Fünf von verschiedenen Regisseuren inszenierte Episoden:
Eine schräge Familie von Motorradfans fährt zum Großen Preis der Tschechoslowakei, wo sie den Tod eines bekannten Rennfahrers miterleben. In einem Krankenhaus erzählen zwei alte Männer von den großartigen Leistungen ihres Lebens. Nach ihrem Tod stellt sich allerdings heraus, dass alles erfunden war. Zwei Versicherungsbeamte besuchen in der Hoffnung auf ein gutes Geschäft einen naiven Maler, müssen aber feststellen, dass es dort nichts zu versichern gibt. Eine seltsame Imbissbude in der Vorstadt Prag-Libeň verwandelt sich durch den Einzug einer Hochzeitsgesellschaft in die fantastische Vision einer Hochzeitsnacht. Installateursgehilfe Gaston Košilka lernt vor einem Kino ein Zigeunermädchen kennen, verbringt die Nacht mit ihr und begleitet sie am nächsten Morgen zu ihrer Familie.
Five episodes, each by a different director, based on short stories by Bohumil Hrabal. A rather strange family of motorcycle fans go to the Czechoslovakian Grand Prix and witness the death of a famous driver. In a hospital, two old men tell each other about their many great achievements in life. After their death however, their stories turn out to be merely fabrications. Two insurance agents hope to get some profitable contracts signed when they visit the home of a naïve painter, only to realize that there isn’t anything there worth insuring. When a wedding party comes into an odd little snack bar in the suburb Prague-Libeň, they transform it into a fantastic, dreamlike wedding night. Plumber’s assistant Gaston Košilka meets a gipsy girl in front of a cinema and stays with her overnight. The next morning she introduces him to her family.
Eine junge Filmgarde aus der Tschechoslowakei hat uns schon des öfteren Grund gegeben, Mund und Augen weit aufzusperren. Allen voran Milos Forman, haben sie künstlerische Versprechungen gemacht, von denen man bezweifelte, daß sie sie einlösen könnten. Sie können! Das beweist ein Team-Film, der hoffentlich bald einmal auf die öffentliche Leinwand unserer Lichtspieltheater kommt. Vorerst sah man ihn in West-Berlin nur in einer internen Pressevorführung: PERLCHEN AUF DEM MEERESGRUND heißt er und enthält wie es so schön heißt einige wirkliche »Perlen der Filmkunst«.
Es ist eigentlich ein verfilmtes Geschichtenbuch, eine Sammlung von fünf Kurzbrennern, die nach Stoffen eines Schriftstellers gedreht wurden. So ist auch der Name des Autors, nämlich Bohumil Hrabal, eigentlich das einzige, was diese jeweils etwa zwanzig Minuten langen Werke zusammenhält. Wollte man andere Zusammenhänge suchen, würde man vielleicht zuviel an Absichten hineingeheimnissen, die die Künstler gar nicht hatten. Sämtliche Geschichten handeln allerdings von recht ungewöhnlichen Menschentypen, die der Alltag nicht allzu oft parat hat Originale, Käuze, Betrüger, ungleiche Liebespaare. Da sind die Rennsportliebhaber, die einfach kein Unglück auslassen können, wenn ein Rennen stattfindet, ja, die das Unglück geradezu anziehen, weil es eben so anziehend ist Da sind die beiden todkranken Greise, die einander von ihren glänzenden Karrieren als Opernsänger und Reporter vorschwärmen und die in Wirklichkeit nur schäbige Komparsen des Lebens waren, wie sich später im Leichenschauhaus herausstellt. Da ist jener halbirre Maler mit seiner vollirren Mutter, der sich eine Welt bunter Farbträume zusammenpinselt, in die eines Tages zwei Versicherungsagenten eindringen. Da ist jener Laienkünstler, der mit den Hochzeitsschleiern einer fremden Braut Bäumchen festbindet, damit sie nicht im Sturm brechen. Da ist jenes seltsame Paar: ein Prager Junge, der davon träumt, wie Fanfan der Husar zu sein, und das Zigeunermädchen, das für fünfzig Kronen seine Geliebte wird.
Fünf verschiedene Szenen fünf verschiedene Regisseure. Jiri Menzels Kurzfilm DER TOD DES HERREN BALTHASAR frappierte durch ein originelles, zauberhaft komponiertes Ballett von Motorradfahrern. Eine ironische Zauberei, ebenso lächerlich wie schön.
Dagegen war die Talentprobe Jan Nemecs, DIE BETRÜGER, eigentlich nicht viel mehr als ein verfilmtes Hörspiel. Die Erzählung gab optisch allerdings viel weniger her.
Evald Schorm verfilmte die Malerepisode DAS HAUS DER FREUDE. Der einzige farbige Beitrag dieses Filmquintetts. Dafür wütete Schorm auch in den Farben. Er läßt der Kamera surrealistischen Auslauf. Er läßt sie phantasieren, ebenso wie die Personen der Handlung. Der Reiz liegt hier ganz in den verschrobenen, bunt zusammengeklecksten Bildern, die mit dem Objektiv und Pinsel zustande kommen.
Vera Chytilova führt den AUTOMAT WELT vor. Eine triste, böse Geschichte von Selbstmord auf der Damentoilette, von einer schmuddligen Kneipe, einer verpfuschten Hochzeit, einer Braut, die sich reihum anbietet, einem Arbeiter, der sie schließlich auch nimmt und ihr das Kleid vom Leib reißt, um Bäume festzubinden. Das hat Atmosphäre und leistet sich auch einige Frechheiten: Da heftet beispielsweise der Arbeiter, der nebenbei als bildender Künstler abstrakte Drucke verfertigt sein Werk an eine Riesenfotografie von Karl Marx, mitten hinein mit den Reißzwecken in den Rauschebart.
Die zärtlichste Begebenheit berichtet Jaromil Jires: ROMANZE. Eine kleine Zigeunerhure, die sich beim Geschäft in einen Burschen verliebt und ihn heiraten will. Ob’s dazu kommt, scheint unwahrscheinlich, aber davon erfährt man nichts. Man begleitet die beiden eben nur bei ihren ersten Begegnungen, bei denen er von seinem besoffenen Chef erzählt und sie von dem Großvater, der Zigeunerbaron ist. Sie nimmt ihn auch mit in ein Zigeunerlager, und damit endet die Romanze: ein kleiner Junge, der künftige Stammesfürst, knöpft sich den Hosenschlitz auf und sprengt einen weiten Bogen vom Hügel herunter. Unten in der Stadt beginnt es zu regnen.
Fünf Filmchen fünf Künstler, von unterschiedlicher Güte zwar, dennoch von hohem Niveau. Was wäre man froh, wenn zumindest einer unserer jungen Filmleute ein solches »Perlchen« zustande bringen würde.
Martin Buchholz: Perlchen auf dem Meeresgrund
Spandauer Volksblatt (Berlin/West), 20.3.1966