Episodenfilm „Perlen auf dem Meeresgrund“ ansehen, hinter dem als erzählerische Instanz der große Bohumil Hrabal steht, um geradezu körperlich zu verspüren, wie sehr damals Geschichte unter die Haut ging. Das beste Kino war das, das dieses Zittern registrierte und sich damit häufig „in jeder Hinsicht unmöglich“ machte.
 (Bert Rebhandl, taz, 03.01.2013)

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Die Leichtfüßigen und die Mutigen
Das Cinefest über die frühen 1960er Jahre im deutschen Kino

Literaten, die ein Filmstudio aufbauen, Autodidakten, die verrückte Beziehungs­geschichten drehen, ein Zeitungsreporter, der zum Regisseur wird - Anfang der 1960er-Jahre war im deutschen Film alles möglich - wenn man mutig war. Was jenseits des Oberhausener Manifests in die­sen Jahren noch passierte, prä­sentierte das Cinefest, das in­ternationale Festival des deut­schen Filmerbes, in Hamburg (17.-25.11.).
Die frechsten Filme stammten von dem 1963 gegründeten Literarischen Colloquium Berlin (LCB). Der offene Literatenzirkel in einer Villa am Wannsee betrieb ein Weines Filmstudio, eine „Außenseiter-Einrichtung, die nichts mit der Filmbranche zu tun hatte“ (Michael Töteberg). Die ersten humorvollen Kurzfilme waren verspielt und arbeiten bereits mit Tricks. Mit viel Witz verfasste der Schriftsteller Peter Rühmkorf ein Drehbuch über eine Partnersuche, aus dem Helmut Herbst (mit Robert van Ackeren als Kameramann) eine Mischung aus Spiel­film und Zeichentrick-Collage machte: „Abends, wenn der Mond scheint“ (1964/65). Ein junger Mann und eine junge Frau geben eine Heiratsannonce auf und finden sich. Beim ersten Treffen sind sie locker und kühl zugleich; doch je mehr der Alltag einbricht, desto ausgelassener werden die Anspielungen auf klassische Rollenklischees, aber auch auf Werbespots und den Zeitgeist. Es war der zweite Film des LCB nach „In-Side-Out“ (1964), in dem ein verliebter junger Mann die Aufmerksamkeit eines hübschen Mädchens gewinnen will. Regisseur George Moorse läutete damit den Trend zum Experimentalfilm bei der LCB-Filmern ein. Helmut Herbst drehte auch die schöne Kurzkomödie „Der Hut“ (1964/65) nach einem Text von Peter O. Chotjewitz.
Diese kaum bekannten Filme zeigen, dass es Autoren gab, die direkt am Film arbeiten wollten, und Jungfilmer, die munter mit allen Konventionen brachen - mehr noch als jene Autodidakten, die parallel im München Kurzfilme über ihrem Alltag drehten, etwa Rudolf Thome, Klaus Lemke und Max Zihlmann. Heute verblüffen nicht nur die Leichtigkeit und Lockerheit, mit der diese ihre Paargeschichten erzählen: Thome mit „Die Versöhnung“ (1964), Lemke mit „Kleine Front“ (1964/65) und „Henker Tom“ (1966), Zihlmann mit „Frühstück in Rom“ (1965); sichtbar wurde auch, wie wichtig damals das Thema „Ehe“ unter jungen Leuten war, das so gar nicht zur Atmosphäre der Filme passen will. Interessant auch, dass die „Münchner Gruppe“, gern als Gegensatz den Oberhausenern erwähnt, von den drei Filmemachern gar nicht als Gruppe verstanden wurde, auch wenn sie anfangs bei jedem Film zusammenarbeiteten.
Kurzgeschichten, zum langen Spielfilm kombiniert, zeigt der mit Abstand beste Film des Festivals: „Die endlose Nacht“ (1963) von Will Tremper. Allein schon wegen seines Schauplatzes mutet der Film nostalgisch an: Er wurde komplett im Flughafen Tempelhof in Berlin gedreht, wo Passagiere wegen Nebel festsitzen und keine Möglichkeit haben, auf die Schnelle aus Berlin durch die DDR nach Westdeutschland zu kommen. So warten sie und bringen die Miseren ihres Lebens ans Licht: das Starlet, das kein Geld dabei hat, aber zu stolz ist, sich einladen zu lassen (Hannelore Elsner); der Unternehmer (Harald Leipnitz), der auch kein Geld, aber 300.000 Mark Schulden hat und deswegen Unterschriften gefälscht; zwei alte Damen, die dem Schnaps zusprechen; zwei junge Ganoven, die das Starlet abschleppen wollen ; ein Schauspieler, der die Wunschrolle seines Lebens verpasst. Die Weite der Flughafenhalle, die falschen Hoffnungen, Flirts und Ehebrüche, das alles wird stilsicher kombiniert und inszeniert - obwohl es gar kein Drehbuch gab, sondern viel improvisiert wurde.
„Die endlose Nacht“ würde sich gut als Ansatz für eine Dis­kussion darüber eignen, was die Filme von damals mit denen des Nachwuchses von heute verbindet, der sich in einer ganz anderen Art des Umbruchs zwischen dem Alten und dem Neuen befindet.
(Andrea Dittgen, Film-Dienst, 26/2012)

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Kreative unruhige Zeiten
Jenseits von Oberhausen: Das Kino der frühen 1960er Jahre

Es lässt sich glaube ich nicht verneinen, dass wenn die Rede vom Kino der frühen 1960er Jahre ist, unweigerlich das Oberhausener Manifest von 1962 und die damit verbundene Absage an Papas Kino seinen Schatten wirft. Doch die 60er Jahre waren, wie der von CineGraph veranstaltete 25. Internationale Filmhistorische Kongress gezeigt hat und trotz der weltpolitischen Umwälzungen die im Gange waren, beider Seiten des Eisernen Vorhangs kreativ und vielseitig.
Die 1960er Jahre entpuppen sich als eine kreative Zeit, in der nicht nur der politische Status Quo zu wanken beginnt, sondern auch der des damaligen Kinos. Das Kino mit seinen Möglichkeiten, wird auch zu einem Sprachrohr, einem Vehikel einer jungen und kreativen Generation. […]
[…]
Clouzots L’ENFER aus dem Jahr 1964 steht in gewisser Hinsicht paradigmatisch für diese kreative unruhige Zeit Anfang der 1960er Jahre: Genauso wie viele der Strömungen und Bewegungen in dieser Zeit, versuchte auch der Film die bis dato bestehenden Formen und Grenzen des Kinos zu übertreten und filmisches Neuland zu beschreiten. In vielen Fällen waren diese Versuche nicht immer von langer Dauer, von wenig Erfolg gekrönt und erscheinen im Nachhinein, wie z.B. die mangelnde Vernetzung der Gruppen in Hamburg, West-Berlin und München, wie eine verpasste Chance, eben ein Scheitern. Doch sie haben alle – und das ist der zentrale Punkt des Kongresses – eine wichtige Stelle in der Filmgeschichte und sollten nicht weiter im Schatten von Oberhausen betrachtet werden.
(Dennis Basaldella, Fragment Film, 02.12.2012
abrufbar unter http://fragmentfilm.de/2177/kreative-unruhige-zeiten)

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„Die endlose Nacht“ – Ohne Drehbuch in Tempelhof
Am Schlusswochenende des Cinefests stellt Hannelore Elsner ihren frühen Film „Die endlose Nacht“ vor.

Wer im Zusammenhang mit Berlin den Begriff Flughafen erwähnt, landet schnell beim Großprojekt „Willy Brandt“. Kenner des deutschen Films werden ihn vielleicht eher mit Will Tremper und Tempelhof in Verbindung bringen. Der Regisseur drehte dort 1962/63 einen der interessantesten Filme der frühen 60er-Jahre. In „Die endlose Nacht“ sitzen Passagiere wegen Nebels im Flughafen fest. „Wegen schlechter Wetterlage müssen heute alle Flüge nach Westdeutschland ausfallen. Ebenso ist vor morgen früh nicht mit Landungen in Berlin-Tempelhof zu rechnen.“ Diese Nachricht bringt die Pläne der Reisenden durcheinander. Tremper erzählt von mehreren Schicksalslinien, die sich im Flughafen in einer Nacht kreuzen. Berlin ist von der Außenwelt an diesem Abend abgeschnitten. Das Cinefest zeigt den Film am Sonnabend im Metropolis. Hannelore Elsner und Trempers Sohn Tim stellen ihn vor.
Hannelore Elsner spielt in einer der Handlungsebenen das Starlett Sylvia Stössi. Sie kommt vom Friseur zu spät zur Abfertigung, hat kein Geld, kein Anrecht auf Essengutschein und Übernachtung. Vergeblich versucht sie, sich zum Abendessen einladen zu lassen. „Will Tremper hat mich gerufen. Ich habe alles liegen und stehen gelassen und bin nach Berlin geflogen. Das hatte viel mit meiner damaligen Unbekümmertheit zu tun“, erinnert sich die Schauspielerin im Gespräch mit dem Abendblatt. Der Regisseur, der schon als Drehbuchautor von „Die Halbstarken“ frischen Wind ins deutsche Kino gebracht hatte, setzte auf Spontaneität. Er hatte weder ein fertiges Drehbuch, noch war die Produktion komplett finanziert. Tremper verpfändete persönlichen Besitz und lieh sich Geld von Freunden.
„Als ich in Berlin ankam, wusste er noch gar nicht genau, wie er meine Rolle gestalten sollte. Dann ist uns aber doch immer etwas eingefallen“, sagt Elsner. Das schwarze Kleid mit den Spaghettiträgern, in dem sie spielt, hatte sie selbst von zu Hause mitgebracht. Sie war Anfang 20, „Die endlose Nacht“ war der „erste gute Kinofilm, den ich machen durfte“, schreibt sie in ihrer Autobiografie. „Ich habe damals ohnehin auch im Leben viel improvisiert, wollte nicht ganz schnell Karriere machen, sondern war einfach neugierig auf alles. Einen Kinofilm zu drehen war dazu ein unheimlich schöner Anlass.“
[…]
Vier Bundesfilmpreise gewannen Tremper und sein Team 1963 für das melancholisch-heitere Werk. Als die Schauspielerin vor neun Jahren beim Filmfest Emden geehrt wurde, wünschte sie sich den in Vergessenheit geratenen Film. Man fand eine ramponierte Kopie in der Schweiz. „Ich fand ihn beim Wiedersehen großartig.“ Er lief danach beim Fünf-Seen-Filmfestival in Starnberg, wurde im Filmmuseum Frankfurt gezeigt. Volker Schlöndorff, Wolfgang Rademann und Klaus Lemke schwärmen von Trempers Arbeit. Jetzt sind Cineasten wie die Mitglieder der „Schätze des deutschen Films“ und auch das Cinefest wieder auf ihn aufmerksam geworden. Er wurde liebevoll restauriert und digitalisiert und erscheint auf DVD. „Dieser Film ist ein Kleinod“, findet Elsner. „Er hätte beinahe verloren gehen können.“
(Volker Behrens, Hamburger Abendblatt, 24.11.2012)

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Kalter Krieg und Film-Frühling
Internationales Festival des deutschen Film-Erbes: Cinefest 2012 im Metropolis

