Die erfolgreiche Filmdiva Gaby Doriot begeht einen Selbstmordversuch. Als sie im Krankenhaus in Narkose versetzt wird, beginnt ihr Leben vor ihr abzulaufen: Als junges Mädchen wird sie aus der Schule geworfen, nachdem sich ihr Musiklehrer aus unerfüllter Liebe zu ihr das Leben genommen hat. Zuhause führt ihr Vater ein strenges Regime und hält sie fast wie eine Gefangene. Als sie eines Tages auf einen Ball gehen darf, stellt der charmante Roberto Nanni sie seiner an den Rollstuhl gefesselten Mutter Alma vor, deren Freundin und Begleiterin Gaby wird. Trotz ihrer großen Zuneigung zu Alma kann Gaby es nicht verhindern, dass sich Almas Mann Leonardo in sie verliebt und sie sich in ihn. Eine tragische Liebesaffäre nimmt ihren Lauf und endet in einer Katastrophe. Gaby, die nicht nur Leonardo sondern auch seinen Sohn Roberto liebt, flieht nach Frankreich und wird eine erfolgreiche Filmschauspielerin. Aber sie kann ihrem bisherigen, von Männern dominierten Leben nicht entkommen.
Famous film diva Gaby Doriot tries to commit suicide. When she is put under anesthetic in the hospital, her life begins to pass before her eyes: As a young girl she is expelled from school when her music teacher kills himself after trying to have an affair with her. At home her father rules with rigorous protective force, keeping her almost like a prisoner. When she is allowed to attend a ball one day, charming Roberto Nanni introduces her to his wheelchair-bound mother Alma. Gaby becomes her close friend and companion. Despite friendship and devotion to Alma, she cannot prevent Alma’s husband Leonardo from falling in love with her and she with him. The ill-fated love affair ends in a catastrophe. Gaby, who loves not only Leonardo but also his son Roberto, flees to France where she becomes a successful actress. No matter what she does, her former life, dominated by men, continues to haunt her.
Findet euch damit ab, liebe Pedanten, dass La signora di tutti als ein italienisches, ein italianissimo, ein erzitalienisches Werk anzusehen ist. Denn auch wenn sein Regisseur Max Ophüls heißt, und über Deutschland aus Palästina zu uns kommt, ist doch das hochemotionale Buch von Salvator Gotta, auf dem der Film basiert, italienisch; gleichsam italienisch ist die Produktionsfirma Novella Film, die das Projekt finanziert und durchgeführt hat, italienisch sind die Kameraleute, die die Lichter und Schatten so meisterhaft beherrscht haben, und Italiener sind zu guter Letzt die Darsteller, die vom Ersten zum Letzten in ihrer Rolle aufgingen, erfahren sind und große Künstler, die ihre Arbeit erfüllen, tüchtig und mit großem Herz. Ich spreche von Isa Miranda: dem einzigen ausdrucksstarken Gesicht, dem einzigen strahlenden Blick, den das europäische ich sage europäische Kino der Nachkriegszeit nach Kate von Nagy, Paula Wessely und Herta Thiele hervorgebracht hat. Und alle, ich sage alle anderen bleiben im Vergleich zu ihr im Schatten.
Marco Ramperti: La signora di tutti
L'Illustrazione Italiana, Nr. 50, 9.12.1934
Berühmt wurde dieser Film dadurch, daß er von einem schwerreichen italienischen Zeitungsverleger produziert bzw. finanziert wurde. Gr. Uff. Angelo Rizzoli heißt dieser italienische Ullstein. Herausgeber zahlreicher illustrierter Wochenblätter, wie »Secolo lllustrato«, »Novella«, »Piccola«, »Lei«, »Cinema Ilustrazione«, »Novellino« usw. Seit rund zehn Monaten ließ er seine sämtlichen Zeitungen auffahren, indem er sie in den Dienst der Propaganda für den obigen Film stellte.
»Berühmt« wurde der Film La signora di tutti auch dadurch, daß er mit großem Tamtam in Venedig gezeigt wurde, wobei ihm der Pokal des »Korporationsministeriums« für den »technisch besten italienischen Film« zufiel. Überraschend wirkte daher kürzlich die Nachricht in römischen Filmkreisen, daß dieser vielgepriesene Film von der italienischen Filmzensur verboten worden sei. Doch nach langem Hin und Her gelang es den Herstellern, den Film wieder freizubekommen. [...]
Dem Film La signora di tutti lag ein gleichnamiger Roman von Salvator Gotta zugrunde. Er schildert die schicksalsreiche Geschichte eines armseligen Weibes, das über unzählige Irrungen und Leidenswege (die Liebesbeziehungen im Film grenzen sogar an Blutschande und Homosexualität!) ein gefeierter Filmstar wird und sich aber am Schluß das Leben nimmt! Ein Rettungsversuch wird unternommen. Und auf dem Operationstisch, in der Narkose, sieht die Frau nochmals ihr Leben vorüberziehen. Hier beginnt die eigentliche Filmhandlung rückschauend und abwechselnd wieder nach vorne schreitend, so reich an Geschehnissen, daß diese für drei Filme ausgereicht hätten! Um die Materie zu bewältigen, mußten Bilder und Bilder aneinander gereiht und durch Überblendungen zusammengepfercht werden. Ein Film mit viel Tragik, ohne Lichtblicke, ohne Enthusiasmus, ohne Optimismus. Wohl zwingt das Los einer durch Selbstverschulden oder nicht durch Selbstverschulden vielgeprüften Frau den Zuschauer zu Mitleid und Anteilnahme, doch gleichzeitig wirkt der Film bedrückend und beklemmend. Isa Miranda, die hier zum ersten Male in einer tragenden Hauptrolle (Gaby Doriot) zu sehen ist (ihr erster Film war Tenebre), spielte mit viel Hingabe. [...]
Max Ophuels, der in Italien seinen Ruf dem Film Liebelei verdankt, führte die Regie. Ihm gelang es, aus einigen Darstellern die höchste Leistung herauszuholen. Beim Gesamtüberblick des ganzen Films versagte er jedoch. Er verlor anscheinend die Zügel und rechnete nicht mit der einzunehmenden Länge des Films. Wenn Ophuels zu seiner Entlastung wohl anführen kann, daß der ihm obliegende Stoff ein recht undankbarer war, so erscheint es von seiten der italienischen Filmindustrie nicht gerechtfertigt, einen ausländischen Regisseur heranzuholen, der für einen italienischen Film einen dreifachen Kostenaufwand erforderlich machte, als den sonst in Italien üblichen.
C. Sch.: »Allerweltsdame« in Rom gestartet
Lichtbild-Bühne, Nr. 289, 12.12.1934
La signora di tutti ist weit von unserer mediterranen Wärme entfernt, von dem überwältigenden Impetus unseres südländischen Temperaments, das auch in der Schuld und bei Fehlern eine unmissverständliche Klarheit und Willenskraft bewahrt. Die Figuren von Salvator Gotta haben sich in nordische Nebel gehüllt, die sie fremd machen. [...] Das ist wieder einmal der Beweis, dass jedem Künstler das Seinige gebührt und dass die Produzenten am besten daran tun, den Regisseuren freie Wahl zu lassen, oder besser, jene Regisseure auszuwählen, die ihren Projekten am nächsten stehen. Von seinem Standpunkt aus hat Ophüls einen schwierigen Kampf gewonnen, auch gegen sich selbst, und der Film trotz seiner Mängel überzeugt.
Enrico Roma: La signora di tutti
Cinema Illustrazione, Nr. 50, 12.12.1934