Erblich belastet?
Der Journalist Ferry Hudson liebt Ellen, die Tochter seines Ziehvaters, des Millionärs und Zeitungskönigs Harrington. Dieser weigert sich jedoch, einer Hochzeit zuzustimmen, da Ferrys Vater einst einen Mann erschlagen hat und er nicht den Sohn eines Mörders als Schwiegersohn haben will. Als Ferry dann auch noch vom korrupten Verwalter Harringtons ein Diebstahl untergeschoben wird, glaubt sich Harrington in seinem Verdacht bestätigt, Ferry sei erblich belastet. Daraufhin verlässt Ferry das Haus und zieht fortan als Berichterstatter durch den Wilden Westen. Als er durch Zufall den korrupten Verwalter wiedertrifft und ihn zu entlarven versucht, wird dieser im Handgemenge tödlich verwundet. Sterbend spricht er Ferry von jeglicher Schuld frei. In der Zwischenzeit ist Harringtons Bruder nach langer Abwesenheit zurückgekehrt. Als er des Unglücks von Ellen und Ferry gewahr wird, kann er nicht länger schweigen und gesteht, dass damals er, und nicht Ferrys Vater den Mord begangen hat. Nun steht dem Glück der Liebenden nichts mehr im Wege.
Journalist Ferry Hudson loves Ellen, the daughter of his foster father, Harrington, a millionaire and newspaper tycoon. But Harrington refuses to agree to a marriage, because Ferry’s father once killed a man and he doesn’t want the son of a murderer as an in-law. When Harrington’s corrupt steward pins a theft on Ferry, Harrington is convinced that Ferry has inherited criminality. Ferry leaves the house and starts traveling through the Wild West as a reporter. By chance, he meets the steward again and while fighting to unmask him, the steward is mortally wounded. In his dying breath he clears Ferry of all guilt. In the meantime, Harrington’s brother has returned home after a long absence. After realizing how miserable Ellen and Ferry are, he can no longer remain silent and admits that it was him and not Ferry’s father who committed the murder. Freed of all guilt, the lovers can finally embrace.
Im Juli 1913 dreht Piel Erblich belastet für die Eiko Franz Vogels, den Produzenten der Max-Mack-»Schlager«. Seinen Star kann Piel mitnehmen. Ludwig Trautmann hat diesmal einen unschuldig des Mordes Verdächtigten zu mimen, der zur Flucht gezwungen ist. Sein Name Ferry Hudson, sowie etliche Cowboys und Wildwest-Atmosphäre sollen den Schauplatz Amerika suggerieren. Dieser Illusion steht allerdings im Wege, daß nur allzu deutlich die märkische Heide, die Havelseen und in Berlin der Potsdamer Platz (vom Café Josty aufgenommen) auszumachen sind.
»Schummeleien« dieser Art und andere Unbekümmertheiten (wie etwa in jener Szene, in der ein Statist plötzlich ganz privat lacht und dabei kurz in die Kamera blickt) sind durchaus nicht ungewöhnlich auch das Publikum nimmt es noch nicht so genau, legt es doch vor allem Wert auf die »gut gemachten« Bilder und die pure »Sensation«: Flucht mit einem Doppeldeckerbus, Sprung von der Brücke ins Wasser, Kletterei an einem Windmühlenflügel und schließlich die große Abrechnung auf der Wendeltreppe eines Gasometers, der einen adäquat unheimlichen Schauplatz abgibt.
Neben solchen Szenen, wie man sie von Harry Piel mittlerweile erwartet, bringt der Regisseur aber auch wieder ruhige Momente hinein: sehr »fein« inszenierte Großaufnahmen (das Gesicht der traurigen Geliebten; der Kopf ihres Vaters, der sich hell vorm dunklen Hintergrund abhebt), geschickte Ausleuchtung (die Statuen im Salon), Experimente mit Tiefenschärfe. Und mehr denn je spielt Piel mit dem Film als Medium selbst. Den Schurken läßt er einmal genau in die Kamera, also ins Publikum schießen; das Liebespaar im Boot wird von einer ovalen Maske gerahmt; und in der Szene, in der die getrennten Liebenden sehnsüchtig aneinander denken, geht Piel kühn zu einer dreigeteilten Leinwand über. Am linken Bildrand sitzt Hudson, am rechten seine Geliebte, und in der Mitte erscheint, was die beiden räumlich und zeitlich trennt: Hudsons Ritt durch den Wilden Westen eine optische Fantasie, die komplizierte Emotion, Raum und Zeit in einem einzigen Bild einfängt. Für diese Trickaufnahme muß der Filmstreifen dreimal hintereinander belichtet werden, wobei der jeweils schon belichtete Teil mit einem Kasch vorm Objektiv abgedeckt wird. Das erfordert Konzentration und genaue Berechnung. Aber Piel liebt diese technische Tüftelei. Mit viel Mühe und Geduld Illusion zu zaubern, auch wenn sie nur für Sekunden auf der Leinwand zu sehen sind, das ist die Kinowelt des Harry Piel.
Matias Blekman: Harry Piel. Ein Kino-Mythos und seine Zeit.
Düsseldorf: Filminstitut 1992, S. 40