Zum neunten Mal werden Filmklassiker und verloren geglaubte Schätze des deutschsprachigen und europäischen Filmerbes im Ham­burger Metropolis präsentiert. „Cinefest“ findet alljährlich in Hamburg, Berlin, Prag, Udine, Wien, Wiesbaden und Zürich statt und arbeitet mit zahlreichen nationalen und internationalen Archiven und Institutionen zusammen.
In diesem Jahr dreht sich alles um das Kino der frühen 60er-Jahre - Krisenzeit für das Kino der Bundesrepublik und der DDR. Gleichzeitig versuchten junge und etablierte Filmschaffende in beiden Teilen Deutschlands sowohl ästhetisch als auch inhaltlich neue Wege zu gehen, sich aus der Starre zu befreien. Vom 17. bis 25. November können Filmliebhaber in 27 Programmen interessante Aufbruchver­suche dieser Zeit auf der großen Leinwand kennenlernen.
Zwei Programme mit kurzen Experimental-, Animations- und Spielfilmen von Wolfgang Ramsbott, George Moorse, Helmut Herbst, Franz Winzentsen, Hell­muth Costard, Klaus Lemke und Rudolf Thome (21.11. 17 Uhr und 23.11. 17 Uhr) werden umrahmt von zahlreichen DEFA-Produktionen, Filmen von Nachwuchsre­gisseuren der DDR wie auch bundesrepublikanischem Kino, das sich mal satirisch, mal tragikomisch, mal semidokumentarisch mit der neuen deutschen Wirklichkeit auseinandersetzt, sich unbewältigter Vergangenheit annähert oder düstere Szenarien entwirft.
Um nur einige der Regisseure zu nennen, es werden Filmperlen von Bernhard Wicki, Jiri Menzel, Will Tremper, Konrad Wolf, Henri Georges Clouzot, Milos Forman, Frank Beyer, Franz Peter Wirth oder Wolfgang Neuss gezeigt, alle Vorführungen werden durch fachkundige Einführungen begleitet.
Auch Hamburger Lokalkolorit darf nicht zu kurz kommen, „Polizeirevier Davidswache“ (BRD 1964, Regie: Jürgen Roland, Buch: Wolfgang Menge, mit Wolfgang Neutze, Hannelore Schroth und Wolfgang Kieling) erzählt von zwei schicksalhaften Tagen im Leben eines Polizisten und eines Berufskriminellen. Der Film, ganz dem ungeschminkten Reeperbahn-Milieu verpflichtet, war ein
Herzensprojekt des ehemaligen Polizeireporters Jürgen Roland. „Polizeirevier Davidswache“ läuft am 20.11 um 19 Uhr, Einführung Olaf Brill, und nochmals am 28.11. um 20 Uhr im Koralle Kino.
Besondere Gäste wie Wolfgang Kohlhaase, Jutta Hoffmann und Loni von Friedl haben sich angekündigt, zur Cinefest-Eröffnung am Samstag (19.30 Uhr) wird dem französischen Filmkritiker Bernhard Eisenschütz für seine Verdienste um das deutsche Filmerbe der Reinhold-Schünzel-Preis verliehen. Im Anschluss an die Verleihung läuft als Festival-Querschnitt ein Programm mit Kurzfilmen.
(Ulrike Mau, Die Welt, 15.11.2012)

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Das Alte und das Neue
Unter dem Titel „Kalter Krieg und Film-Frühling“ widmet sich das Cinefest mit Filmen aus den beiden deutschen Staaten, Frankreich und der Tschechoslowakei dem Kino der frühen 60er Jahre.

Beim Cinefest, dem Internationalen Festival des deutschen Film-Erbes, ist die Filmgeschichte nichts ein für allemal Festgeschriebenes. […]
Mag der 50. Jahrestag des Oberhausener Manifests auch der Anlass gewesen sein, das Festival und den darin eingebetteten filmhistorischen Kongress dieses Jahr dem Kino der frühen sechziger Jahre zu widmen, so ist auch der Blickwinkel auf die Filmproduktion jener Zeit auch hier wieder ein eher ungewohnter. Gezeigt werden nämlich weder Filme aus der französischen Nouvelle Vague noch die ersten filmischen Gehversuche der Oberhausener oder Alexander Kluges „Abschied von Gestern“, mit dem der Neue Deutsche Film - freilich auch erst vier lange Jahre nachdem Papas Kino 1962 für tot erklärt worden war - seinen Durchbruch erlebte. Zu sehen ist stattdessen mit „Das Haus in der Karpfengasse“ einer der wenigen Versuche der etablierten Altbranche sich der NS-Vergangenheit zu stellen. Der eigentlich auf Komödien spezialisierte Kurt Hoffmann verstand seine Elegie gegen das Vergessen als „Akt der Wiedergutmachung“. Lange nicht zu sehen gewesen - und bis heute nicht auf DVD erschienen - ist „Das Wunder von Malachias“, Bernhard Wickis puzzleartig angelegter Rundumschlag gegen die westdeutsche Wirtschaftswunder-Gesellschaft. Ein von der Industrie geduldeter Einzelgänger wie Wicki war auch der Kabarettist Wolfgang Neuss, der mit „Genosse Münchhausen“ an seinen Erfolgsfilm „Wir Wunderkinder“ anknüpfte.
Gleiches gilt für den Schriftsteller Will Tremper, dem mit „Die endlose Nacht“ ein mit minimalem Budget gedrehter Ensemblefilm über eine auf dem Flughafen Tempelhof festsitzende Gesellschaft im Wartemodus gelang. Seinerzeit kaum beachtet und erst in jüngerer Zeit wiederentdeckt wurde „Zwei unter Millionen“. Victor Vicas und Wieland Liebske erzählen ihre Ost-West-Liebesgeschichte mit Hardy Krüger und Loni von Friedl in den Hauptrollen nicht nur mit großem Feingefühl, sondern fangen in ihren unprätentiösen Schwarzweißbildern auch die Berliner Lebensverhältnisse im Jahr des Mauerbaus sehr genau ein. Mit ersten Kurzfilmen betraten 1964 die „Jungen Münchner“ um Klaus Lemke und Rudolf Thome die Szene und gingen - indem sie den Hollywood-Verehrern von der Nouvelle Vague nacheiferten - auf sichere Distanz zu den verkniffenen Oberhausenern. Lemke: „Wir waren damals einfach 50 Jahre jünger.“
Spätestens seit der Wiederentdeckung der auf dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 verbotenen DEFA-Filme wie „Spur der Steine“ sind die zum Teil nicht weniger systemkritischen Filme aus den Jahren davor - von Konrad Wolfs Christa Wolf-Verfilmung „Der geteilte Himmel“ abgesehen - ein wenig in Vergessenheit geraten. Kein großer Erfolg war bei seiner Uraufführung 1961 „Der Fall Gleiwitz“, in dem Regisseur Gerhard Klein und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase den fingierten Überfall auf den Sender Gleiwitz, der Hitler den Vorwand für den deutschen Überfall auf Polen lieferte, als stilisierte „Dokumentation mit künstlerischen Mitteln“ in Szene setzten. Den Nerv des Publikums traf dagegen ein Jahr später „Beschreibung eines Sommers“. Rolf Kirstens auf einer Großbaustelle angesiedelte Liebesgeschichte mit Manfred Krug in der Hauptrolle wirkt zuweilen wie eine Vorstudie zu Frank Beyers drei Jahre später gedrehtem „Spur der Steine.“
Dass der Hauch von Freiheit, der durch die DEFA-Filme jener Jahre wehte, nicht wenig von der tschechischen Neuen Welle inspiriert war, wird beim Cinefest ebenso deutlich wie Henri-Georges Clouzots - von Serge Bromberg 2009 ausgegrabenem und dokumentiertem - Versuch mit „L'enfer“ den längst verlorenen Anschluss an die Godards und Truffauts wiederherzustellen.
(Eckhard Haschen, taz, 15.11.2012)

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"Dazwischen"

Unspektakulär erscheint auf den ersten Blick das Thema des diesjährigen CineFests, des Hamburger filmhistorischen Festivals: das Kino der frühen 1960er-Jahre. Wie viel profilierter rufen sich die vorausgegangenen Fünfziger in Erinnerung mit den Stichworten Wirtschaftswunder, Kalter Krieg und Gerontokratie. Und erst recht die zweite Hälfte der Sechziger: Allzu oft mit der problematisch reduktiven Chiffre ,,1968" etikettiert, stehen sie für Jugendkult, Rebellion und das Explodieren erstarrter Fronten und Formen. Das vorbereitende Sichtungskolloquium in Berlin (3 .-6.5 .) machte deutlich: Gerade in diesem Dazwischen liegt der Reiz des Themas. Der Kalte Krieg war noch keineswegs vorbei, wie 1961 der Berliner Mauerbau und damit die Schließung des letzten Schlupflochs in der DDR-Staatsgrenze und 1962 die Kuba-Krise zeigten. Andererseits lassen sich bereits vor 1965 vielfältige Anzeichen des sich vorbereitenden Aufbruchs ausmachen.
Filmhistorisch ist die Periode eingebettet zwischen den ersten Kinofilmen des Free Cinema und der Nouvelle Vague sowie dem Durchbruch des Neuen Deutschen Films. Dieser kündigt sich schon 1962 mit dem "Oberhausener Manifest" an, doch die
meisten Unterzeichner bleiben noch einige Jahre auf Kurzfilme eingeschränkt. Spätestens als 1961 und 1962 bei der Verleihung der Deutschen Filmpreise die Auszeichnung für den besten Spielfilm nicht verliehen wurde, war die Krise des bundesdeutschen Films unübersehbar. Nicht dass die Altbranche sich Neuerungen völlig verschlossen hätte, doch blieben kritische Anläufe in der Konvention stecken und satirische Versuche gelangten kaum über das von Kurt Hoffmann 1958 in "Wir Wunderkinder" Erreichte hinaus. Bezeichnend für diese Halbherzigkeit wirkt Rolf Thieles Sittengemälde "Moral 63": Der Hirn über die Betreiberin eines Edelbordells, die verhaftet und am Ende, nachdem man ihre Verbindungen in "beste" Kreise hinein erfahren hat, wieder freigelassen wird, inspirierte sich an realen, dem Publikum damals bekannten Skandalgeschichten. Der narrative Einstieg ist vielversprechend: Die Dame beginnt zu reden, wird vom Reporter laufend korrigiert, wenn ihre Darstellung nicht den angeblichen Erwartungen der Leserschaft entspricht, die so zurechtgerückte Erzählung geht schließlich in eine Rückblende über. Dieser subjektive Ansatz wird jedoch alsbald vergessen, und der Film verfällt in jene Sensationsklischees, die er anfänglich zu kritisieren vorgab.
Entgegengesetzt verlief die Entwicklung in der DDR. Hier machte sich nach dem Mauerbau erstaunlicherweise für kurze Zeit eine Aufbruchsstimmung breit: Wenn die Außengrenze gesichert ist, sollte doch im Innern etwas mehr Freiheit möglich sein.
Frank Vogel nutzt sie in "Julia lebt" (1963) für ein differenziertes Panorama unterschiedlichster Haltungen zum sozialistischen deutschen Staat. Slatan Dudow (der gegen Ende der Dreharbeiten tödlich verunglückte) zeichnet in seinem unvollendeten Film "Christine" (1963) das neue Geschlechterrollenverständnis der Frauen und das kaum gewandelte der Männer mit einer Radikalität, die in manchem Egon Günthers "Der Dritte" (1971) vorwegnimmt. Die anfänglich auch von einigen Kulturfunktionären ermunterte Lockerung wurde 1965 radikal abgewürgt, indem man fast die ganze ahresproduktion in den Giftschrank verbannte.
Wie ergiebig das Neubesichtigen eines Kapitels Filmgeschichte sein kann, zeigt Stefan Uhers "Die Sonne im Netz" ("Slnko v sieti"). Dass der Prager "Filmfrühling" den politischen Ereignissen vorausgegangen, deren geistige Vorbeben geradezu seismografisch registriert hatte, ist bekannt, doch gelten als seine frühesten Beispiele gemeinhin die tschechischen Filme der Jahre 1963/64. So staunt man über Uhers Film (der zu seiner Zeit weder in der BRD noch in der DDR ins Kino kam): Er datiert von 1962 und kommt aus dem slowakischen Studio Bratislava. In wunderbar unkonventionellen Momenten und Bildideen schildert er illusionslos eine Welt mit viel Arbeit und wenig Glücksgefühlen. Wenn zum Zeitpunkt der spektakulären Sonnenfinsternis gerade Wolken den Himmel verdunkeln, werden die Leute auf die nächste totale Sonnenfinsternis vertröstet - die in 120 Jahren stattfinden soll. Man blickt gespannt dem Filmfest im November  entgegen, das einen breiteren Überblick - auch mit französischen Beispielen – bieten und das Thema im begleitenden Kongress vertiefen soll.
(Martin Girod, FilmDienst 13/2012)

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Pressespiegel
zum cinefest 2011
(Auswahl)

Das Gesetz in die eigene Hand nehmen
Cowboys und Indianer Die Filmschau „Europas Western“ im Zeughauskino versammelt Genreversuche der Stummfilmzeit, des Nationalsozialismus und des Kalten Krieges, darunter Beiträge aus der DDR und Rumänien

