Zwei Tage aus dem Leben eines 17-Jährigen in Prag. Petr beginnt eine Lehre in einem Selbstbedienungsladen. Er soll die Kunden genau beobachten und mögliche Diebstähle verhindern. Als ihm ein älterer Mann verdächtig vorkommt, folgt er ihm durch die halbe Stadt, ohne ihn jedoch zur Rede zu stellen. Abends bekommt er eine Standpauke von seinem ewig pedantischen und belehrenden Vater, weil er seinen Arbeitsplatz für Stunden verlassen hat. Seine Mutter nervt ihn derweil mit gut gemeinten, aber penetranten Fragen. Als Petr mit seiner heimlichen Liebe Pavla zu einem Tanzabend geht, trifft er auf zwei Teenager, denen er schon beim Baden am Strand begegnet ist und die jetzt betrunken Streit mit ihm suchen. Der schüchterne Petr weiß sich nicht zu wehren, doch die Beiden werden schließlich von den anderen Mädchen, denen sie zu imponieren versuchen, abgewiesen. Wieder zuhause bombardiert ihn sein Vater wieder mit Belehrungen, während seine Mutter Nudeln macht.
Two days in the life of a 17 year old in
Mit etwas zwiespältigen Empfindungen verläßt man nach dem Besuch des Filmes DER SCHWARZE PETER das Kino. Unbefriedigt ist man darüber, daß es eigentlich kein echter Spielfilm war, den man gesehen hat (und einen solchen erwartet ein Filmbesucher ja, wenn er nicht vorher auf die spezielle Problematik eines derartigen Streifens hingewiesen wird); hellauf begeistert ist man hingegen über eine großartige psychologische Studie. Denn anders kann man diesen an sich handlungsarmen Film kaum bezeichnen.
Worum geht es? Peter, ein schwarzhaariger junger Mann, mit kümmerlichem erstem Bartansatz über der Oberlippe, tritt seine Lehre in einem Selbstbedienungsladen an. Dieser Schritt ins Berufsleben ist für ihn gleichzeitig der erste Schritt aus der Enge seines verspießerten Elternhauses in das selbständige Leben eines Erwachsenen hinein. Was wir nun im Film erleben, ist eine geradezu minutiöse Aufzeichnung von Situationen, Gesprächen und Beobachtungen des jungen Menschen, der trotz seiner schon siebzehn Jahre viele Seiten des Lebens erst zu entdecken scheint. Das aber ist mit einer solchen Meisterschaft gemacht, daß sich kaum eine filmische Parallele finden läßt.
Wohl selten bisher wurden Jugendliche im sogenannten »Halbstarkenalter« in ihrer Großmäuligkeit, ihrem Hang zur Schaustellung, aber auch in ihrer maßlosen Unsicherheit und ihrer Angst vor jeglicher sichtbaren Gefühlsregung in so trefflichen Aufnahmen auf die Leinwand gebracht. Ebenso aber wurde auch der oftmals noch erschreckend negative Einfluß des Elternhauses mit einer Atmosphäre der Nörgelei, des mangelnden Vertrauens und der nicht vorhandenen Toleranz entwicklungsbedingten Eigenarten und Verschlossenheit junger Menschen gegenüber, selten schärfer gegeißelt als in den Gestalten des ewig dozierenden Vaters und der aufdringlich neugierigen Mutter. Sauber ins Bild gesetzt die erste unsichere Empfindung Peters für das Mädchen Pavla; ein wahres filmisches Kabinettstück aber die Lektion im »Ahooii«-Gruß, die Peter durch zwei nachgerade klassisch zu nennende Halbstarken-Typen erhält.
G. F. [= Gert Funke]: Der schwarze Peter
Freiheit (Halle), 15.9.1964
Da unsere suchende Sympathie für Kunstwerke, die sich mit dem kleinen, alltäglichen Leben von Menschen befassen, gerade im Kino so oft enttäuscht wird, wird sie sich um so mehr an diesen Film engagieren können, der alle naheliegenden Klassifizierungen wie realistisch, wahr oder lebensnah verträgt und sie zugleich als ein wenig armselig erscheinen läßt. Er ist dies, alles und doch eben viel mehr, in dem Sinne, daß das einfache Abbilden der Wirklichkeit uns noch nicht jene tiefe Genugtuung verschaffen würde, die dieser Film hinterläßt. [...]
Das Stichwort cinéma-vérité liegt bei Milos Formans Film verführerisch nahe. Aber Forman verschmolz die dokumentarischen Techniken des cinéma-vérité doch mit einem sehr persönlichen Stil. Er arbeitete zwar, von einer Ausnahme abgesehen, nur mit Laiendarstellern und setzte an die Stelle einer Handlung die chronikartige Folge, unterwarf das Geschehen jedoch einer subjektiven Interpretation. Er sieht die Natur durchaus durch sein Temperament, Impression und objektiv registrierte Realien gehen eine Verbindung ein, die von mehreren Stilen profitiert, ohne sich auf einen doktrinär festzulegen. [...]
Nie, soweit ich sehe, ist jene elterliche Tyrannei, die doch aus dem guten Willen entspringt, den Kindern zu helfen, so sublim im Film dargestellt worden. Forman zeigt, daß die junge Generation mit der älteren nichts mehr anfangen kann, sobald sie anfängt, selbst zu denken, und daß sie ihren Weg allein suchen muß. Delikat ist, welche Heiterkeit er dabei dem Stoff abgewinnt, indem er nicht die darüberstehende Position des Satirikers oder Polemikers einnimmt, sondern den unfreiwilligen Humor, der den realistischen Szenerien selbst immanent ist, wirken läßt.
Forman geht es bei allem weniger um den klassischen Generationskonflikt, sondern eher um eine philosophische Haltung: die Beziehung zwischen Ideal und Erfahrung. »Jedem Fortschritt der Erfahrung entspricht ein Rückschritt des Ideals«, sagte er in einem Interview mit »jeune cinema«. Vielleicht hat der schmerbäuchige Vater auch einmal so verdutzt und unwillig, sie zu verstehen, vor seinen Eltern gestanden. Jetzt predigt er dem Sohn Anpassung und Aufstieg statt Selbstverwirklichung.
Abrupt bricht der Film ab. Ein plötzlicher Stehkader des Vaters in komisch-belehrender Pose: hierin kulminiert die Aufrichtigkeit Formans, der selbst jedes Dozieren vermeiden will und vermeidet und dieses Achselzucken jeder scheinheiligen Lösung vorzieht. Ein Film im Sinne des »sozialistischen Realismus« ist es ganz gewiß nicht.
Manfred Delling: Das ewig bedrohte Ideal
Die Welt, 28.6.1965