Dresden nach dem Zweiten Weltkrieg: Wie der größte Teil der Stadt liegt auch die Zigarettenfabrik, in der Kalle früher gearbeitet hat, in Schutt und Asche. Um sie wieder aufzubauen, wird Karbid zum Schweißen benötigt. Kalle, Vegetarier und Nichtraucher, macht sich auf nach Wittenberge, um einige Fässer Karbid zu »organisieren«. Sein einziges Zahlungsmittel auf dem Weg sind Zigaretten, seine Verpflegung Sauerampfer. Der Rückweg mit sieben Fässern Karbid wird ohne eigenen fahrbaren Untersatz allerdings problematisch. Kalle wird von der sympathischen Bäuerin Karla auf ihrem Fuhrwerk mitgenommen. Am liebsten würde er gleich ganz bei ihr bleiben, aber er zieht pflichtbewusst mit den Fässern weiter. Unterwegs gilt es etliche Widrigkeiten abzuwehren: Er wird als Plünderer verdächtigt, muss sich mit einem geschäftstüchtigen amerikanischen Soldaten sowie mit etlichen Rotarmisten auseinandersetzen, die ihn um einige Fässer erleichtern. Am Ende kann er aber doch zwei Fässer bei seiner alten Fabrik abliefern.
Die Wahrheit des Lebens läßt sich in der Kunst auch heiter entdecken, wenn man unter ihr nicht ein plattes Abbild der Wirklichkeit, sondern die Erkenntnisse tieferer Zusammenhänge menschlich-gesellschaftlicher Beziehungen verstehen will. Die Ereignisse des Jahres 1945 sind, grob realistisch betrachtet, ernster Natur, aus welchem Blickwinkel man sie auch betrachten mag. Heute aber, im Jahre 1964, nach einem gewissermaßen verfremdenden Zeitabstand von fast zwanzig Jahren, darf auch der erste Nachkriegssommer unter einer anderen Beleuchtung gesehen werden. Vieles, was sich damals mit tragischer Schwere vollzog, mutet heute grotesk an, ist, vom materiellen und ideellen Standpunkt unseres gegenwärtigen Lebens gesehen, umgeschlagen aus der ernsten in eine heitere Qualität.
Diesen reizvollen Umschlag für unsere Filmproduktion entdeckt zu haben ist das Verdienst von Hans Oliva und Frank Beyer. Sie erzählen eine auf den ersten Blick sehr dürre, ja primitive Fabel: Ein Mann fährt von Dresden nach Wittenberge, holt dort sieben Fässer Karbid ab und versucht, mit diesen Fässern wiederum nach Dresden zu kommen, wo das Karbid zum Schweißen dringend benötigt wird. Wo in dieser Geschichte zwangsläufig Ernst-Tragisches ins Spiel kommt, ist es gebrochen durch die besondere Charakterfärbung der Hauptfigur. Kalle, der Dresdner Reparaturschlosser, ist ein Held wider Willen, ein später Nachfahre der Schelmen des Mittelalters, ein Junggeselle und Rohköstler mit unverrückbarem inneren Gleichgewicht, einer kräftigen Portion Humor und unter betont bedachtsamer Langsamkeit verborgenen Intelligenz, die zur listigen Bauernschläue tendiert. Dieser Held also, mit dem kräftigen urdeutschen Wort »Scheiße!« den Film beginnend und beendend, schlägt sich durchs karbidbeschwerte Dasein, als gelte es, dem seligen Simplicissimus Konkurrenz zu machen.
Das alles ist so wirkungsvoll, weil eben die Komik der Fabel schon immanent ist, denn das Ansinnen, ohne jedes Verkehrsmittel sieben je einen Zentner schwere Fässer im völligen Durcheinander der ersten Nachkriegsmonate von Wittenberge nach Dresden schaffen zu wollen, ist von einer geradezu grotesken Anmaßung. Hans Oliva und Frank Beyer tun nichts anderes, als diese Anmaßung Station für Station durchzuschmecken, wobei sie nie um Einfälle verlegen sind. Sie springen unbekümmert von einer komischen Situation zur nächsten, die Abenteuer folgen Schlag auf Schlag und reihen sich zu einer höchst vergnüglichen Folge, die den Sieg des Mutterwitzes, der Unbekümmertheit und der Frechheit über Widrigkeiten verschiedenster Art feiert.
Denn das ganze Geschehen mußte konsequent heiter gesehen werden von der Roten Armee über den Schwarzen Markt bis zur deutschen Polizei, von Erotik verschiedenster Brechungen über Gaunereien bis zum Begräbnis. Aber der Humor des Films ist nirgendwo verletzend und böse, sondern anmutig und sympathisch freundlich. Man lernt, auf neue Art zu sehen, man geht auf Entdeckungsfahrt ins Reich der Heiterkeit, man lächelt unter Tränen, man freut sich an der alles überwindenden Kraft unverfälschter Menschlichkeit.
Muß noch gesagt werden, daß bei solchen Wirkungen Buch, Regie, Musik, Kamera und Darstellung unlöslich ineinander aufgehen? Regisseur Beyer und Kameramann Günter Marczinkowsky entdeckten so etwas wie den »optischen Witz«, wenn sie meist vom Detail in die Totale gehen, wenn sie die komische Situation als Ganzes erfassen, den Schauspieler stets in Beziehung zur Umwelt zeigen, dabei aber ganz knapp bleiben, die Pointen oft durch den Schnitt oder die Klappblende setzen. [...] Der Komponist Joachim Werzlau baute seine Musik außerordentlich reizvoll auf drei Themen auf, die dem »Helden«, der Roten Armee und den Amerikanern zugeordnet sind. Dadurch wird eine Vertiefung der komischen Gegebenheiten erreicht, die übrigens weder den Stummfilm-Zeitraffer noch das Chaplin-Zitat verschmähen.
Alles aber kulminiert in der schauspielerischen Gestaltung des Kalle durch Erwin Geschonneck, der seiner Mimik eine geradezu entwaffnende Naivität verleiht. In diesem Gesicht mit der langen Nase und dem schmalen Mund ist alles eitel Güte und Unschuld wie herrlich aber, wenn unter dem trockenen Gleichmut der Witz zu spielen beginnt! Mit einem Zucken der Augenlider, dem vorsichtigen oder vergnüglichen Wittern der Nase und den Verwandlungskunststückchen des verkniffenen oder auch wieder behäbig verzogenen Mundes meistert Geschonneck Betroffenheit, Verlegenheit, Ingrimm, ironische und still behäbige Freundlichkeit, leisen Triumph und echtes, gutes Gefühl mit wahrhaft sehenswerter Virtuosität. Text und optische Zubereitung sind Geschonneck auf den Leib geschneidert, und so gelingt ihm eine pralle, liebenswerte Figur, der man schon heute einen der vielen leeren Stühle im Himmel des deutschen Filmlustspiels anweisen darf.
Christoph Funke: Fässer aus Babelsberg
Der Morgen (Berlin/DDR), 9.1.1964