[…] Dass sogar im Hitler-Deutschland ein Western entstand, zeugt von der Popularität der zugrunde liegenden Formate, der billigen Romane, aber auch der Mythologie. Der Western ist ein Genre, in dem territoriale Expansion und anschließende Integration verhandelt werden – für ein Land, das Raum im Osten suchte, mussten die Parallelen auf der Hand liegen.
Wie man einer hochinteressanten Filmschau über „Europas Western“ im Zeughauskino entnehmen kann, war „Gold in New Frisco“ aber keineswegs der erste Versuch aus Europa, sich einen Reim auf das essentiell amerikanische Genre zu machen. „Po zakonu“ („Sühne“, 1926) von Lew Kuleschow entstand nach der Vorlage einer Geschichte von Jack London und macht sich ebenfalls ein Bild von einem Goldrausch. […]
Historisch wie geographisch gibt es in der Reihe „Europas Western“ bedeutende (Zeit-)Räume zu durchqueren. Es erweist sich, dass die Blüte des Genres in Amerika (im Wesentlichen von Ende der 1930er bis Ende der 1950er Jahre) in alle Richtungen abgestrahlt ist – sie findet sich vorbereitet eben auch in deutschen Genremischungen bei Phil Jutzi, der „Sensationsdramen mit wilden Reiterszenen“ drehte („Erblich belastet“, 1913), und sie führt später zu zahlreichen Versuchen, die mythischen Potenziale des Western in andere Formen einzubringen (interessantestes Beispiel dafür vielleicht: Peter Schamonis Komödie „Potato Fritz“, ein Irrläufer des Neuen Deutschen Films aus dem Jahr 1976).
Ein nicht unwichtiger Aspekt der Schau im Zeughauskino, die von Cinegraph Hamburg und Bundesarchiv Filmarchiv kuratiert wurde, betrifft die Logik des Kalten Kriegs, die eben nicht nur atomare Abschreckung mit sich brachte, sondern auch in vielen anderen Bereichen nach Gleichgewichtszuständen suchte. Dies machte im Ostblock Filme erforderlich, die es mit dem Western aufnehmen konnten. So sind die Sowjetunion, aber auch Rumänien und die Tschechoslowakei in der Schau vertreten und natürlich die DDR, die nicht nur mit „Tecumseh“ (1972) einschlägige Erfolge hatte.
Bezeichnend, wie man sich offiziellerseits damals um die Genrebezeichnung drückte: von einem „historischen Abenteuerfilm im Milieu der Indianer“ ist da umständlich die Rede. Die DDR-Western sind eine Reaktionsbildung nicht eigentlich mehr auf die amerikanischen Klassiker, sondern auf die Blüte der Eurowestern, nicht zuletzt die aus Italien, und schließlich auf die erfolgreichen Bearbeitungen von Karl-May-Stoffen im bundesrepublikanischen Nachriegskino. Dass „Europas Western“ mit Harald Reinls „Der Schatz im Silbersee“ eröffnet, ist so naheliegend wie unumgänglich. Es ist aber die darauf folgende Vielfalt, die es angebracht erscheinen lässt, von einer exzeptionellen Filmschau zu sprechen.
(Bert Rebhandl, taz, 3.1.2012)

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Für eine Handvoll Schnee
Das Vermächnis der Prärie: Eine Berliner Filmreihe zeigt, wie der Western in Europa neu erfunden wurde.

[…] Italo-Western wie „Il Grande Silenzio“ – so der Originaltitel – retteten in den sechziger Jahren die in ihrer amerikanischen Heimat ramponierte Gattung, indem sie sie radikalisierten. Gewalt wurde in Zeitlupe zelebriert, die Protagonisten waren unrasiert, trugen lange Staubmäntel und schossen nicht bloß mit Colts. Franco Nero zog als „Django“ sein Maschinengewehr in einem Sarg hinter sich her. Spaghetti-Western waren ein Thema des Hamburger Cinefests, einem vom Filminstitut CineGraph und dem Bundesarchiv veranstalteten Filmfestival, das sich in diesem Jahr dem europäischen Western widmete. Eine Auswahl der Filme ist vom 3. Januar an im Berliner Zeughaus-Kino zu sehen.
Filme wie „Leichen pflastern seinen Weg“, die in ganz Europa ein junges, oft studentisches Publikum fanden, sind Dokumente ihrer Zeit. „Wir leben in einer Welt der Gewalttätigkeit“, sagte Regisseur Sergio Corbucci 1969. „Die Fernsehstationen übertragen auf einem Kanal Trickfilme, auf einem anderen die Erschießung Kennedys, auf einem dritten das Massaker von Biafra.“ Damit verglichen war jeder Western harmlos. „Vergessen wir nicht“, so Corbucci, „das Blut, das in meinen Filmen fließt, besteht aus chemischen Substanzen und Tomatensaft“.
Die Mythologie war aus amerikanischen Western übernommen, doch in Wirklichkeit handelten die Spaghetti-Western von der italienischen Politik und der Radikalisierung der Linken. So lautet die These des Sergio-Leone-Biografen Christopher Frayling. 1966 begannen in Rom Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken, 1967 erreichte die italienische Western-Produktion mit 73 Filmen einen Höhepunkt. Drehbuchautor Franco Solinas war ein bekennender Marxist, der für seinen Film „Tepepa“ einen mexikanischen Revolutionär nach dem Vorbild von Che Guevara formte. Das bald europaweit in Wohngemeinschaften hängende Guevara-Plakat, ein säkulares Heiligenbild, war vom Mailänder Verleger Feltrinelli in Umlauf gebracht worden. Studentenführer Daniel Cohn-Bendit, 1968 nach den Pariser Mai-Unruhen aus Frankreich ausgewiesen, zog nach Rom, um ein Western-Drehbuch zu schreiben, aus dem nichts wurde.
Amerikanische Western handeln von der Eroberung und Zivilisierung des Landes, die Frontier wird immer weiter nach Westen verschoben. In den italienischen Western spielt diese räumliche Grenze keine Rolle mehr, so der Publizist Robert Fischer, sie wird internalisiert, die Wildnis wandert in die Protagonisten. Gedreht wurden die Filme in der Wüste bei Almeria, im Süden des damals faschistischen Spanien. Der Andrang war so groß, dass sich die Film-Crews im einzigen Westerndorf stundenweise ablösten. Wenn amerikanische Produktionen Verfolgungsjagden inszenierten, schreibt Mario Adorf in seinen Memoiren, „hockten, auf den umliegenden Hügeln versteckt, italienische Kamerateams und ,schnorrten’ von der aufwendigen Aufnahme“.
In Almeria kreuzten sich die Wege von Spaghetti-Western und Neuem Deutschen Film. Fassbinder verwirklichte dort sein Western-Melodram „Whity“, die chaotischen Dreharbeiten inspirierten ihn später zu „Warnung vor einer heiligen Nutte“. Ebenfalls in Almeria entstand das vergessene Meisterwerk „Verflucht, dies Amerika“ von Volker Vogeler, Fortsetzung seines Heimatfilm-Westerns „Jaider – der einsame Jäger“. Fünf bayrische Wilddiebe, aus ihrer Heimat verbannt, landen bei Doc Holliday in der anarchischen Neuen Welt. Sie müssen im Saloon Schuhplattler tanzen, am Ende sprechen die Schusswaffen.
Schon zu Stummfilmzeiten hatte sich eine europäische Western-Industrie entwickelt. In der französischen Camargue entstanden Filme wie „Feuriges Herz“ oder „Die Railway des Todes“ (beide 1912), die mit Indianer-Überfällen, Goldsuchern und Eisenbahn-Verfolgungsjagden bereits wichtige Standards des Wildwest-Kitzels abdeckten. Die Cowboys trugen Schlapphüte, die Blockhütten der Siedler erinnerten stark an südfranzösische Bauernhäuser.
Das deutsche Gegenstück waren die Neckar-Western. In Heidelberg war 1912 in einer alten Fabrik ein Glashaus-Filmstudio eröffnet worden. Dort wurden Komödien, Shakespeare- und Schiller-Verfilmungen und ab 1919 auch Western wie „Das Vermächtnis der Prärie“, „Feuerteufel“ oder „Texas Jack zähmt ein wildes Pferd“ gedreht. Es waren, so der Lokalhistoriker Jo-Hannes Bauer, „Phantasmagorien, unbeleckt von jeder Kenntnis des wirklichen Westen der USA“.
Es wurde geritten, geküsst, geschossen, Nebenfiguren tauchten auf und verschwanden spurlos, das Pathos erzeugte unfreiwillige Komik. 1922 war die Produktionsfirma pleite, Regisseur Phil Justi machte in Berlin mit Proletarierfilmen Karriere. Auch das „Dritte Reich“ mochte auf Western nicht verzichten. Luis Trenkers Siedler-Drama „Der Kaiser von Kalifornien“ illustrierte die „Volk ohne Raum“-Ideologie, der Abenteuerfilm „Gold in New Frisco“ schürte antisemitische Emotionen. Ein von Hans Söhnker gespielter Neuankömmling zettelt in einem US-Städtchen einen Goldrausch an und legt einem moralisch minderwertigen, offenbar jüdischen Bankier das Handwerk.
„Western haben kein Sprachproblem“, hat James Stewart festgestellt. „Es wird nicht viel geredet, deshalb werden sie auf der ganzen Welt verstanden.“ Western sind naiv. „Potato Fritz“ wirkt so, als habe sich Peter Schamoni 1975 verspätet einen Kindheitstraum erfüllen wollen. Die Kavallerie galoppiert, Indianer drohen, Pferdetransporte werden angegriffen. Und mittendrin Hardy Krüger als ehemaliger Armeeoffizier, der aufpasst, dass keiner sein Kartoffelfeld zertrampelt. Fußball-Weltmeister Paul Breitner reitet durch einige Szenen, mit Afro-Frisur und in US-Uniform.
Was aber Coolness angeht, da ist Roland Klicks lakonisches Wüsten-Endspiel „Deadlock“ von 1970 unerreicht. Mario Adorf, Marquard Bohm und Anthony Dawson liefern sich zur psychedelischen Musik von Can einen Nervenkrieg um einen Geldkoffer aus einem Bankraub. Der Wind pfeift durch eine verlassene Minensiedlung, an einem Dach baumelt eine alte Werbefigur, ein Cowboy mit abgerissenem Arm. Entstanden ist der Film im Nahen Osten. „Nach dem Sechstage-Krieg standen sich Jordanien und Israel waffenstarrend gegenüber“, erinnert sich Klick. „Genau im Niemandsland dazwischen haben wir gedreht.“ Der Zuschauer spürt die Angst.
(Christian Schröder, Der Tagesspiegel, 23.12.2011)

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Django reitet wieder
Beim Cinefest im Metropolis steht im November der „Euro-Western“ im Fadenkreuz der cineastischen Neugier

„Django Unchained“ wird der nächste Film von Quentin Tarantino heißen, und dieser Titel signalisiert schon mal zweierlei: Zum einen wird dies wohl eine Hommage an den Italo-Western sein – zum anderen aber auch an die Entfesslung eines Kino-Genres.
Nun hat sich Tarantino ja noch nie darum geschert, ob seine Filme sich von seinen Landsleuten am Lagerfeuer nacherzählen lassen. Doch mit einem von der Kette gelassenen Sklaven, der als Kopfgeldjäger Rache an seinem „Besitzer“ nimmt, mutet er ihnen allerhand zu: Das Ende des Westerns, wie wir ihn kannten.
Kein anders amerikanisches „Format“ war so sehr von Formeln bestimmt, von Konventionen geknechtet, in Ketten gelegt wie dieses. Und doch holt Tarantino mit dem Rückgriff auf den Italo-Western nur nach, was Europäer, keineswegs nur jenseits der Alpen, vorgemacht haben, indem sie dem Paradepferd des Hollywood-Kinos die Zügel abnahmen und die seit den Anfängen des Kinos immer wieder neu erzählte Mär von der heldenhaften Zivilisierung des amerikanischen Westens umformulierten – meist nach sehr persönlichem Gutdünken.
Einen Querfeldeinritt durch dieses Schaffen vermittelt das Cinefest dieses Jahres. In mehr als zwei Dutzend Filmen geleitet es sein Publikum durch „Europas Prärien und Cañons“. Angeführt von frühen Stummfilmpro­duktionen - die ältesten von ihnen stammen aus dem Jahre 1912 - zieht sich der Treck bis zur jüngsten „Lucky Luke"-Verfilmung, entstanden 2009. Gleichwohl setzt die Auswahl einen Schwerpunkt: Gleich 16 der insgesamt 26 Produktionen stammen aus den 60er und 70er Jahren.
Mit der russischen Jack-London-Verfilmung „Po zakonu - Nach dem Gesetz" (siehe Tagestipp am 18.11.) und dem bei Stuttgart gedrehten „Neckarwestern" „Feuerteufel" (19.11.) stehen „exotische" Extravaganzen auf dem Programm. Die Mehrzahl der Filme aber reagierte auf die Sinnkrise, in der sich die USA während des Viet­namkriegs befanden. Mit ihm war das Gut-und-Böse-Schema, das zum Western gehörte wie der Ritt in die Abendsonne, obsolet geworden. An dessen Leerstelle rückten ideologische Alternativen. Die westdeutschen Karl-May-Verfilmungen - beim Ci­nefest repräsentiert durch „Der Schatz im Silbersee" (13.11.) - verherrlichten mit Winnetou den „edlen Wilden", Hark Böhms „Tschetan, der Indianerjun­ge" (13.11.) wie auch „Blauvogel" (20.11.), sein DDR-Äquivalent, feierten die vermeintliche Authentizität na­turnahen Lebens.
Dass schon die Indianerkriege Klassenkämpfe waren, schilderte die DEFA-Biografie „Tecumseh" (15.11.), während der sowjetische Abenteuerfilm „Weiße Son­ne der Wüste" (19.11.) das Gegenteil postulierte: Die Russische Revolution war eigentlich bloß ein großes „Cowboy und Indianer"-Spiel! Die radikalsten Regelverstöße aber brachten tatsächlich Italiener zuwege: Nihilistische Epen wie „Für ein paar Dollar mehr" (mit Clint Eastwood, 14.11.) und „Leichen pflastern seinen Weg" (mit Klaus Kinski, 20.11.) ästhetisierten die Gewalt auf eine bis dahin gänzlich unbe­kannte Weise. Und Marco Ferreris Satire „Berühre nicht die weiße Frau" (13.11.), die die Schlacht vom Little Big Horn in eine Pariser Baugrube verlegte, war ein Viet­nam-Tribunal der besonders freizügigen Art. Wenn Ouentin Tarantino nun also in „Django Unchai­ned" die Geschichte des „Wilden Westens" als die einer Sklavenhaltergesellschaft verhandelt, bindet er an das Genre neue Assoziationen - und knüpft damit zugleich an eine europäische Tradition an.
(Jörg Schöning, Szene Hamburg, November 2011)

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Das Metropolis wird zum Wilden Westen
Das Cinefest zeigt bis zum 20. November "Europas Prärien und Cañons". Zu vielen Vorstellungen werden Schauspieler und Regisseure erwartet.

