Der Jagdflieger Pierre leidet nach einem Unfall im Indochina-Krieg unter Amnesie. Ihn quält der Gedanke, bei einer Notlandung vermutlich ein junges Mädchen getötet zu haben. Er lebt mit der Krankenschwester Madeleine zusammen, die ihn aber nicht aus seiner Einsamkeit befreien kann. Da beobachtet er, wie die elfjährige Cybèle von ihrem Vater in einer Klosterschule abgegeben wird. Pierre holt das Mädchen an einem Sonntag in der Schule ab und gibt sich dabei als ihr Vater aus. Von nun an verbringen die beiden jeden Sonntag zusammen und entwickeln eine enge Beziehung zueinander. Als Madeleine und Pierres Bekannte davon erfahren, glaubt vor allem der Arzt Bernard, dass das Kind in Gefahr sei, da er Pierres Geisteszustand für instabil hält. Er verständigt die Polizei, die Pierre, als er sich mit einer missverständlichen Geste dem schlafenden Mädchen nähert, erschießt.
Fighter pilot Pierre suffers from amnesia after an accident in the Indochine war. He is consistently tormented by visions of a young girl that he believes he inadvertently killed when he crash-landed his plane. He lives with a nurse named Madeleine, but even she cannot manage to drag him out of his loneliness. One day, Pierre watches how eleven-year-old Cybèle is dropped off and abandoned by her father at a convent school and sees an opportunity to be there for her in a time of need. The next Sunday, Pierre picks up the girl at school, pretending to be her father. From then on the two spend every Sunday together and grow quite fond of one another. When Doctor Bernard finds out about their Sundays he believes the girl is in danger due to Pierre’s mental condition, which he sees as extremely unstable. He then informs the police and when Pierre innocently approaches the girl, a shot is fired.
Serge Bourguignon kommt vom Dokumentarfilmschaffen. Er begann 1952 mit einer Studie #LE RHIN, FLEUVE INTERNATIONAL und drehte in der Folgezeit mehrere Filme im Fernen Osten, von denen sein Indien-Film SIKKIM der bedeutendste ist. Sowohl der Einfluß des Dokumentarfilms wie auch der fernöstlichen Kunst ist in seinem ersten Spielfilm deutlich zu spüren. Ebenso klar zeichnen sich aber auch die Vorbilder Bresson und Truffaut ab. Dennoch ist SONNTAGE MIT SYBILL eines der eigenständigsten Werke der jungen französischen Schule, nicht zuletzt in formaler Hinsicht. Bourguignon drehte seinen Film in einem Breitwand-Verfahren, wobei er über weite Strecken zu einer bemerkenswerten Dramaturgie vorstieß, deren charakteristisches Kennzeichen die Bemühung um eine vertikale Struktur des breiten Bildes ist. Auch Schnitt und Szenenwechsel (Dialogüberleitungen) zeugen von individuellem Stilwillen. Nach diesem Film zu schließen, ist Bourguignon ein unverkennbarer Hang zur Romantik eigen, der sich bisweilen über die Grenze des Manierismus hinauswagt. Dennoch schaden solche gelegentlichen Übertreibungen auf das Ganze gesehen ebensowenig wie allzu kalkulierte Details im ersten Drittel. Die beiden Ebenen, auf denen sich die Handlung bewegt, gelangen unterschiedlich. Während der Bereich der Realität reichlich blaß und in den Typen ein wenig klischiert bleibt, ist die von einer Vielzahl zart andeutender Symbole durchwirkte Atmosphäre der sonntäglichen Begegnungen zwischen Pierre und Sybill von tief empfundener lyrischer Schönheit.
