Pilenz lässt die Geschichte seines ehemaligen Schulkameraden Mahlke auch nach Jahren nicht zur Ruhe kommen. Er reist nach Danzig und begibt sich auf die Spuren seiner Jugend während des Zweiten Weltkriegs: Joachim Mahlke ist ein Außenseiter, der sich durch seinen übergroßen Adamsapfel entstellt fühlt und versucht, ihn mit allerlei Utensilien zu verbergen. Pilenz wirft aus Spaß eine Katze auf Mahlkes Adamsapfel, als sei er eine Maus. Dieses Ereignis reißt den Sonderling aus seiner Lethargie. Aus dem Nichtschwimmer wird ein hervorragender Taucher, er überrascht seine Kameraden auf einem halb-versunkenen polnischen Minensuchboot mit riskanten Manövern. Schließlich stiehlt er einem Soldaten das Ritterkreuz, worauf er von der Schule fliegt. Er meldet sich freiwillig zum Kriegseinsatz. Als er jetzt selbst Ritterkreuzträger auf Heimaturlaub in seiner alten Schule als militärischer Held von seinen Kriegserlebnissen erzählen will, erhält er eine Absage. Frustriert desertiert Mahlke und flieht auf das alte Boot, wo er spurlos verschwindet.
Pilenz has been consistently preoccupied with the story of his schoolmate Mahlke ever since they last saw each other, many years ago. He travels to Danzig to embark on a journey into his youth during World War II: Joachim Mahlke is an outsider, who feels conspicuously deformed by his oversized Adam’s apple and tries to hide it any way he can. For fun, Pilenz teases a young cat with Mahlke’s Adam’s apple as if it were a mouse, leaving Mahlke lightly scratched but emotionally wounded. After this game of cat and mouse, Mahlke pounces out of the eccentric, lethargic cocoon he has been living in. The non-swimmer turns into an outstanding diver and surprises his comrades with risky maneuvers on a half-sunken Polish minesweeper. After stealing a Knight’s Cross from a soldier and as a consequence being expelled from school, he signs up for war service. When he now wearing the Knight’s Cross that he has been legitimately awarded - returns on furlough, he is eager to tell everyone at his old school about his war experiences. When the head master denies that wish a frustrated Mahlke deserts, flees to the old minesweeper, and vanishes without a trace.
Hansjürgen Pohland läßt die kindlich-tragischen Abenteuer des eben rasierpflichtigen Jünglings Mahlke am Strand von Langfuhr in zeitlicher Verschiebung erscheinen. Der ganze Film eine aktive Rückblende.
Er beginnt heute. Er hebt an mit einer vorzüglich geschnittenen und montierten Reise in die Vergangenheit. Ein stämmiger Herr mit Pfeife (Wolfgang Neuss) fährt im offenen Wagen in das Land seiner westpreußischen Jugend. Wälder der Heimat. Ein Reiterschwarm über Stoppelfeldern. Wolken über dem Sommerland. Die grandiose, wiederhergestellte Silhouette Danzigs aus der Ferne.
Fahrt durch die unveränderte, durch die doch ganz anders gewordene Stadt. Wer sie kannte und liebte, wird nicht ohne Herzklopfen zur Leinwand blicken. Krantor. Marienkirche. Lange Brücke. Aspekte der schönen Hansestadt, kunst- und liebevoll wiederaufgebaut. Dann neue und moderne Bauten am Stadtrand, die Erinnerung revidierend, Anflüge falscher Wehmut richtigstellend. Sommermenschen auf den weiten Straßen. Altes Danzig, anders.
Der Film hält sich mit Reminiszenzen nicht auf. Der stämmige Herr mit Pfeife fährt vor die alte unversehrte Schule, darin er einst, mitten im Kriege, Pennäler war. Er steigt aus, wandelt über den Schulhof, geht die Klassengänge entlang, tritt in die Aula, schreitet über abgewetzte Treppen, die auch er einst mit seinen Freunden jahrelang trat.
Plötzlich sind die kurzhosigen Kumpane wieder da. Sie sind wieder da, wie sie damals waren, in den Jahren des Krieges. Es geschieht eine Beschwörung. Sie wird optisch lebendig. Der besuchsweise Heimgekehrte ist wieder mitten unter ihnen. Er rekonstruiert eine längst vergangene, eine verlorene Zeit, spricht mit seinen Kumpels und Klassenkameraden von einst. Er erlebt noch einmal des Joachim Mahlke schnelle, kindliche, komische, sorgenvolle, alberne und am Ende tragische Jugend.
