Dokumentation über das unvollendete Filmprojekt L’ENFER. 1964 beginnt Henri-Georges Clouzot, mit Romy Schneider und Serge Reggiani in den Hauptrollen, die Dreharbeiten zu einem Film über einen neurotisch eifersüchtigen Ehemann, der langsam seinem Wahn verfällt. Mit einem unlimitierten Budget macht Clouzot exzessive Probeaufnahmen und Experimente mit neuartigen Licht- und Farb-Effekten. Die Dreharbeiten gestalten sich durch Clouzots zunehmend obsessives Verhalten immer schwieriger, bis sie durch einen Herzinfarkt des Regisseurs abrupt beendet werden. Das Material (14 Stunden auf 185 Rollen) wird weggeschlossen, bis es 2008 vom Filmsammler und Produzenten Serge Bromberg aufgestöbert wird. Seine Dokumentation erzählt mit faszinierenden Ausschnitten des Films, Interviews der damals Beteiligten und nachgestellten Szenen die Geschichte eines großartigen Scheiterns.
A Documentary about the unfinished film project L’ENFER: In 1964, Henri-Georges Clouzot begins shooting a film, starring Romy Schneider and Serge Reggiani, about a neurotically jealous husband, who slowly becomes insane. Equipped with an unlimited budget, Clouzot makes excessive test takes, experimenting with innovative light and colour effects. With innovative motivation, and increasingly obsessive behavior from Clouzot, shooting the film becomes progressively more difficult and ends abruptly when the director suffers a heart attack. The shot material (14 hours on 185 reels) is then locked away until 2008, when film collector and producer Serge Bromberg tracks it down. With fascinating clips from the film, interviews with participants and re-enacted scenes, his documentary tells the story of a grand failure.
DIE HÖLLE VON HENRI-GEORGES CLOUZOT (2009) der Titel spielt auf die Ununterscheidbarkeit von filmischer Wirklichkeit und Realität der Dreharbeiten an ist eine sensationelle filmhistorische Ausgrabung und dokumentiert das Making-Of eines auf abstruse Weise entgleisten Projekts. Die Produktionsgeschichte des Films wird durch Interviews mit ehemaligen Zeitzeugen erzählt, zudem gibt es recht prätentiös inszenierte Einschübe, in denen ein Schauspielerpaar die fehlenden Szenen der Filmhandlung nachspielt. Über diesen etwas misslungenen Einfall sollte man aber großzügig hinwegsehen. DIE HÖLLE VON HENRI-GEORGES CLOUZOT ist vor allem als Meta-Film oder »Film im Film« aufregend, denn aus den Fragmenten ergibt sich ein völlig eigenständiges, wenn auch brüchiges Werk. Auch die Probeaufnahmen und Kostümproben sind eine Entdeckung. Romy Schneider und Serge Reggiani wirken unbefangen und voller Energie, völlig ahnungslos, dass die Arbeit mit Clouzot in einer Katastrophe enden würde. Während die 25jährige Romy Schneider in DIE HÖLLE als sinnliche, verführerische Ikone erscheint und rein gar nichts mehr an ihr einstiges Sissi-Image erinnert, ist ihr Auftritt bei den Screen Tests unverstellt jungmädchenhaft, frech und fast ein bisschen drollig. Die angehende »französische« Actrice, die Clouzot als jemanden beschreibt, den sie »schon immer sehr bewundert und auch ein bisschen gefürchtet« habe, vertraute sich ihrem Regisseur geradezu blind an, obwohl er unter Schauspielern den Ruf eines Folterknechts genoss.
DIE HÖLLE erzählt von der pathologischen Eifersucht eines Mannes, die immer paranoidere Züge annimmt. Am Ende haben seine Wahnvorstellungen die Wirklichkeit vollständig getilgt. Clouzot hatte das Drehbuch selbst geschrieben, die Alltagswelt sollte in Schwarz-Weiß-Bildern, die Visionen der Figuren in Farbe dargestellt werden. Erste Bilder zeigen ein glückliches Paar, gespielt von Romy Schneider und Serge Reggiani. Den beiden gehört ein kleines Hotel an einem See, die Kulisse ist malerisch, erste Anzeichen einer Bedrohung kündigen sich an. Der Blick des Mannes, Marcel, auf seine Frau Odette wirkt zunehmend surreal. Er meint in ihrem ungezwungenen Umgang mit den Hotelgästen ein aufreizendes Spiel sexueller Gesten zu erkennen. Seine Wahrnehmung verformt sich buchstäblich: Das Bild wird verzerrt, Augen, Münder und Brüste vervielfältigen sich, seine Orientierung geht immer weiter verloren. Daneben gibt es bizarre Bilder voll faszinierender Farb- und Lichtstimmungen. Eine in grünes und blaues Licht getauchte Romy Schneider, die genüsslich und sehr lasziv raucht, ihr Blick intensiv, geradezu hypnotisch. Romy beim Wasserskifahren, der See ist blutrot gefärbt, Romy mit blau geschminkten Lippen auf einem Boot, leidenschaftlich zugange mit einem muskulösen Mann, später in einer lesbischen Verführungsszene, Romys funkelndes, mit Pailletten bestäubtes Gesicht, umkreist von Lichtspielen. Die Bilder sind hypnotisch auch wenn oder gerade weil sie auf eine ziemlich hemmungslose Art Romy-Schneider-Exploitation betreiben. Trotz ihrer zeittypischen Stilmittel erscheinen sie neu und unverbraucht, aber natürlich beruht ihre Wirkung auch auf dem Wissen, dass es sich um Elemente eines ambitionierten, aber gescheiterten Kunstwerks handelt. Sie versprechen, mehr zu sein als bloße Filmreste, nämlich Fragmente eines potentiellen »Meisterwerks«. Nichts weniger hatte sich Clouzot jedenfalls vorgenommen.
Esther Buss: Blick in die Hölle
Jungle World, Nr. 33, 19.8.2010