Wann ist eigentlich ein Film ein Western? Wenn John Wayne durch das Monument Valley reitet? Oder sich Männer in karierten Hemden in einer Kneipe prügeln? Oder die mit den hellen Hüten die Guten sind? Mit Ausnahme des ersten Aspekts stehen die Kriterien in den kommenden Tagen auf dem Prüfstand. Im Metropolis wird das uramerikanische Genre noch bis zum 20. November lustvoll
zurückregionalisiert. Dort läuft das Cinefest in diesem Jahr unter dem Motto: "Europas Prärien und Cañons. Western zwischen Sibirien und dem Atlantik".
Man könnte meinen, so etwas gibt es nur in amerikanischen Filmen: In größter Not ruft der in Bedrängnis geratene Held nach der Kavallerie. Die Filmhistoriker zeigen nun, dass solche Abenteuer auch diesseits des Atlantiks Stoff für Filme waren und sind. Sie haben die Kurz-, Dokumentar- und
Spielfilmarchive durchstöbert und dabei festgestellt, dass der Wilde Westen fast überall ist. In den Tiroler Alpen, in der märkischen Heide, in der Camargue, den Karpaten und Südspanien. […]
Insgesamt reicht das Programm, das die Filmhistoriker von CineGraph um Hans Michael Bock und Erika Wottrich zusammengestellt haben, von einem französischen Camargue-Kurzfilm-Western aus dem Jahr 1912 und Harry Piels "Erblich belastet?" von 1913 bis zur 2009er Realfilm-Umsetzung des Comic-Klassikers "Lucky Luke". Als Gäste kommen am Dienstag Arthur Brauss und Dan van Husen zum Comedy-Western "Potato Fritz" von Peter Schamoni, in dem auch Paul Breitner mitspielt. Der Country-Rocker und Berufsindianer Angy Burri ist dabei, wenn am Donnerstag sein Schweizer (!) Western "The Wolfer" gezeigt wird. Regisseur Roland Klick kommt am Sonnabend, 19. November, zur Gangsterballade "Deadlock". Ulrich Weiß und Jutta Hoffmann feiern ein Wiedersehen mit dem Siedler-Western "Blauvogel", den Ulrich Weiß in der DDR 1978 inszenierte.
(Volker Behrens, Hamburger Abendblatt, 14.11.2011)

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Klassiker des Western

Die Deutschen sind fasziniert vom Western. Zahlreiche Festivals in den letzten Monaten beschäftigten sich mit rauchenden Colts und o-beinigen Cowboys. Trotz europäischer Varianten - die Klassiker entstanden in Hollywood.
Im Sommer war im Kino des Deutschen Filmmuseums in Berlin eine mehrwöchige Westernreihe zu sehen. Das Düsseldorfer Filmmuseum zeigte vor kurzem Western aus Deutschland und präsentierte dazu die Ausstellung "Der Schatz im Silbersee". Das Hamburger Festival des deutschen Film-Erbes stand im Herbst unter dem Motto "Europas Prärien und Cañons. Western zwischen Sibirien und Atlantik". Die vergangene Berlinale wurde von dem Western "True Grit" eröffnet. Und auch im deutschen Fernsehen feiert das Genre seit Jahren immer wieder fröhliche Auferstehung.
Es scheint, als ob der Western einfach nicht tot zu kriegen ist - obwohl ihm genau das schon oft prophezeit worden ist. Doch auch in Hollywood feiert man alle paar Jahre wieder eine Renaissance des Westerns, der so alt ist wie die Filmgeschichte. Auch wenn heutige Regisseure oft parodistische Züge in die Filmhandlungen einweben und die Mythen in Frage stellen. Was fasziniert die Menschen also an einem Genre, das vordergründig so wenig mit der Gegenwart zu tun hat wie etwa Piratenfilme oder Mittelalterepen? "Der Western markiert eine Schnittstelle, an der sich Geschichtsschreibung und Mythisierung, tatsächliches Geschehen und massenmediale Interpretation überlagern" - so lautete ein Erklärungsversuch der Westernreihe im Deutschen Filmmuseum in Berlin im Sommer. […]
Sich mit Western zu beschäftigen, bedeutet also mehr, als Cowboy- und Indianerfilme zu sehen. Westernfilme sagen tatsächlich viel über die amerikanische Psyche aus, auch über die gegenwärtige: "Mit dem verfassungsmäßigen Recht auf individuellen Waffenbesitz verbindet sich in den USA", so der Publizist und Soziologe Wolf Lepenies in einer Abhandlung über Waffen & Western, "traditionellerweise die 'Insurrectionist Idea': die Überzeugung des Einzelnen, sich mit Waffengewalt auch gegen die Regierung auflehnen zu dürfen, wenn diese die Verfassung verletzt." Die Tea Party, so Lepenies weiter, hätte viele Amerikaner in dieser Überzeugung bestärkt - und damit die Machtverhältnisse im Kongress verändert. […]
(Jochen Kürten, Deutsche Welle, 1.12.2011)

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Dem Thema, "Europas Prärien und Cañons. Western zwischen Sibirien und Atlantik" widmet sich im November CineFest, das VIII. Internationale Festival des deutschen Film-Erbes, veranstaltet von CineGraph und Bundesarchiv-Filmarchiv. Vom 5. bis 8. Mai weckte die interne Vorsichtung in Berlin bereits die Neugierde. Der europäische Western besteht nicht nur aus dem Italo-Western, dem bundesdeutschen Karl-May-Filmen und den Indianerfilmen der DEFA: In mehreren anderen europäischen Ländern sind Western der unterschiedlichsten Machart entstanden, in einigen Fällen schon zu einem frühen Zeitpunkt der Filmgeschichte. Das französische Kino begann 1911 mit den so genannten Camargue-Western, die in der berühmten Region am Mittelmeer gedreht wurden. Auch das deutsche Kino versuchte sich bereits 1919 und 1920 in dem Genre mit den Bull-Arizona-Filmen, die wegen des Drehorts auch als Neckar-Western bezeichnet werden. Auffällig an diesen Filmen sind der ambivalent Outlaw-Protagonist und die komplexen Geschichten, in denen melodramatische Elemente einen wichtigen Raum einnehmen. Vor allem der ehemalige Ostblock wusste mit einigen Perlen zu überraschen. Bereits zu Zeiten der Perestroika entstand Alla Surikovas Western-Komödie "Der Mann vom Kapuziner-Boulevard" ("Celovek S Bul'vara Kapucinov", 1987), in dem ein Fremder dem Genre gemäß in  eine Stadt kommt, nicht aber als (ehemaliger) Revolverheld, sondern als Filmvorführer. Seine Waffe ist der Projektor. Den letzten Teil einer Trilogie bildet Dan Pitas rumänischer Western "Wir werden das Kind schon schaukeln" ("Pruncul, Petrolul Si Ardelenii",1981). Der Geschichte um drei rumänische Brüder, die im Wilden Westen ihr Glück versuchen, gelingt es auf bemerkenswerte Weise, Stereotypen des Western mit osteuropäischer Folklore zu kombinieren.
Ebenfalls zu beeindrucken wusste die ungarische Western-Variation "Der Wind pfeift unter den Füßen" ("Talpuk Alatt Fütyül a Szél", 1976). lm Unterschied zu den meisten europäischen Western spielt György Szomjas Film in der Puszta, die jedoch in Szene gesetzt wird wie die amerikanische Prärie. Mit Angy Burris Schweizer Western "The Wolfer" (1975-79) gelang es den Veranstaltern es CineFests, eine besonders skurrile Rarität aufzutreiben. Auf das kommende Festival CineFest zum europäischen Western vom 12. bis 20. November in Hamburg darf man gespannt sein.
(Thomas Klein in FilmDienst 11/2011)

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Pressespiegel
zum cinefest 2010
(Auswahl)

Verloren geglaubte Schätze
Zwischen Nordsee und Adria: Beim Filmfestival „Cinefest“ werden deutsch-italienische Koproduktionen gezeigt

Es ist eines der wenigen Filmfestivals, das sich regelmäßig mit ausgewählten Themen der europäischen Filmgeschichte beschäftigt. Das „Cinefest“ zeigt alljährlich berühmte oder vergessene Filmklassiker und verloren geglaubte Schätze des deutschsprachigen und europäischen Film-Erbes. Jedes Jahr im November werden zunächst in Hamburg circa 25 Filme zum Thema präsentiert, danach Teile des Filmprogramms auch in Berlin, Wien, Zürich und Prag gezeigt. Seit 2007 gehört das Národní Filmovy Archiv (Nationales Filmarchiv) zu den festen Partnern des „Cinefest“ und präsentiert im Kino Ponrepo eine Auswahl der in Hamburg gezeigten Filme.
Das sechste Internationale Festival des deutschen Film-Erbes in Prag beschäftigt sich unter dem Motto „cinema trans-alpino“ mit den deutsch-italienischen Filmbeziehungen und lädt dazu ein, die Karrieren der Filmschaffenden, die Vielfalt der Koproduktionen und die Filmbilder vom Anderen zwischen Nordsee und Adria durch das 20. Jahrhundert zu verfolgen.
Die politischen Beziehungen der beiden Länder waren im letzten Jahrhundert nicht zuletzt durch zwei Weltkriege von heftigen Schwankungen und harten Brüchen geprägt, die markanten Mentalitätsunterschiede sorgten bei Deutschen und Italienern stets für ambivalente Gefühle von Anziehung und Ablehnung, Respekt und Misstrauen gegenüber dem Volk auf der jeweils anderen Seite der Alpen. Die wechselhafte Entwicklung und die unterschiedlichen Facetten dieses Verhältnisses spiegeln sich nirgendwo deutlicher als im Leitmedium Film.
Das Ponrepo Kino gibt deshalb vom 1. bis 9. Februar einen Überblick über die deutsch-italienischen Filmbeziehungen von der Stummfilmzeit („Der geheime Kurier“) über die Zusammenarbeit des faschistischen Italien mit NS-Deutschland („Condottieri“), dem Exilfilm eines jüdischen Emigranten in Italien („La signora di tutti“) und der Aufarbeitung der Folgen des Zweiten Weltkriegs und des Faschismus („Germania anno zero“) bis hin zur Gastarbeiter-Problematik („Palermo oder Wolfsburg“).
Das Filmfestival wird von „CineGraph“ – das Hamburgerische Centrum für Filmforschung – und dem Filmarchiv des Bundesarchivs in Berlin, gemeinsam mit zahlreichen nationalen und internationalen Partnern veranstaltet. Es versteht sich als Forum für Cineasten, Filmhistoriker, Archivare und Techniker. Deren Ziel ist es, sich dem Charakter und den Besonderheiten der deutsch-italienischen Filmbeziehungen von den 1910er Jahren bis zur Gegenwart aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. Zentrale Faktoren sind dabei der personelle Austausch der Filmschaffenden und die binationalen Karrieren von Darstellern und Regisseuren, die Verflechtungen der Produktionsstrukturen zwischen Berlin und Rom, die staatliche Zusammenarbeit auf kulturpolitischer Ebene und nicht zuletzt das Bild des anderen Landes und seiner Bewohner in den deutschen und italienischen Filmen.
Ein filmhistorisch noch weitgehend unbearbeitetes Gebiet sind die umfangreichen Aktivitäten italienischer Filmschaffender in der deutschen Filmproduktion der 1920er Jahre. Verstärkt ab 1923 entzog sich eine ganze Reihe von italienischen Produzenten, Regisseuren und Darstellern der tiefgreifenden Filmkrise im eigenen Land und etablierte sich erfolgreich in der deutschen Filmindustrie.
(Martin Preusker, Prager Zeitung, 27.1.2011)

