Touche pas à la femme blanche (Berühre nicht die weiße Frau)
Surreale Western-Satire über die Schlacht am Little Big Horn. Angesiedelt in einer Baugrube im Paris von 1974 treten die bekannten Protagonisten auf: George Armstrong Custer, Sitting Bull, Crazy Horse und Buffalo Bill. Der ruhmreiche, aber auch überhebliche General Custer erhält den Auftrag, den Widerstand der amerikanischen Ureinwohner ein für allemal zu brechen. Er beginnt mit den Kriegsvorbereitungen und verliebt sich nebenbei in die schöne Marie-Hélène, die ihm fortan zur Seite steht. Schließlich kommt es zum Kampf am Little Big Horn, in der die Indianer endgültig geschlagen werden sollen. Doch unter der Führung von Häuptling Sitting Bull haben diese einen massiven Widerstand organisiert und können sich in einer blutigen Schlacht gegen die Angreifer behaupten.
A surreal western satire about the battle at Little Big Horn. Set in an excavation pit in
Touche pas à la femme blanche ist die Erzählung eines Völkermordes. Den Genozid in das heutige Paris zu versetzen, in einen staubigen Schlund inmitten einer modernen Großstadt, und ihn mit einer furiosen Endgallopade, die an das Happy-End eines klassischen Western-Films erinnert, ausklingen zu lassen, ist ein glücklicher Einfall. Eine äußerst glückliche Hand hat der Regisseur ebenfalls in derAuswahl und in der Führung aller Schauspieler bewiesen: Marcello Mastroianni ist ein schmachtender Custer mit wallender Haarpracht; Tognazzi eine Art Frosch oder Enterich, der hüpfend und scharrend die Schlachtfelder durchstöbert. Mit Vergnügen erinnert man sich an Mastroianni, wie er, von der Geliebten in der Heimeligkeit seines Zimmers überrascht, mit zittrigen Händen einen riesigen weißemaillierten Nachttopf emporhält. Mit Vergnügen erinnert man sich an das Bild des kurzbeinigen, alten und ergrauten Vaters von Sitting Bull, wie er, nachdem er den General erschossen hat, seine Knollennase runzelt und das Gewehr wie ein Kind in den Armen wiegend spricht: »Ich bin froh, ich bin so froh.« Die zynischen und eitlen Militärs; das kleine, wie ein Dornengestrüpp anzusehende Indianer-Fähnlein; Sitting Bull mit schwarzer Melone und strähnigen Flachshaaren; Cathérine Deneuve als Krankenschwester mit zuckersüßer Stimme in makellos gestärkter Kleidung; der Pfeil, der sie durchbohrt und jäh aus dieser Welt verabschiedet; die blutdurchtränkten Zeitungen in den Händen des eifrigen Tierarztes dies alles ergibt eine groteske Fabel, die uns die Eitelkeit und Grausamkeit derVerfolger sowie die Kraft und den Stolz der Opfer gleichermaßen vor Augen führt.
Natuliu Ginzburg: Non toccare la donna bianca
Il Mondo (Rom), 10.4.1975
Zit. nach: Claudio G. Fava, Mathilde Hochkofler: Marcello Mastroianni. Seine Filme sein Leben.München: Heyne 1988, S. 252
Anfang der 70er Jahre bot Paris seinen Bewohnern den Anblick einer riesigen Wunde im Herzen der Stadt: das große, das unermessliche Loch der Markthallen. Die Bürgerbewegung, die die alten Markthallen wiederaufbauen wollte, konnte das Projekt zum städtischen Bau eines riesigen Einkaufszentrums nicht verhindern des »Forum des Halles«, wie wir es heute kennen. In diesem provisorischen Krater hatte Ferreri die geniale Idee, einen parodistischen Western zu drehen, einen linksradikalen Western, eine Art melancholischer Posse, zu der er seine Truppe lustiger Vögel einlud, Stars unter Stars: Mastroianni, Piccoli, Tognazzi, Noiret, Deneuve, Reggiani, Cuny. Zur erfolgreichen Durchführung einer solchen Idee bedarf es eines weiteren Irren, eines Alter Ego, eines Komplizen. Das konnte nur Jean-Pierre Rassam sein, ein junger Produzent, der damals auf der Höhe seiner Macht stand. Touche pas à la femme blanche ist sicher nicht der beste Film seines Regisseurs. Aber er macht uns heute noch nachdenklich und wehmütig. Vor gerade etwas mehr als zwanzig Jahren war es also möglich, sich dermaßen im Kino zu amüsieren, sich als Cowboy und Indianer zu verkleiden, durch die Straßen von Paris zu reiten, legendäre Persönlichkeiten zu verkörpern Mastroianni als grotesker Custer oder Piccoli als fröhlicher Buffolo Bill , die Provokation bis zum Ende auszuspielen. Ferreri ergreift natürlich Partei für die Indianer, die von Hunderten Statisten dargestellt werden, die sich aus zahlreichen damaligen linken Gruppen rekrutieren. Dieser Film seiner Zeit erinnert seltsamerweise daran, was ein Filmemacher wie Altman in Amerika, ungefähr zur selben Zeit, machen konnte. Touche pas à la femme blanche ist ein Film über die Weißen, wie es später Y’a bon les Blancs sein sollte. Ferreri, der seinen Film in der Rolle eines Fotografen durchzieht, wohnt sichtbar begeistert dem Schauspiel des Untergangs der weißen Kultur bei. Der Spötter Ferreri beschießt das eigene Lager.
S. T. [= Serge Toubiana]: Touche pas à la femme blanche
Cahiers du cinéma, Nr. 515, Juli/August 1997