In der Story allein erschöpft sich die Bedeutung des Films jedoch keineswegs. Vielmehr drängt sie zu einer entschieden weitreichenderen Interpretation, die sich freilich erst in den Schlußszenen vollkommen erschließt. Bourguignons Film ist gleichermaßen ein zärtliches Loblied auf die Reinheit der Freundschaft und der Liebe wie auch eine harte Denunzierung der Gesellschaft, die sich von menschlichen und ethischen Idealen immer weiter entfernt hat. Die Sehnsucht nach einer besseren Welt durchzieht den ganzen Film‚ nicht zuletzt symbolisiert in einem schönen Reiter, der im Morgennebel phantomhaft den Weg kreuzt. Bezeichnend ist, daß Bourguignon nur einer einzigen Person volles Verständnis für die Freundschaft Pierres mit Sybill zubilligt: einem Künstler, der um sich herum längst ein eigenes Reich der Phantasie geschaffen hat. Die Gesellschaft begegnet den »Namenlosen«, denen, die anders sind als sie selbst, mit Unverständnis und Mißtrauen, duldet sie auf die Dauer nicht einmal an der Peripherie ihrer gemeinsamen Existenz. Alles Gute und Reine umgibt sie mit Verdächtigungen, weil es ihrem Lebensstil widerspricht, und zögert schließlich nicht, es mit Gewalt zu beseitigen, weil in ihrer Welt kein Platz dafür ist. Dennoch verfällt Bourguignon nicht jenem aus Frankreich so gewohnten resignierenden Pessimismus. Auch befürwortet er nicht jene leichte Abkapselung in die Isolation. Jener Künstler hat sich zwar eine eigene Welt geschaffen, weil er mit der großen Welt nicht auskommt, aber er steht doch mir beiden Beinen im Leben, ist jederzeit bereit, sein kleines Reich zu verlassen, um draußen für seine Überzeugungen einzutreten. Und der Schluß des Films hat nicht den geringsten Anflug von Trostlosigkeit, sondern nur von unendlicher Traurigkeit, überhöht durch das »Miserere nobis«, das über dem tränennassen Kindergesicht angestimmt wird. »Ich habe keinen Namen mehr« sind Sybills letzte Worte.
BHR [= Franz Everschor]: Sonntage mit Sybill
Film-Dienst, Nr. 11, 13.3.1963
Serge Bourguignon hat die Welt des Traumspiels durch eine raffinierte, ausgeklügelte Bildgestaltung (Henri Decae) beschworen. Nie scheint die Sonne. Grau verhangen, trostlos immer der Himmel über der kleinen Stadt, deren Atmosphäre in vorzüglichen Aufnahmen lebendig wird. Leblos die Natur, die in ihrer schwarz-weißen Struktur einer modernen Graphik gleicht. Gegen düstere Wolken starren dunkle Bäume, blattlose Äste spiegeln sich im unbewegten Wasser des Sees, in den immer wieder Sybill, das Mädchen, einen Kreise ziehenden Stein wirft. »Jetzt sind wir in den Kreis eingetreten«, sagt das Kind, »jetzt sind wir zu Hause«, zu Hause in der Welt kindlicher Wirklichkeit.
Erschütternd die Darstellung der kleinen Sybill durch Patricia Gozzi, die aufgeweckt und unbefangen, verspielt und dann wieder kindlich-selbstbewußt agiert, dabei aber nie in einem Akt gewaltsamer Dressur ins Posieren verfällt. Eine großartige Leistung kindlichen Spiels, das, gleichwohl noch ungebildet, erstaunlich geformt ist. Die Erwachsenen, die Schauspieler von Beruf, haben es neben diesem Kinde verständlicherweise schwer, denn ihre vom Verstand geleitete künstlerische Sprache ist anderer Art als das von Natürlichkeit bestimmte Agieren des Kindes. Hardy Krüger bewältigt mit Zurückhaltung und jungenhaftem, zartem Charme seine schwierige Aufgabe, einen Mann zu zeichnen, der nicht nur sein Gedächtnis verloren hat, sondern sich auch noch vor der Realität auf der Flucht befindet.
Volker Baer: Traumspiele
Der Tagesspiegel (Berlin), 3.5.1963