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Die Nymphen und der Krieg
Im Sommer 1913 reist der Theaterregisseur Max Reinhardt, begleitet von einer kleinen Schauspielertruppe, aus Berlin ans Mittelmeer. Zum wiederholten Male will sich der Bühnenzauberer im neuen Medium Film ausprobieren. So entsteht "Die Insel der Seligen", eine märchenhafte, erotische Fantasie, in der deutsche Touristen auf mediterrane Götter treffen und gemeinsam in ein munteres Verwirrspiel eintauchen: "Eine kühne Neuerung", jubelte ein Kritiker, sei "die Freiheit der Darstellung. Die Götter treiben in holder Nacktheit ihr Wesen und Unwesen, die Wellen des italienischen Meeres umspielen die schönen Nymphen und seltsamen Tritonen" Kein Zensor stellte sich dem Treiben entgegen.
"Die Insel der Seligen", am Klavier begleitet von 'Paul und Paula"-Komponist Peter Gotthardt, läuft innerhalb der schönen, vom Hamburger Cinefest übernommenen Reihe "Cinema trans-alpino", mit der das Zeugbaus auf deutsch-italienische Filmbeziehungen von den Anfängen des Kinos bis zur Gegenwart aufmerksam macht. Zentrale Themen der Auswahl sind Italien als deutscher Sehnsuchtsort, gemeinsame Erfahrungen von Krieg und Faschismus und der Einfluss des Neorealismus aufs deutsche Kino.
Ausgegraben wird etwa das naive historische Heldenepos „Condottieri“ (1937), eine Koproduktion des aus Südtirol stammenden Regisseurs Luis Trenker, der damit eine Allegorie auf den Aufstieg Hitlers und Mussolinis beabsichtigte. Trenker versah den Film für Deutschland und Italien mit einem jeweils anderen Schluß: Am Ende der römischen Version kniet die Hauptfigur vor dem Papst nieder, in der Berliner Variante bleibt er stehen: Ein „deutscher“ Führer hatte sich nicht vor dem Klerus zu beugen!
Zu den Entdeckungen zählen einige deutsche Dokumentarfilme, die das Bild Italiens und seiner Menschen skizzieren. Schon 1927 drehte Gerhard Lamprecht die Studie "Am Fuße des Aetna", in der er besonderes Gewicht auf die Beobachtung des Kinderalltags legte. Karl Grass verfertigte 1960 für die Defa das politische Pamphlet "Licht für Palermo", eine Hommage auf die Aktivitäten kommunistischer Regionalpolitiker. Hans Rolf Strobel und Heinz Tichawsky schufen 1962 „Notabene Mezzogiorno“ über die Bodenreform und die daraus resultierenden Konflikte: ein analytischer Gegenentwurf zu den bunten Schlagerfilmen, in denen westdeutsche Produzenten das Urlaubsland feierten und ein klischiertes Italienbild voller Sonne, Musik und Harmonie festigten. Weiter zum Programm gehören Arbeiten von Luchino Visconti („Tod in Venedig“), Werner Schroeter („Palermo oder Wolfsburg“), Liliana Cavani („Der Nachtportier“), Tom Tykwer („Heaven“) und anderen. […]
(Ralf Schenk, Berliner Zeitung, 6.1.2011)

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Cinema trans-alpino
Wer war Luciano Albertini? Kaum jemand kennt heute noch den italienischen Sensationsdarsteller, der in der Stummfilm-Ära die deutschen Kinozuschauer begeisterte.
Für das diesjährige Hamburger „CineFest“, das VII. Festival des deutschen Filmerbes, das sich im November 2010 den deutsch-italienischen Filmbeziehungen widmen wird, ist es deshalb geradezu ein Muß, mindestens einen der noch existenten Albertini-Filme auszugraben. Die Wahl fällt vermutlich auf May Obals „Tempo! Tempo!“ (1929), in dem Albertini als eleganter Schauspieler und Gentleman-Detektiv gewagte Stunts im Frack und muntere Steilküste vollführt.
Beim Sichtungs-Workshop in Berlin (13.-16.5.), auf dem das „CineFest“ und der parallel dazu stattfindende Internationale Filmhistorische Kongreß vorbereitet werden, amüsierten sich die deutschen und italienischen Zuschauer jedenfalls prächtig.
Zentrale Themen von Kongreß und Festival werden der personelle Austausch von Filmschaffenden zwischen beiden Ländern sowie deutsch-italienische Produktionsbeziehungen sein. Besonderes Augenmerk liegt auf den Verflechtungen zwischen nazi-deutschen Filmfirmen und dem Kino im faschistischen Italien. Untersuchungen zur Ausnahme deutscher Exilanten in römischen Filmstudios (z.B. Max Ophüls) sollen dabei ebenso eine Rolle spielen wie das Verhalten des Südtirolers Luis Trenker, der mit seinem naiven historischen Heldenepos „Condottieri“ (1937), einer Co-Produktion, eine Allegorie auf den Aufstieg Hitlers und Mussolinis beabsichtigte, den Film aber für Deutschland und Italien mit einem jeweils anderen Schluss versah: Am Ende der römischen Version kniet die gloriose Hauptfigur vor dem Papst nieder, in der Berliner Variante bleibt er stehen.
Daneben widmen sich Kongreß und „CineFest“ den gemeinsamen Erfahrungen von Krieg und Faschismus, die in so unterschiedlichen Arbeiten wie Rossellinis „Germania anno zero“ (1948), Staudtes „Kanonenserenade“ (1958), Nanni Loys „Le quattro giornate di Napoli“ (1962) oder Viscontis „La caduta degli dei" (1968) verdichtet wurden. Zu den Entdeckungen zählen einige Dokumentarfilme, die das Bild des jeweils anderen Landes und seiner Menschen skizzierten. Gerhard Lamprecht drehte 1927 die zwölfminütige Studie „Am Fuße des Ätna“, in der er besonderes Gewicht auf die Beobachtung des Kinderalltags legte. Karl Grass lud die DDR-Zuschauer 1960 zu einem politischen Pamphlet namens „Licht für Palermo“ ein, eine Hommage an die Aktivitäten linker Erneuerer. Hans Rolf Strobel und Heinz Tichawsky drehten 1962 „Notabene Mezzogiorno“ über die Bodenreform und die daraus resultierenden Konflikte: ein schwarz-weißer, analytischer Gegenentwurf zu den bunten Italien-Filmen, in denen westdeutsche Produzenten das Urlaubsland feierten und ein klischiertes touristisches Italien-Bild voller Sonne, Musik und Harmonie festigten wie in „Italienreise – Liebe inbegriffen“ (1957) von Wolfgang Becker. Zu den Spuren der vielfältigen filmischen Wechselwirkungen gehören auch die Satire „Cose da pazzi“, die Altmeister G. W. Pabst 1953 in Italien drehte, oder der Einfluss des Neorealismus auf das DEFA-Spielfilmschaffen, wie er in Werken von Wolfgang Kohlhaase oder Roland Gräf deutlich wurden.
(Ralf Schenk, Film-Dienst 12/2010).

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Szenen einer Hassliebe
Beim Cinefest 2010 geht es eine Woche lang um deutsch-italienische Beziehungen im Film und in der Branche

Bier gegen Wein, Kartoffeln gegen Pasta, Wagner gegen Verdi, VW gegen Fiat, Gründlichkeit gegen Leidenschaft: Deutschland und Italien – das ist spätestens seit Goethes „Die italienische Reise“ eine ganz besondere Beziehung, geprägt von Mythen und Klischees. Zwei Völker, die sich bezüglich Temperament, Kultur und Eßgewohnheiten ganz schön unterscheiden. Und doch: Eine eigentümliche Mischung aus Anziehung und Ablehnung, Respekt und Misstrauen prägt das Miteinander von Deutschen und Italienern. Nicht zu vergessen das Auf und Ab der politischen Beziehungen im vergangenen Jahrhundert, geprägt durch zwei Weltkriege. Und dass die Squadra Azzura immer die wichtigen Fußballspiele (1970, 1982, 2006) gewinnt – auch nicht schön.
Und wo ließen sich die wechselvolle Entwicklung und die unterschiedlichen Facetten des Verhältnisses zwischen den Nationen besser festmachen als im Kino. Das diesjährige Cinefest, wie gewohnt veranstaltet von Cinegraph und dem Bundesarchiv-Filmarchiv in Berlin, widmen sich nun den deutsch-italienischen Beziehungen von 1910 bis heute. Dabei geht es um den Austausch von Regisseuren und Schauspielern, um Produktionsverknüpfungen zwischen Berlin und Rom, um die Darstellung des jeweils anderen Landes und seiner Bewohner. Themen, die im begleitenden filmhistorischen Kongress ab Mitte kommender Woche vertieft werden. Doch keine Angst! Im Vordergrund stehen ab heute die Filme im Metropolis, darunter Klassiker wie Luchino Viscontis „Tod in Venedig“, Liliana Cavanis „Nachtportier“ oder Roberto Rossellinis „Deutschland im Jahre Null“, aber auch Neues (Tom Tykwers „Heaven“ oder Klaus Emmerichs „Piazza Colonia“ etwa) und Unbekanntes.
Hamburger dürfen sich wegen des Lokalkolorits vor allem auf Jürgen Rolands „Zinksärge für die Goldjungen“ von 1973 freuen. […] Auch Francesco Rosis „I Magliari“ (1959) spielt in Hamburg, der deutsche Verleihtitel verrät’s: „Auf St. Pauli ist der Teufel los“. Hier geht es um einen italienischen Gastarbeiter, der durch Landsleute auf die schiefe Bahn gerät und sich in die Frau eines Teppichgrossisten verliebt. Rosi beobachtet die Probleme eines Auswanderers und den Alltag im Wirtschaftswunder-Deutschland genau – ebenso interessant wie kritisch. […]
(Michael Ranze, Hamburger Abendblatt, 13.11.2010)

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„CineFest 2010“ – Deutsch-italienisches Kino gestern und heute
Ob Goethe oder der fast schon obligatorische Italien-Urlaub – die Vorliebe der Deutschen für Italien ist bekannt. Eher weniger bekannt sind die vielfältigen Verbindungen zwischen dem deutschen und italienischen Kino sowie der Vorstellungen, die sich die Filmemacher vom jeweils anderen im Laufe eines Jahrhunderts gemacht haben. Diesen Themen spürt das „CineFest“ vom 13. bis 21. November im Metropolis mit mehr als 25 Filmen aus den Jahren 1913 bis 2001 in gewohnt fachkundiger Manier nach.
Einen Querschnitt des Programms bietet die Eröffnungsgala am 13.9. (19 Uhr), bei der Kurz- und Dokumentarfilme aus den Jahren 1927 bis 1999 zu sehen sind. Die deutsche Italien-Verklärung hat als erster May Reinhardt mit „Die Insel der Seeligen“ auf Zelluloid gebannt. Im Sommerurlaub am Golf von La Spezia drehte die Theaterlegende 1913 mit seiner Schauspieltruppe ein freizügigies „Flimmerspiel“, in dem er zugeknöpfte Spießer und romantische Jünglinge auf enthemmte Sagenfiguren treffen ließ. Sehr viel profaner sah das Ganze dagegen 1958 in Wolfgang Beckers Lustspiel „Italienreise – Liebe inbegriffen“ aus, trotz prächtiger „Eastmancolor“-Farbe und Paul Hubschmid als feschem Reiseführer.
In den 20er Jahren waren es der Sensationsdarsteller Luciano Albertini mit „Tempo! Tempo!“ und der Regisseur Gennaro Righello mit der Stendhal-Verfilmung „Der geheime Kurier“, die in Berliner Ateliers ideale Drehbedingungen vorfanden. Die Zusammenarbeit der Filmindustrie des faschistischen Italien mit der des NS-Regimes brachte Spionagestreifen hervor wie Gerhard Lamprechts „Ein gewisser Herr Gram“ mit Hans Albers sowie Sängerfilme wie „Mutterlied“ mit Benjamin Gigli und Hans Moser. Im zerstörten Berlin drehte Roberto Rossellini 1947/48 mit „Germania anno zero – Deutschland im Jahre Null“ einen Klassiker des italienischen Neorealismus. Für kontroverse Reaktionen sorgten 1962 sowohl „I sequestrati di Altona – Die Eingeschlossenen“, Vittorio de Sicas Drama um einen Hamburger Werftbesitzer in der jungen Bundesrepublik, als auch Helmut Käutners „Die Rote“ mit deutsch-italienischer Starbesetzung (Ruth Leuwerik, Rossano Brazzi, Gert Fröbe).
Natürlich gibt es auch Klassiker wie Luchino Viscontis „Morte a Venezia – Der Tod in Venedig“ nach der Novelle von Thomas Mann und Werner Schroeters Gastarbeiterdrama „Palermo oder Wolfsburg“. Auch im Programm: Tom Tykwers vor zehn Jahren in Turin und Diena mit Cate Blanchett gedrehter Politthriller „Heaven“ – die Italien-Faszination hält also bis heute an.
(Morgenpost, Eckard Alberts, 11.11.2010)

