Der Wind pfeift unter den Füßen (Talpuk alatt fütyül a szél)
Ungarn Mitte der 1830er Jahre. Zwischen den freien Viehhirten und den Bauern der Puszta herrscht Feindschaft. Der Konflikt eskaliert, als ein Kanal durch das Weideland gebaut werden soll. Da taucht der aus dem Gefängnis geflohene Bandit Farkas Csapó Gyurka wieder auf und will sich an seinem Verräter rächen. Zusammen mit einem jungen Revolverhelden bekämpft er die Bauern und die Büttel der Obrigkeit. Sein Gegner ist der Polizeikommissar Mérges Balázs, der ihm innerlich allerdings nähersteht als seinen politischen Vorgesetzten. Obwohl er Verständnis für Gyurka und die Hirten hat, sieht sich Balázs verpflichtet, hart gegen den Banditen vorzugehen. Gyurkas junger Kumpan bändelt inzwischen mit dessen Geliebter an. Gemeinsam stellen sie ihm eine Falle, um das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld zu kassieren. Gyurka kann entkommen und tötet seinen Rivalen im Duell, wird aber von den Bauern gefangen und endet schließlich am Strick.
Schande über das Land, in dem der Western nicht blüht! Und Ungarn hat ja auch alles, was dazu gehört. Die Weite der Puszta, Pferde, die abenteuerlich rauhen Trachten der einstigen Pferdehirten und unbehauster heimatloser Räuber, der Betyaren, und die Kämpfe dieser Menschen, derem Wesen der freie Himmel über ihnen zu nahe und zu lieb ist, als daß sie sich schnell der Obrigkeit für kärglichen Lohn unterwerfen könnten. Das »Einst« braucht also nur noch auf die Leinwand gebracht zu werden.
Das ist besser gelungen als der Titel, unter dem man auch ebensogut einen Lustspielfilm vermuten könnte. Es wird dem Stoff angemessen in wild-poetischer Weise erzählt, sehr gelungen sind einige Gedichte eingearbeitet, das Schlußbild, ein brennendes Haus im Schnee und die tote Frau davor, ist sogar von hinreißender Bildschönheit, wie sie übrigens im ungarischen Film nicht selten ist.
Kritisch müssen die in wessen Sinne? lang ausgewalzten »Blutszenen« angemerkt werden, die im Abenteuerfilm schon zu einer sehr negativen und nicht mehr zu übersehenden Tendenz geworden sind. Ansonsten eben ein Western nach altbekanntem Western-Schema. Schon oft erlebt, immer wieder angeschaut, immer versierter gemacht.
lyn: Der Wind pfeift unter den Füßen
Die Union (Dresden), 13.6.1977
Ein Duell zweier starker Helden bestimmt diesen ungarischen Film, der uns in die dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückführt. Ein Kanal soll in der Steppenlandschaft der Pußta gebaut werden. Es verschärfen sich die Fronten zwischen den dort ansässig gewordenen Bauern, die frühkapitalistische Wirtschaftsformen anzuwenden beginnen, und jenen, deren Existenz als nomadisierende Hirten dadurch endgültig zum Untergang verurteilt ist. Dieser Konflikt treibt sie gegeneinander, zueinander, wieder gegeneinander: den legendenumwobenen Räuber Gyurka, Schrecken der Unterdrücker, der sich an die Spitze der rebellierenden freien Hirten gestellt hat, und den Polizeikommissar, der die Rebellen bekämpfen muß, obwohl er weiß und schmerzlich empfindet, welche Werte menschlichen Zusammenlebens durch die sich entwickelnde Zivilisation, die brutal ins Dasein der Hirten einschneidet, zu Grabe getragen werden.
Menschen also zwischen Freundschaft und Haß, im Zwiespalt von Altem und Neuem.
Szomjas Film ist ein reich mit Nationalkolorit ausgestatteter Abenteuerfilm, der entscheidende Anregungen für seine Dramaturgie einem Western-Modell entlehnt: Zwei Charaktere stehen im Widerstreit; der eine ein edler Einzelgänger und Gerechtigkeitsfanatiker, der aber die historisch schwächere Position vertritt und untergehen muß, der andere der Hüter des Gesetzes, der nur widerwillig tut, was sein Dienst ihm auferlegt: den Fall des Helden zu organisieren. György Szomjas war lange Zeit Dokumentarfilmregisseur. Die milieustimmige Darstellung der Pußta und der Lebensweise ihrer Bewohner, die balladesk-schwerblütige Atmosphäre, die er den Bildern zu geben weiß, schaffen einen eigenartigen Reiz. Mitunter aber hat es den Anschein, daß die Intensität der Bilder, das Vermögen der Kamera dem Regisseur mehr bedeuten als die Ausstrahlungskraft der Darsteller. Diese erscheinen bei aller Profilierung, gerade der Helden, eher als Objekte der filmischen Gestaltung denn als handelnde Subjekte; sie sind der betonten Stilisierung des Geschehens weitestgehend untergeordnet. Ihr Spiel gerät dabei fast zur Zeremonie, zur Demonstration: Sie haben eine archetypische Situation vorzuführen, die dann mehrfach variiert wird.
Hans-Dieter Schütt: Der Wind pfeift unter den Füßen
Film und Fernsehen, Nr. 10, 1977