48 Stunden im Leben eines Polizisten auf St. Pauli. Hauptwachmeister Glantz schiebt gemeinsam mit seinem Kollegen Schriever Dienst in der Davidwache (!) auf der Reeperbahn. Sie kümmern sich um die Beschwerden ausgeraubter Touristen, übervorteilter Freier und um Kneipenschlägereien. Glantz freut sich auf das Wiedersehen mit seiner Tochter, die er am nächsten Tag am Bahnhof abholen will. Allerdings muss er sich zuvor noch um den Schwerverbrecher Bruno Kapp kümmern, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Glantz war einst verantwortlich für dessen Festnahme, weshalb Bruno jetzt auf Rache sinnt. Davon kann ihn auch seine Verlobte Margot nicht abhalten, die fest an seine Unschuld glaubt. Als sie jedoch erkennt, dass Bruno sie nur ausgenutzt hat, bricht für sie eine Welt zusammen und sie richtet eine Waffe auf ihren Verlobten, der gerade von Glantz festgenommen wird. Ein Schuss fällt und ein Mann stürzt tödlich getroffen zu Boden. Alltag auf St. Pauli.
48 hours in a policeman’s life in St. Pauli. Constable Glantz and his colleague Schiever are on duty in Davidwache, a busy police station in Reeperbahn. While they deal with the normal routine of cheated tourists, muggings, pub brawls and prostitutes, Glantz can’t stop talking about the next day, when he will finally be reunited with his daughter. Before her train arrives though, he has to cross tracks with Bruno Kapp, a dangerous criminal who has just been released from jail and is hell-bent on revenge. Bruno takes advantage of the opportunity to meet up with his fiancé Margot who steadfastly believes in his innocence. When Margot realises that he has only been using her, her whole world collapses and she aims a gun at Bruno, with Glantz right on his tail. A shot is fired and one man tumbles to the floor fatally wounded. Just another day in St. Pauli.
Fast bei ausnahmslos jedem neueren bundesdeutschen Film, der »irgendwie und irgendwo« in bundesdeutscher Gegenwart angesiedelt war, stimmte dies alles nicht: er war kaum zu lokalisieren, seine Orts- und Zeitbestimmungen waren ebenso vage wie das soziale Milieu und die Bestimmung der Figuren. Soziale Klischees, Salon, weiße Telefone, Arzt, Anwalt oder der wackere Kleinbürger, mit dem kleinen Glück sich bescheidend, dominierten.
In Jürgen Rolands St.-Pauli-Film nun stimmen erst einmal diese unerläßlichen Voraussetzungen, will der Film nicht im Leeren hängen. Hafen- und Vergnügungsviertel St. Pauli, Zeit 1964. Authentische Bilder, die fast stets abseits der Postkartenbestimmungen das Milieu einigermaßen stichhaltig realisieren, wenngleich auch dabei einige rein dekorative Kamerafahrten unterlaufen. Ansonsten ist da kaum Attrappe und Schönfärberei. Die wesentlichen Figuren, auch wenn sie in den vollkommen bei der Kolportage verbleibenden Handlung stehen, sind sozial definiert: Polizeibeamte der berühmten Revierwache 15 der Davidswache (Wolfgang Kieling, Günther Neutze); eine naive kleinbürgerliche Fabrikarbeiterin (Hannelore Schroth), ein mieser Verbrecher der unteren Rangordnung, durchaus kein Kriminalfilm-Klischeegangster (Günther Ungeheuer); sein junger Kumpel, Nichtstuer, Streuner, schwankend zwischen Zweifeln und Mitmachen.