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Pressespiegel
zum cinefest 2009
(Auswahl)


„Der Krieg muss aus den Fingern raus“, sagt der Geigenlehrer zu seinem jungen Schüler, der seine Kunst an der Front fast verlernt hatte. Erst nach und nach gelingt es dem ehemaligen Soldaten in Eduard von Borsodys „Arlberg-Express“ (1948), im Frieden wieder Fuß zu fassen. Ein Heimkehrer-Schicksal wie so viele, die das deutschsprachige Kino nach 1945 auf die Leinwand brachte. „Arlberg-Express“ gehörte zur Filmauswahl eines Kolloquiums, mit dem sich CineGraph Hamburg und das Bundesarchiv-Filmarchiv auf ihr diesjähriges Festival des deutschen Film-Erbes (14.-22.11.) vorbereiteten. Wie im Vorjahr wird der Zeitraum zwischen 1940 und 1950 beleuchtet; ging es 2008 noch um Filmproduktion und Propaganda, sollen diesmal vor allem die ästhetischen Mittel analysiert werden, mit denen sich das europäische Kino der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust näherte. Schon während des Kolloquiums wurden thematische Schwerpunkte sichtbar: der zwischen Naturalismus und Überhöhung changierende filmische Umgang mit den Traumata des Antisemitismus und der Shoah („Die letzte Etappe“); die Anknüpfung an Erzählstrukturen internationaler Kinematografien oder klassischer Vorbilder wie des Kinos der Weimarer Republik und des Sowjetfilms („Freies Land“); die Bedeutung des Genrekinos. Spiegelte sich das Zeitkolorit in Komödien („Arche Nora“, „Kein Platz für Liebe“), Musikfilmen („Taxi Kitty“) oder Krimis („Blockierte Signale“, „Razzia“)? Welche Auswirkungen hatte die deutsche Besatzung auf die Filmproduktion in der Tschechoslowakei und den Niederlanden? Zu welchen ästhetischen Höhenflügen war das nachholende Kino der Résistance in Frankreich fähig („Schienenschlacht“, „Das Schweigen des Meeres“)? Welche erzählerischen Kontinuitäten gab es, wo werden Brüche sichtbar? Im Mittelpunkt stehen dabei innovative Regisseure, die mit ihren Intentionen und stilistischen Mitteln aus der Zeit fielen: Peter Pewas und Helmut Käutner, G.W. Pabst, Michael Powell und Emeric Pressburger.
(Ralf Schenk in film-dienst 13/2009)

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Pressespiegel
zum cinefest 2008
(Auswahl)


Eine seltsame Jugend

Stolz und glücklich sind die Jungs, wenn sie im Flieger sitzen, seltsamerweise aber auch, wenn sie in heimlicher Nachtarbeit in der Flugzeugfabrik helfen, den Produktionsplan einzuhalten. Wenn „Junge Adler“ (1944) von Alfred Weidenmann, gedreht mitten im Krieg, solche gegensätzlichen Szenen mit Jugendlichen zeigt, wirkt das heute noch hoch emotional. Merken diese Jugendlichen denn nicht, dass sie zum Spielball werden? Die Filme mit und über Kinder und Jugendliche waren die packendsten und traurigsten Beiträge beim Cinefest, dem 5. Internationalen Festival des deutschen Filmerbes, das Cinegraph und Bundesarchiv-Filmarchiv im November im neuen Hamburger Metropolis-Kino veranstalteten. „Filmproduktion und Propaganda in den 40er Jahren“, lautete das Thema von Festival und Kongress. Die sonst übliche Zäsur des Kriegsendes 1945 wurde bewusst ignoriert, kündigte sich doch schon im Krieg an, dass es eine Weile dauern würde, bis jeder sich wieder in seinem Leben zurechtfindet. „Junge Adler“ ist ein Propagandafilm, der immer noch – wie zahlreiche andere von den alliierten Militärbehörden verbotene Filme – nur unter Vorbehalt gezeigt werden darf: mit Einführung und anschließender Diskussion. Und das nicht, weil das Verbot ewig Gültigkeit besitzt, sondern weil die Rechte-Inhaber diese Filme wohl aus Angst vor politischen Diskussionen bis heute nicht der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) vorgelegt haben, die sie zulassen könnte.
Im Gegensatz zu späteren Hollywood-Fliegerfilmen wie „Top Gun“ (1986), wo es um junge Erwachsene und Einzelkämpfer geht, wird in „Junge Adler“ die Gemeinschaft der Jugendlichen – unter anderem Hardy Krüger, Dietmar Schönherr und Gunnar Möller – beschworen und offenkundige Propaganda mit Hakenkreuz-Fahnen vermieden. Trotzdem spürt man permanent den Erziehungsversuch und die Suggestivkraft. Der inzwischen 80-jährige Gunnar Möller, der den Film beim Cinefest erstmals (wieder-)sah, zeigte sich entsetzt darüber, in einem solchen Machwerk mitgespielt zu haben, meinte aber, dass ihm damals gar nicht bewusst war, worum es ging. Was einmal mehr zeigt, wie schwierig und unangenehm der Umgang mit diesem Teil des deutschen Filmerbes ist, selbst wenn es – so Ines Steiner in ihrem Vortrag beim begleitenden filmhistorischen Kongress – doch um das Fliegen als „mythopoetischer Generator“ und um Jugendliche in der Opferrolle als „Generation ohne Zukunft“ ging. Aktiver war da schon ein Junge in „Jungens“ (1940 von Robert A. Stemmle), der einen Nazi-Profiteur als Schmuggler entlarvt, aber sich erst traut, ihn anzuzeigen, nachdem er Zutrauen zu seinen Kameraden in der Hitlerjugend und deren Organisator, seinem neuen Schullehrer, als Bezugsperson gefasst hat.
Das Gegengewicht bildeten parallel in Osteuropa gedrehte Jugendfilme wie „Timurs Schwur“ (UdSSR 1942, von Lev Kuleshov). Diese Fortsetzung von „Timur und sein Trupp“ (1940) um eine Kinder- und Jugendgruppe, die sich quasi selbst als Kampftruppe organisiert, um Armen und Schwachen zu helfen, entpuppt sich als kommunistischer Propaganda- und Durchhaltefilm. Die Kinder sind es schnell leid, anderen zu helfen, als die Hilfe zur eher lästigen Routine wird. Erst als die Nazis näher rücken und damit auch eine neue Aufgabe, sind die Kinder wieder mit Eifer bei der Sache; sie lernen von den älteren Jungs einer kämpferischen Bande, wie man Brandbomben löscht, Fenster verdunkelt und mit Waffen kämpft. Die Propagandaabsichten liegen noch deutlicher zutage als in den nazideutschen Filmen, wenn die Jungs am Ende ihren Pioniereid ablegen. Ebenso klischeehaft erscheint der US-Spielfilm „Hitler’s Children“ (1942) von Irvin Reis und Edward Dmytryk, der beides abbilden will: die freiheitsliebenden Amerikaner und die sich freiwillig der Nazi-Disziplin unterwerfenden Deutschen, in Gestalt von zwei Jugendlichen, die sich trotz der Gegensätze lieben und versuchen, in Deutschland nach ihren Überzeugungen zu leben, was natürlich nicht gut gehen kann.
Auch nach dem Krieg ähneln sich die Bilder, wenn alle eine in gewisser Weise verwahrloste Jugend im Blick haben, die erst noch auf den rechten Weg gebracht werden muss. Géza von Radványi zeichnet in „Irgendwo in Europa“ (Ungarn 1947) noch eine gewisse Idylle, wenn sich heimatlose Waisenkinder und Jugendliche in einer Burgruine zusammenfinden, um fürs Überleben zu stehlen. Gemeinsam bewerfen sie die Polizisten mit Steinen, als die ihren Unterschlupf entdecken, und gemeinsam geben sie ihn schließlich auf, um einen Jungen, der verletzt wurde, ins Krankenhaus zu bringen. In Radványis einfühlsamem und atmosphärischem Porträt wird der Lernprozess der Jugendlichen nicht von außen aufgedrückt, sondern durch das Nachdenken über die eigene Situation in Gang gesetzt. Diese Chance haben die straffälligen Jugendlichen nicht mehr, die in „…und wenn’s nur Einer wär…“ (Deutschland 1949 von Wolfgang Schleif) in einem Erziehungslager gelandet sind. Mit der von einem progressiven Lagerleiter vorgeschlagenen Selbstbestimmung können sie nicht immer etwas anfangen und prügeln sich trotzdem, was die Ersetzung des liberalen Lagerleiters durch einen mit Nazi-Methoden agierenden Nachfolger zur Folge hat – bis ein paar mutige Lagerjungen mit List versuchen, dem zu entrinnen. Schleif fehlt jedoch ebenso die Leichtigkeit der Inszenierung wie Artur Pohls „Die Jungen von Kranichsee“ (DDR 1950), wo ein Junglehrer seinen Schülern ähnlich freizügig begegnet und anfangs scheitert. Zusammen mit kurzen Dokumentarfilmen bot das Cinefest so einen neuen, übergreifenden Ansatz.
(Andrea Dittgen in film-dienst 1/2009)

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Zwischen den Fronten
Zwei Filme von Henri-Georges Clouzot beim Hamburger Cinefest


Nicht nur in Deutschland waren während des Zweiten Weltkriegs Misstrauen und Denunziantentum an der Tagesordnung. Das bezeugen auch das Schicksal sowie zwei Filme des französischen Regisseurs Henri-Georges Clouzot (1907-77): „Der Rabe“ („Le corbeau“, 1943) und „Unter falschem Verdacht“ („Quai des Orfèvres“, 1947). Das 5. Hamburger Cinefest, das ausführlich die Jahre 1940 bis 1950 in Europa beleuchtet, zeigt beide hierzulande nur wenig bekannten Filme.
Das Gesellschaftsporträt „Der Rabe“ geht auf eine wahre Geschichte zurück, die sich 1922 im französischen Dorf Tulle ereignete; Clouzot verlegte sie in die Besatzungszeit. Ein Arzt erhält einen anonymen Brief, unterzeichnet mit „Der Rabe“, in dem er beschuldigt wird, eine Geliebte zu haben. In einem weiteren anonymen Brief wird die Ehefrau eines anderen Arztes als Hure bezeichnet – für die damalige Zeit zwei ungeheure Anschuldigungen. Bald kursieren immer mehr „Rabenbriefe“ im Dorf, jeder verdächtigt jeden, jeder hat Angst, denn jeder hat ein Geheimnis, das nicht ans Licht kommen soll. Clouzots zweiter Spielfilm steigert virtuos Spannung wie Paranoia zu einem Meisterwerk, das in die Abgründe der menschlichen Seele blickt. Dabei hat „Der Rabe“ auch heitere Elemente und präsentiert mit Pierre Fresnay einen seinerzeit beliebten Star. Der Film war bei Publikum und Kritik ein Erfolg, nicht aber bei der Politik: Die Nazis wie auch die Vichy-Regierung Frankreichs sahen darin einen Angriff auf ihre Landsleute, warfen Clouzot Korruption, Denunziation und Unmenschlichkeit vor. Im Vorfeld war dies nicht bemerkt worden: Clouzot, talentierter Theater- und Drehbuchautor, leitete von 1941 an die Drehbuchabteilung der Nazi-Produktionsfirma Continental, die Unterhaltungsfilme herstellte – frei von Nazi-Propaganda, weil sie die Franzosen während der Besatzungszeit aufmuntern sollten. So musste „Der Rabe“ nicht die deutsche Zensur durchlaufen. Nach dem politischen Aufschrei verlor Clouzot seinen Posten; nach dem Krieg wurde er von den Franzosen sogar mit Berufsverbot belegt, weil er nun als Kollaborateur galt, der für die Deutschen und nicht im Widerstand gearbeitet hatte. Ab 1947 wurde „Der Rabe“ wieder in Kinoclubs, bald auch in normalen Kinos gezeigt; es gab großen publizistischen Rummel – nur vier Jahre, nachdem es so vehement gegen ihn ging, nun zugunsten des Films. Regisseure wie Marcel L’Herbier und Marcel Carné sprachen sich in einer Petition dafür aus, dass „Der Rabe“ wieder gezeigt wurde. Clouzots künstlerische Meisterschaft wurde allgemein gelobt, das Arbeitsverbot wohl aufgehoben (auch wenn darüber bis heute keine Unterlagen im Nationalarchiv existieren). Clouzot konnte bald wieder einen Stoff eigener Wahl verfilmen und entschied sich erneut für einen Kriminalfall: für den Roman „Die große Verwirrung“ („Légitime défense“) von Stanislas-André Steeman; einen anderen Roman von Steeman hatte er bereits 1942 mit seinem ersten Film „Der Mörder wohnt in Nr. 21“ („L’assassin habite au 21“) verfilmt. Im Mittelpunkt stehen eine junge ambitionierte Varieté-Sängerin (Suzy Delair) und ihr Mann, ein Pianist (Bertrand Blier), der unter Mordverdacht steht und sich immer mehr in Widersprüche verstrickt. Doch der ebenso umsichtige wie zynische Kommissar (Louis Jouvet) entdeckt den wahren Mörder. Wie in „Der Rabe“ geht es auch in „Unter falschem Verdacht“ (der Originaltitel „Quai des Orfèvres“ ist die Adresse der Pariser Kriminalpolizei) um einen Mikrokosmos: die Welt der Pariser Music-Halls als ein Dorf in der Großstadt, in dem sich alle egoistisch, misstrauisch und erpresserisch verhalten. Auch gibt es ähnlich viele Frauentypen, die Clouzot eingehend charakterisiert, sowie eine gewisse Kritik am bürgerlichen Leben. Für seine pessimistische Weltsicht fand Clouzot erneut faszinierende Schwarz-Weiß-Bilder und traf präzise die Stimmung der Zeit. In acht Wochen gedreht, landete der Film in Frankreich mit 5,5 Mio. Besuchern auf Platz Fünf der Jahresbesucherliste 1947, noch vor Hitchcocks „Rebecca“. Clouzots Karriere war gerettet, aber sein tragischer Fall zwischen den deutschen und französischen Fronten bleibt unvergessen.
(Andrea Dittgen in film-dienst 23/2008)

