Kabarettistische Satire. Bauer Puste hat seit der Teilung Deutschlands nur noch die Hälfte seines kleinen Feldes an der Zonengrenze. Die andere Hälfte beackert nun der sozialistische Bauer Altmann, mit dem er sich immer wieder über Systemfragen streitet. Da wird Puste von einem Herrn Biese vom »Forschungszentrum West« als Spion angeworben. Er startet mit einem sowjetischen Pass zu einem Aufklärungsflug über der UdSSR, wo er aber notlanden muss. Er schlägt sich mit verschiedensten Jobs durch, bis er schließlich als Kosmonaut mit zwei anderen Sowjets zur Venus startet. Sie landen jedoch am Strand der Insel Sylt. Die beiden Russen entdecken den Reiz des westlichen Lebens und werden von der sylter Schickeria als Attraktion herumgereicht, während Puste vergeblich versucht, Presse und Politik für die wirklichen Verhältnisse in der UdSSSR zu interessieren. Am Ende landet er wieder auf seinem Acker, doch jetzt auf der ostdeutschen Seite, während Bauer Altmann inzwischen den Westteil übernommen hat.
Political satire. Since the division of
Damit hast du, lieber Wolfgang Neuss, nicht ins Schwarze getroffen wiewohl wir uns sicher darüber streiten könnten, wo denn eigentlich die schwärzesten Flecke unserer Zeit sitzen und die dunkelsten Löcher unserer Politik. Alles ist so schwarz, so schwarz, wirst du sagen, denn du bist ja Kabarettist, und darum hast du dein Maschinengewehr aus der Nachttischschublade geholt weil ein Maschinengewehr die größte Streuung hat! und den Gurt mit den scharfen Pointen eingespannt; und dann hast du geschossen: gegen die deutsche Bundespolitik, besonders gegen die ostwärts gerichtete, gegen die rheinische Geldaristokratie, das Vorurteil gegen die Russen, die permanente Nichtzuständigkeit aller deutschen Dienststellen; du versetzt Fidel Castro einen Kinnhaken und dem deutschen Film einen Tritt in den Hintern, den mitteldeutschen Funktionären gibst du eins drauf, und den westlichen Dunkelmännern und überhaupt hat es vor dir nur Kurt Hoffmann fertiggebracht, Filme zu machen, die aus der politischen Aktualität soviel Witz schöpfen wie dein Genosse Münchhausen.
ABER und dieses Aber muß in großen Buchstaben dastehen Dein moderner »Münchhausen«, der so gagvoll zwischen Ost und West sich hin- und herschießen läßt, ist nur gefilmtes Kabarett und gewiß mehr als abendfüllend, nicht aber ist er ein kabarettistischer Film, der wie ein Paukenschlag unter die Haut derer geht, die, wie du weißt, gefährlichen Zeiten entgegenschlafen. Da knallt es wie bei einem Knallfrosch, immer hübsch hintereinander, zwar reichlich dosiert ..., aber wo ist insgesamt der große Schlag?
Die Handlung, die übrigens sehr unterhaltsam ist, reicht nicht hin, aus Sketches einen ganzen Film zu machen, obwohl so gelungene Szenen wie diese darunter sind: Notlandung der sowjetischen Venusrakete am Strand von Westerland, die roten Astronauten baden im süßen Urlauberleben, aber ihr kommunistisches Gehirn darf nicht zugeben, daß es im Westen so golden zugeht, und sie sagen starrköpfig: Was für ein Leben hier auf der Venus!
Das ist ganz herrlich gemacht: doch es gibt auch genug Dialoge und Einfälle in diesem Film, die sind platt und billig und zeigen, daß der kabarettistische Kampf gegen die Klischees der Zeit auch schon wieder mit Klischees geführt wird.
divo.: Genosse Münchhausen
Abendpost (Frankfurt/Main), 3.12.1962
Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Regisseur Neuss haut hier wieder kräftig auf die Pauke. Sein Thema ist Ost-West. Der Film ist Neussens Bekenntnis zur Koexistenz, die er freilich nicht so versteht, daß man blind und taubstumm zumindest gegenüber einer Seite zu werden hat. Er teilt fröhlich seine Hiebe nach allen möglichen Seiten aus, so daß am Ende niemand den Genossen Münchhausen sehr liebgewinnen dürfte ...
Neuss transponierte Momente der Münchhausen-Legenden in die Gegenwart und vermengt sie mit eigenen Geschichten von heute. Dabei muß sich der niedersächsische Freyherr nicht nur die Degeneration zum Bundesbürger Puste gefallen lassen, er bewegt sich auch nicht mehr auf einer Kanonenkugel über das Land, sondern betreibt in einem sowjetischen Düsenflugzeug Luftaufklärung über Sowjetrußland. Dort geht er schließlich nieder, steigt später als Insasse einer Rakete zur Venus wieder auf, doch landet er mit seinen Leuten versehentlich in Abessinien (was bekanntlich an der Nordsee liegt).
Hüben und drüben treibt Puste Scherze mit dem Entsetzen. Er mochte gern einige Vorurteile beiseite räumen, die einem friedlichen Zusammenleben im Wege stehen. Dabei fällt natürlich manche kecke Bosheit (und mancher Kalauer) zum Leben in Ost und West ab. Wahrscheinlich aber sind schon Thema und Plädoyer des Films zu prätentiös (Neuss’ Credo: »Und wenn wir alle nicht gestorben sein wollen, müssen wir noch lange so weiterleben«), als daß man ihnen mit diesem Typ Film überhaupt näherkommen könnte. [...]
Einige witzige Dialoge (schließlich ist es ein Film von Neuss) täuschen nicht darüber hinweg, daß man nicht ungestraft einen kabarettistischen Sketch auf anderthalb Stunden dehnen, ihn mit Außenaufnahmen bereichern und abphotographieren kann, um einen Film zu bekommen. So einfach ist das nicht. Neuss ist der Humor nicht ausgegangen: er hat es inzwischen eingesehen.
Bleibt das immerhin sehenswerte Werk eines Einzelgängers, erfreulich in seinem Willen zum Bekenntnis (wo der deutsche Film doch nichts lieber meidet als das), in seiner herstellerischen Initiative, die einen wirklichen »Autor-Film« zuwege brachte, und in manchen gelungenen Details, die den unkonformistischen Wolfgang Neuss als einen der unentbehrlichsten Deutschen von heute bestätigen.
Manfred Delling: Genosse Münchhausen
Die Welt (Hamburg), 19.1.1963