Pohland mischt die Zeiten. Er läßt, was geschieht, immer heute passieren, während er die Geschichte einer gußeisernen Jugend greifbar macht, die doch dreißig und mehr Jahre zurückliegt.
Er hat einen dramaturgischen Trick gefunden, die entfernte Fabel so zu erzählen, daß sie immer in die Gegenwart überlappt. Der Revenant, der Mann mit der Pfeife, tritt wieder ein in die Clique von damals, mischt sich real unter die Gestalten der Erinnerung. Aber er bleibt, der er ist, bleibt der Mann mit der Pfeife, auch wenn er, als der Schüler Pilenz von einst, sozusagen ins Glied der Pennälerfront zurücktritt. [...]
Ein guter Film? Er ist anders als die Novelle, ist elegischer, weitaus dünnblütiger, viel weniger kraftvoll und barock als das Buch. Der Beigeschmack des Tolldreisten, des Aufsässigen, den Günter Graß seiner Erzählung ständig beigab, fehlt hier.
Dies arbeitet auf aussparende Art. Pohland füllt die Welt, die er anleuchtet, nicht aus. Sie wird nur mit den Figuren der notwendigen Fabel bestückt. Was sich abspielt, spielt sich sozusagen in bedeutungsvoller Leere ab. Nebenfiguren werden gar nicht erst erfunden. Die Schule besteht, was den Lehrkörper betrifft, nur aus dem Rektor (Herbert Weisbach). Die Schülerschaft setzt sich eben nur aus dem kleinen Halbdutzend Pennäler zusammen, die wirklich zu Mahlke und seiner Clique gehören.
Pohland hat sich bemüht, eine Erinnerung wie mit dem Silberstift nachzuziehen. Es soll gar nicht wimmeln. Es soll alles wie eben aus der sortierenden, eher schmerzlichen Erinnerung gefiltert sein. Zu diesem Zwecke verfremdet er das ohnehin Befremdliche oft noch einmal. Wo eben die Jungs standen, saßen, kalberten oder lagen liegen plötzlich Puppen, liegen ihnen ähnelnde Figuren aus Pappmaché starr herum. Damit soll der elegische Umstand, daß die Welt, die da wieder auflebte, längst tot, daß sie unwiederholbar sei und total vergangen, augenfällig gemacht werden. Es gelingt, ein paarmal ist das ebenso erschreckend wie schön. Es wird nur zu oft angewendet.
Lars Brandt spielt den jüngeren Mahlke. Pohland läßt ihn, klugerweise, eigentlich gar nicht »spielen«. Er bedient sich seiner sperrigen Jugend. Er nutzt seine Unbeholfenheit. Er macht sich seine Staksigkeit zunutze. Kein Jung-Star, sondern ein Typ wurde geliefert. Er hat sogar Mahlkes kräftigen Knorpel unterm Kinn. Er paßt. Mehr sollte nicht sein. Für die anderen Jung-Spieler gilt das gleiche.
Pohland läßt die jungen Laienspieler sprechen, wie sie eben sprechen. Sie verstellen sich nicht mit dem Munde als Danziger Boofkes; sie stammen dialektisch durchaus aus Schöneberg. Nur wenn Mahlkes Tante (Ingrid van Bergen) zwei kurze Szenen hat, klingt die gemütliche Dehnung westpreußischer Redeweise auf. Und da stört sie dann als eine fast zu realistische Festlegung beinahe.
Kamera: Wolf Wirth. Er unterstützt des Inszenators Willen zur elegischen, aussparenden Blickrichtung in die Vergangenheit vorzüglich. Wirth fotografiert die längst vergangene Episode einer Kriegsjugend, als sei’s ein Stück von uns. Immer noch wirksame, unbesonnte Vergangenheit.
Dieser Film macht unsere einheimischen Kinos wieder etwas literaturhaltig, und er macht sie, auf seine ehrliche Art, wieder etwas ehrlicher.
Friedrich Luft: Katz und Maus
Die Welt, 11.2.1967