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Welches Bild der Jugend zeigte der NS-Film vor 1945, welches der westdeutsche und der Defa-Film danach? Das Hamburger Filmfestival Cinefest zeigt Filme aus den Jahren 1940 bis 1950, um die Kontinuitäten offen zu legen.

So realitätsnah wie möglich? Karl Ritters "Besatzung Dora" aus dem Jahr 1943 wird jetzt erstmals im Kino gezeigt.    Foto: Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin
Regisseur Karl Ritter dachte, er würde den Fliegern von der Fernaufklärung mit seinem Film "Besatzung Dora" ein Denkmal setzen. Sechs Wochen lang hatte er als Soldat bei den Fernaufklärern gedient, bevor er begann, das Drehbuch zu schreiben. Er hatte ab 1942 verschiedene Fronten besucht und Soldaten als Filmschauspieler rekrutiert, damit alles so realitätsnah wie möglich aussah. Ritter wollte original Soldaten, original Schauplätze und original Aktionen. Als ein Fliegertrupp im wirklichen Krieg zu einer Notlandung gezwungen war, dachten die Soldaten nicht ans Überleben, sondern funkten das Filmteam an, um auf die Chance hinzuweisen, eine original Notlandung zu filmen.
Das Filmteam kam wenige Minuten zu spät. Und als der Film 1943 fertig war, wurde er niemals öffentlich in einem Kino gezeigt. Das lag vor allem daran, dass der Krieg die Filmhandlung bereits überholt hatte: Beispielsweise hätte der gesamte in Nordafrika spielende Komplex entfernt werden müssen, nachdem Nordafrika 1943 bereits von den Alliierten besetzt war.
So gesehen wird es eine echte Premiere, wenn "Besatzung Dora" kommende Woche im Hamburger Metropolis-Kino läuft. Der Film wird dann ein Beitrag sein zum Filmfestival Cinefest, das am Samstag beginnt und sich in diesem Jahr mit Propaganda im Film der Jahre 1940-1950 beschäftigt. "Besatzung Dora" ist dabei ein Beispiel dafür, "wie sich im Film dieser Zeit Realität und Fiktion vermischen", sagt Hans-Michael Bock. Er arbeitet mit Erika Wottrich und Johannes Roschlau beim Verein Cinegraph, der das Cinefest veranstaltet. Mit im Boot ist außerdem das Bundesfilmarchiv in Berlin.
Das Cinefest 2008 trägt den Titel "Alles in Scherben!…?" und versammelt Filme aus Deutschland, Frankreich, Ungarn, der Sowjetunion, der sowjetischen Besatzungszone und den USA. Die Idee ist, das Jahr 1945 nicht wie sonst in der Filmgeschichte als Bruch zu setzen, nach dem alles anders wird, sondern die Kontinuitäten zu zeigen, die über das Ende der Nazidiktatur hinaus die Filme prägen. Schwerpunktmäßig geht es um die Darstellung der Jugend im Film jener Zeit: Welches Bild der Jugend zeigte der Film im Nazi-Deutschland, welches der Defa-Film in der sowjetischen Besatzungszone? Wie stellten die Amerikaner das Nachkriegsdeutschland ihren GIs vor? Und wie beschrieb die NS-Propaganda die USA?
Auf dem Cinefest sind Spielfilme und Propaganda-Filme zu sehen. Eine direkte Gegenüberstellung zweier Filme gibt es kaum. Das liegt manchmal daran, dass von korrespondierenden Filmen nicht immer beide gut genug erhalten sind für eine Kinoprojektion. Meist aber ist der Grund, dass die Filme bei aller Schlichtheit thematisch zu eigen sind: "Die Schwarze Robe" von 1943/44 beispielsweise erzählt die Beziehungsgeschichte einer beruflich erfolgreichen Juristin, die auf einen darunter leidenden Maler trifft - dieser Film handelt von Geschlechterverhältnissen. Der Film "Die Söhne des Herrn Gaspary" aus dem Jahr 1948 dagegen handelt von zwei ungleichen Brüdern im Nachkriegsdeutschland mit der Botschaft: Pazifistische Weichlinge brauchen wir nicht, sondern eine Jugend, die anpackt beim Wiederaufbau. Der Film fiel seinerzeit bei der Kritik durch mit dem Hinweis, ein NS-Propaganda-Film hätte nicht anders ausgesehen.
Das Cinefest umfasst 26 Programme mit zum Teil mehreren Filmen pro Programm. Ausschlaggebend für die Auswahl der Filme waren nicht Kriterien der Filmkunst, sondern die Frage, was ein Film sagt über die Ideologie seiner Zeit. Es sind Filme, deren Kontext entscheidend ist - bei den Cinefest-Vorführungen wird es dementsprechend diverse Einführungen und Gespräche geben, mitunter auch mit damals beteiligten Schauspielern wie Gunnar Möller. Außerdem gibt es im Rahmen des Cinefestes einen filmhistorischen Kongress, der sich mit dem Spannungsfeld zwischen Beharrung und Neuanfang im europäischen Film nach 1945 beschäftigt. Über "Besatzung Dora" wird dann auch zu reden sein. Womöglich im Vortrag "Fliegermythen im NS-Jugendfilm".
(Klaus Irler in taz Nord, 13.11.2008)

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Das CineFest hat sich in diesem Jahr viel vorgenommen: Hier sollen die Filmproduktion der vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts als Ganzes in den Blick genommen werden. Dazu sind vom 15. bis 23. November 26 Filmprogramme im Metropolis zu sehen. Sichtbar werden sollen vor allem die Gemeinsamkeiten und Querverbindungen zwischen den Filmen der Kriegs- und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Einen ersten Eindruck von einem Jahrzehnt im permanenten Ausnahmezustand bietet am Eröffnungsabend (15.11., 19.30 Uhr) ein Kurzfilmprogramm, unter anderem mit Humphrey Jennings halbstündigem Dokumentarfilm "The True Story of Lili Marlene" (OF) aus den Jahren 1943/44. Wie sehr sich das deutsche Kino während des Krieges in den Dienst der Nazi-Propaganda stellte, belegen Werner Klinglers "Die Degenhardts" (16.11., 17 Uhr) und "Junge Adler" (16.11., 19 Uhr) von Alfred Weidenmann: Im ersten findet ein zwangspensionierter Stadtobersekretär (Heinrich George) nach einem englischen Luftangriff eine neue Aufgabe, im zweiten lernen Lehrlinge in einer Flugzeugfabrik die Vorzüge nationalsozialistischer Gemeinschaft kennen. In beiden Filmen als Jugendlicher zu sehen ist Gunnar Möller. Der heute 80-Jährige wird als Gast erwartet. Dass auch Hollywood in den Kriegsjahren mehr oder weniger offene Propaganda machte, lässt sich sowohl an Großproduktionen wie William Wylers Oscar-gekröntem Klassiker "Mrs. Miniver" (OF; 17.11., 19 Uhr) als auch an einem B-Picture wie "Hitler's Children" (OF; 21.11., 21.15 Uhr) von Edward Dmytryk ablesen. In Form von Familiengeschichten versuchten nach Kriegsende auf westdeutscher Seite sowohl Rolf Meyers "Die Söhne des Herrn Gaspary" (17.11., 17 Uhr) als auch "Vor uns liegt das Leben" (23.11., 17 Uhr) von Günter Rittau die Jahre von 1933 bis 1945 filmisch zu verarbeiten. Von ostdeutscher Seite sind, ebenfalls aus dem Jahr 1948, zu sehen: der seinerzeit sehr populäre DEFA-Jugendfilm "1-2-3 Corona" (18.11., 19 Uhr), sowie "... und wieder 48" (19.11., 19 Uhr), Gustav von Wangenheims ambitionierter "Lehrfilm zum politischen Denken".
(Eckart Alberts in Hamburger Morgenpost, 13.11.2008)

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Pressespiegel
zum CineFest 2007
(Auswahl)


[...]Schon in der Stummfilmzeit inspirierte die Stadt an der Moldau das deutsche Kino. Daran erinnert "Cinefest", das (vierte) internationale Festival des deutschen Filmerbes in Hamburg, das CineGraph veranstaltet. Unter dem Titel "Film im Herzen Europas" geht es um den Komplex der deutsch-tschechischen Filmbeziehungen des 20. Jahrhunderts. Der Mythos Prag spielt darin eine wichtige Rolle, beginnend mit dem kurzen Kulturfilm "Das heilig Prag", den Hans Cürlis 1929 drehte und der schon das touristische Bild zwischen Märchen und Fantasy vermittelt, das sich bis heute gehalten hat: mittelalterliche Gassen, Hradschin, Wenzelsplatz, Rathaus, Karlsbrücke, Judenviertel und jene besondere Stimmung, die über der Stadt liegt.
Sie verfehlte schon 1913 in "Der Student von Prag" nicht ihre Wirkung - ebensowenig 1914 in Henrik Galeens "Der Golem". Dass Galeen für sein Remake 1926 auf eben diese malerischen Ansichten verzichtete, mag damit zusammenhängen, dass das Prag-Bild differenzierter geworden war und auch die Schattenseiten der Großstadt zum Tragen kamen. In Karl Grünes Debüt "Der Mädchenhirt" (1919), einer Ausgrabung von CineGraph - sie wurde im Oktober beim Stummfilmfestival von Pordenone gezeigt, wo CineGraph und Murnau-Stiftung für ihre langjährige Arbeit die Ehrenplakette erhielten -, wurde die märchenhafte Wirkung der Straßenszenen durch ernste, realistische Themen aufgebrochen, handelt es sich doch um eine Verfilmung der Sozialreportagen von Egon E. Kisch.[...]
(Andrea Dittgen, Filmdienst, 23/2007)

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Pressspiegel
zum CineFest 2006
(Auswahl)