Die eigentliche Stärke des Films allerdings liegt jeweils erst dort, wo die Kolportage in den Hintergrund tritt und die Reportage gewinnt: die täglichen und nächtlichen Situationen in der Davidswache. Sie wird zum Kristallisationspunkt der zum großen Teil dokumentarischen Beobachtungen. Strichmädchen und Konkurrentinnen, Geneppte und angeblich Geneppte, Besoffene, Bestohlene, Wichtigtuer, Provinzler, Seeleute, Krakeeler, Portiers, »Kellermänner« und Touristen, Taxifahrer und heulende Ehefrauen, Nachtlokal-Chefs und Transvestiten eine zutreffende und relativ differenzierte Typologie des Hamburger Amüsierviertels. Mit den Beschwerden und Anzeigen, den niederen Streitigkeiten und größeren Delikten, die sie vorbringen, mit dem ganzen Gezerre und Gekeife werden Untergrund und Hintergrund St Paulis sichtbar (und aus dem souveränen und sympathischen Reagieren der Polizisten wird Rolands Spezialität ein Loblied auf die Polizei).
Hier allerdings werden die Grenzen des Roland-Films sichtbar: er bleibt, sieht man von der ohnehin unbedeutenden Kolportagehandlung ab, bei der Materialsammlung stehen. Sie ist unreflektiert. Zur kritischen Analyse, zur Erhellung sozialer Zusammenhänge, zu psychologischen Definitionen stoßen Wolfgang Menge (Drehbuch) und Jürgen Roland nicht durch. Solide und glatt bleibt das Bild (Günter Haase) auch von da aus, durch spezifische Bildsprache, wurde die Materialfülle auf keinen kritischen Nenner gebracht Das Resultat ist dennoch nicht zu unterschätzen, zumal nicht Papier geredet wird, sondern die charakteristische »Sprache« gefunden wurde: ein informativer Unterhaltungsfilm.
P. D.: Polizeirevier Davidswache Zwischen Materialsammlung und Kolportage
Die Andere Zeitung (Hamburg), 17.9.1964
Es dröhnen die Ohren von Sankt-Pauli-Schnulzen, es tränen die Augen vor Reeperbahn-Rührseligkeit. Das Heimweh nach dem Kneipenrevier schmalzt von der Leinwand und aus den Musikboxen. Von Hans Albers bis Freddy war Seemannslos schon immer kassenträchtig.
Nun also noch ein Film, der aus den berüchtigten Gefilden der Halb- und Unterwelt eine plattdeutsche Idylle fabriziert? Mitnichten. Hier passiert etwas ganz Ungewöhnliches: Deutsche Filmmacher spüren der Wirklichkeit nach. Einer Wirklichkeit, die sich vom Zuschauer notfalls auch kontrollieren läßt.
Nun ist das ja im Zelluloid-Handwerk schon immer so, daß das »Leben« der beliebteste Drehbuchautor war: Geschichten, die das Leben schrieb und schreibt, kann man allenthalben vom Parkett aus besehen. Die »ungeschminkten Realitäten« stellen sich dann aber meist als so ästhetisch herausgeputzt oder reißerisch aufgedonnert heraus, daß der Zuschauer dem Leben als Autor nicht mehr so recht traut.
Hier nun schrieb Wolfgang Menge das Buch, seit langem enger Mitarbeiter von Jürgen Roland, beide waren sie früher Reporter, beide haben sie gelernt, gründlich zu recherchieren. Das stellen sie glaubhaft unter Beweis, wenn es darum geht, Milieu zu schildern. Und darum gebt es in der Hauptsache: Alltag, beziehungsweise Allnacht, in Sankt Pauli aus der Sicht der Revierbeamten der berühmten Davidswache. Man spürt es sofort, daß man hier nicht von einem geschickten Schreiber mit gewitzten Dialogen übers Ohr gehauen wird, daß der Regisseur die Typen nicht nach ihrer Kamerawirksamkeit ausgesucht hat, daß die Sprache nicht nur am Schreibtisch ausbaldowert wurde.
Das ist echt, typisch, glaubhaft. Die besten Szenen des Films bestehen aus Beobachtetem und Belauschtem. Sie haben den Reiz des Authentischen.
Martin Buchholz: Polizeirevier Davidswache
Spandauer Volksblatt, 29.11.1964