Das dritte Cinefest, das internationale Festival des deutschen Film-Erbes (www.cinefest.de), widmete sich dem maritimen Kino. Damit konnten CineGraph und das Bundes-Filmarchiv als Organisatoren im Hamburger Metropolis-Kino großes Interesse wecken. Gerade bei den frühen Filmen aus den l0er und 20er Jahren ließen sich einige Entdeckungen machen. Zum Titanic-Untergang wurden gleich vier Fassungen geboten (1912, 1942, 1952, 1958). Die Sujets und Einstellungen ähneln sich, was spannende Vergleiche möglich macht. Beispielsweise scheint man erst relativ spät erkannt zu haben, dass Modelle möglichst im Verhältnis 1:10 gebaut sein müssen, um realistische Aufnahmen zu ermöglichen, wie Kameramann Wolfgang Treut erläuterte. Neben Foren zu Themen wie Ausstellungen im Filmmuseum („Das Boot"), lokalen Archiven und DVD-Ver­marktung gab es einen dreitägigen wissenschaftlichen Kongress. Bei der Eröffnung wurde der Schünzel-Preis an Vittorio Martinelli und der Willy Haas-Preis an die dreibändige Dokumentarfilmgeschichte sowie an die DVD „Selling Democrazy" vergeben. Das Programm wird nun auch in Berlin, Zürich und Wien gezeigt.
(ky, Filmecho/Filmwoche, 48/2006)

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Gerhart Hauptmann war auf der Titanic? Natürlich nicht. Aber sein Roman „Atlantis" gab die Vorlage für einen der ersten Titanicfilme überhaupt: „Atlantis", 1913 von dem Dänen August Blom auf. Zelluloid gebannt, ein Stummfilm, zu dem zünftige Klaviermusik gehört. Zu sehen ist diese Kostbarkeit nun auf dem diesjährigen Cinefest: „Leinen los! - Maritimes Kino", so der Titel, gegeben arm kommenden Wochenende im Metropolis-Kino. „Warum lügt Fräulein Käthe?" aus dem Jähre 1935 bietet eine heitere-naive Verwechslungskomödie, während es von Hamburg nach Madeira geht. Der amerikanische: Spielfilm „Mare Nostrum" 1926 erzählt dagegen eine beklemmende Liebesgeschichte zwischen einem spanischen Kapitän und einerdeutschen Spionin im Schatten des ersten Weltkrieges. "Der Magische Gürtel" von 1917 wiederum ist ein Kriegspropagandastreifen über den U-Boot-Krieg, während in dem DEFA-Streifen „Das Lied der Matrosen" diese singend in Schwarzweiß die Fäuste recken, wenn es darum geht sich gegen den Kaiser zu erheben. Ein Schatz dürfte das Richard-Fleischhut-Programm sein. Er war Bordfotograf des Norddeutschen Lloyd. Stoisch filmte er am 19.12.1939 vom Rettungsboot aus das brennende Kreuzschiff "Columbus"; als dieses sank, verschwand auch sein Fotoarchiv mit 32 000 Negativen mit in der Tiefe. Der Besucher muss übrigens kein ausgewiesener Experte sein. Festivalleiter Jörg Schöning: "Seefahrt im Kino zeigt gerade uns Laien, wie lebendig und prägend Schifffahrt einmal gewiesen ist; besonders angesichts der heute fast menschenleeren Tanker."
(FK, Hamburger Abendblatt, 16.11.2006)

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Früher waren die Sitten eben rauer. Während Hollywood heute ein paar Jahre verstreichen lässt, bis reale Katastrophen als Kinofilm umgesetzt werden, waren die Filmemacher 1912 deutlich schneller: Wenige Monate nach dem Untergang der Titanic produzierte Regisseur Mime Misu den ersten Spielfilm' über die Havarie: „In Nacht und Eis", gefilmt in einem Berliner Hinterhof und im Hamburger Hafen. Das Metropolis zeigt den Stumfilm beim CineFest unter dem Motto „Leinen Los" - gemeinsam mit, mehr als 30 anderen europäischen Spielfilmen aus den Jahren 1912 bis 1957. Im Festivalprogramm sind neben Spielfilmen auch dokumentarische Aufnahmen zwischen Katastrophen und Seefahrerromantik. Und auch das Leben in den Hafenstädten wird dargestellt. An der Titantic-Katastrophe lässt sich auch die Entwicklung der Filmkunst gut betrachten - vergleicht man Mime Misus Titanic-Streifen mit einer weiteren beim CineFest gezeigten Verfilmung des Unglücks aus dem Jahr 1953.
(Hinz & Kunzt, Nr. 165, November 2006)

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Beim CineFest 2006, dem von CineGraph und dem Bundesarchiv/Filmarchiv Berlin veranstalteten III. Internationalen Festival des deutschen Filmerbes stehen unter dem Titel "Leinen los! Maritimes Kino in Deutschland und Europa 1912 - 1957" (18. - 26.11.) Filme über Schiffe, Häfen und Meere im Mittelpunkt. In das Festival ist der 19. Internationale Filmhistorische Kongress im Museum für Hamburgische Geschichte integriert. Während beim CineFest in erster Linie die Schauspieler zum Tragen kommen, dominieren beim Kongress Analyse und Bewertung maritimer Produktionen. Drei Tage lang werden Filmhistoriker und Kulturwissenschaftler ausgewählte Bereiche aus der Geschichte des maritimen Kinos erhellen - vom filmisch festgehaltenen Stapellauf des Dampfers "Imperator" 1912 bis zum Untergang des letzten großen deutschen Frachtseglers, der "Pamir", 1957, CineFest und Kongress rücken dokumentarische wie fiktionale Darstellungen gleichermaßen ins Blickfeld - als wichtige Zeugnisse zur Kulturgeschichte einer wachsenden Mobilität und Globalisierung in der ersten  Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das CineFest Programm umfasst etwa 30 Filme, u.a. den restaurierten deutschen U-Boot-Film "Der magische Gürtel" (1917) und das während des ersten Weltkriegs an den Gestaden des Mittelmeers spielende Liebes- und Spionagemelodrama "Mare Nostrum" (1926). Lokale Schwerpunkte sind frühe Hamburg Filme wie "Die Carmen von St. Pauli" (1928, mit Jenny Jugo) und "Razzia auf St. Pauli" (1932) von Werner Hochbaum so wie Produktionen mit Hans Albers.
(fd, Filmdienst, Nr. 19, 2006)

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Als James Cameron 1998 bei der Oscar-Verleihung Preise für, seine Untergangsschnulze „Titanic" einfuhr, rief er „Ich bin der König der Welt." Dass Mime Misu sich auch so großspurig aufgeführt hätte, ist nicht bekannt. Der aus Rumänien stammende Regisseur und Schauspieler ver­filmte die Schiffskatastrophe schon 1912, nur drei Monate nach dem Unglück. Misu drehte den Film in einem Berliner Hinterhof und im Hamburger Hafen Und spielte den Kapitän Smith gleich selbst. 1912 kam der 40 Minuten lange Stumm­film mit dem Titel „In Nacht und Eis" in die Kinos. Misus Werk ist eine der Attraktionen des CineFests, das morgen in Hamburg beginnt und bis zum 26. November geht. Das Festival widmet sich in diesem Jahr unter dem Motto „Leinen los!" dem maritimen Kino.
Mit einer Eröffnungsgala und der Komödie „Warum lügt Fräulein Käthe?" beginnt das CineFest im Metropolis-Kino (Dammforstraße). Rund 30 Filme aus den Jahren 1912-1957 werden dort gezeigt. Darunter sind unter anderem Georg Tresslers Verfilmung von B. Travens Abenteuerroman „Das Totenschiff" (19.11., 19 Uhr) oder der Film „Das Lied der Matrosen" aus dem Jahr 1958 über den Aufstand in Kiel. Außerdem, na klar, Filme mit Hans Albers wie „Unter heißem Himmel" (24.11., 19 Uhr) und eine Dokumentation über das Leben an Bord der „Pamir" (24.11., 21 Uhr). Begleitet wird das CineFest vom für Jedermann zugänglichen Internationalen Filmhistorischem Kongress (23. bis 25. November), auf dem Fachleute im Hamburgmuseum (Holstenwall 24) über Hintergründe debattieren.
(vob, Harburger Anzeigen und Nachrichten, 17.11.2006)

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Pressespiegel
zum CineFest 2004
(Auswahl)


Ein solches Festival in Deutschland war längst überfällig, denn bisher finden sie vor allem in anderen europäischen Ländern statt.
(Kay Hoffmann, Film & TV Kameramann, Nr. 6, 20.6.2005)


Our patchwork view of German cinema emphasises angst and gloom, but CineFest, which opened in Hamburg in November, gave us a survey of comedy before 1945 with a focus on the Jewish humour that was eventually forced abroad or extinguished. (...)
German cinema isn't just Caligari's cabinet, Dietrich's legs and Hitler's jackboots; it's also Hansen's grin, Schünzel's eyes and Siggi Arno, funny from head to toe.
(Geoff Brown, Sight & Sound, Nr. 2, Februar 2005)


In Hamburg, beim CineFest, dem ersten Internationalen Festival des deutschen Film-Erbes, gelang der Zeitsprung zurück in die zwanziger Jahre: Das Orchester "Tuten und Blasen" heizte dem Publikum im nostalgischen Metropolis-Kino mit entfesseltem Swing ein, während auf der Leinwand in Reinhold Schünzels Komödie "Der Himmel auf Erden" eine überdrehte Band den Gästen eines Nachtclubs aufspielte – gestenreich, aber notgedrungen ganz ohne Töne.
Es war der umjubelte Höhepunkt eines Festivals, das in seinem ersten Jahr der deutschen Filmkomödie vor 1945 gewidmet war.
(Detlef Kühn, epd Film, Nr. 1, Januar 2005)


Die einzigen, die sich regelmäßig um den deutschen Film bemühen, sind Hans-Michael Bock und sein kleines Team von CineGraph in Hamburg. Dort wird seit 20 Jahren das gleichnamige mustergültige Lose-Blatt-Lexikon herausgegeben, und seit 17 Jahren lädt man zu einem filmhistorischen Kongress mit Filmschau ein, der vor allem Filmhistoriker anzieht. Als der Verein CineGraph den Kongress nun zu einem Festival erweiterte (inklusive Workshops zu Filmgeschichte im Kino, auf DVD und im Internet), zum "CineFest – Internationales Festival des deutschen Film-Erbes" in Hamburg (13.-21.11.), war der Erfolg mit 2000 Zuschauern in 26 Vorstellungen mit 38 Filmen noch eher bescheiden; richtig voll war das Metropolis-Kino bei Ernst Lubitsch, obwohl mit "Schuhpalast Pinkus" und "Wenn vier dasselbe tun" kaum bekannte Kurzfilme von und mit ihm gezeigt wurden. (...)
Nun ist ein Anfang gemacht, das deutsche Filmerbe zu präsentieren.
(Andrea Dittgen, film-dienst, Nr. 26, 23.12.2004)

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Was macht das deutsche Filmerbe? Mal gibt es einen alten Rühmann- oder Marika-Rökk-Film im TV, mal zeigt ein Filmfestival restaurierte Klassiker wie „Metropolis". Ansonsten lagern die Filme im großen Bundesarchiv in Berlin und Koblenz, bei kleineren Archiven wie dem Deutschen Institut für Filmkunde in Frankfurt und Wiesbaden oder der früheren Stiftung Deutsche Kinemathek (jetzt Filmmuseum Berlin). Und: Ein Großteil liegt als Kriegsbeute im riesigen Gosfilmofond bei Moskau.
Selbst die spezialisierten historischen Filmfestivals zeigen kaum deutsche Filme, die große Schau "Deutscher Film vor Caligari" fand in Pordenone Ende der 80er statt. Nun hat der Verein Cinegraph -der in letzter Zeit fast als einziger versucht hat, deutsche Filmgeschichte nicht nur zu dokumentieren, sondern auch zugänglich zu machen – ein deutsches Filmerbe-Festival initiiert. Das "1. internationalen Festival des deutschen Film-Erbes" widmete sich deutschen Filmkomödien vor 1945.
Aus der Taufe gehoben wurde das Festival in dem Jahr, in dem das Cinegraph-Lexikon 20-jähriges Bestehen feiert – jene Loseblatt-Sammlung, die inzwischen sieben dicke Ordner füllt und in ihrer Datenfülle und wissenschaftlichen Verlässlichkeit unersetzbar geworden ist. Und nun also ein eigenes Festival, hervorgegangen aus den seit 1988 Jahr für Jahr organisierten Cinegraph-Kongressen.
(Peter Hornung, Saarbrücker Zeitung, Nr. 272, 22.11.2004)

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"Wir wollen eine andere Art des Weimarer Kinos zeigen", sagt CineGraph-Chef Hans-Michael Bock. "Komödien sind in der Forschung oft nicht ernstgenommen worden." Dabei gebe es dort viel zu entdecken. Schon der Eröffnungsfilm zeige, dass Schünzel in seinen Filmen durchaus improvisiert habe. Die Filme mit dem Hamburger ziehen sich als roter Faden durch das CineFest-Programm.
(Volker Behrens, Hamburger Abendblatt, 12.11.2004)


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