Sadomasochistische Liebesgeschichte zwischen einem SS-Offizier und einer KZ-Insassin. Wien, Ende der 1950er Jahre: Der ehemalige KZ-Arzt Maximilian Altdorfer arbeitet als Nachtportier in einem Hotel. Hier trifft er sich auch regelmäßig mit anderen ehemaligen SS-Offizieren, die in fiktiven Prozessen ihre Schuldgefühle verarbeiten und nach möglichen überlebenden Zeugen suchen, die über ihre Verbrechen aussagen könnten. Eines Tages taucht Lucia Altherton mit ihrem Mann, einem berühmten amerikanischen Dirigenten, im Hotel auf. Max erkennt in ihr sofort eine ehemalige KZ-Gefangene, zu der er eine bizarre Liebesbeziehung pflegte. Auch Lucia erkennt Max. Doch anstatt ihn sofort anzuzeigen, versucht sie, ihm aus dem Weg zu gehen. Als ihr Mann sie allein in Wien zurücklässt, kann sie Max nicht mehr entkommen. Sie verfallen erneut in sadomasochistische Abhängigkeit zueinander. Schließlich zieht Lucia zu Max in die Wohnung, in der sie sich einschließen, um den Verfolgungen der anderen Altnazis zu entkommen, die Lucia als Zeugin ihrer Gräueltaten beseitigen wollen.
A sadomasochistic love story between an SS-officer and a concentration camp inmate:
Eine Analyse des Nationalsozialismus und darüber hinaus eine Reise in die Hölle, die ein Publikum mit starken Nerven und glasklarem Blick erfordert. [...] Die Ergründung des Unbewussten, und in diesem Zusammenhang die Untersuchung des Nationalsozialismus als Moment der Geschichte, in dem nicht der Wahnsinn, sondern die Mechanismen von Gewalt und Selbstbestrafung vor verhängnisvoller Kulisse explodieren, treiben Portiere di notte mit unerbittlichem Willen zum Nachforschen an. In diesem Film gibt es keinen Platz für Mitleid oder Empörung. Der Nationalsozialismus ist ein geschichtliches Ereignis, das heute zwar überall mit universellem Abscheu betrachtet wird, sich aber jederzeit wiederholen kann, heute wie morgen von überall her, wo immer aus dem Erduntergrund die tierischen Wurzeln des Menschen emporwachsen. Es liegt auf der Hand, dass dies keine Absolution des Hitlerismus ist, und genauso wenig ist es eine Verurteilung der wehrlosen Opfer. Es ist jedoch eine mit Pessimismus hervorgebrachte Einladung einer katholischen Autorin, die Dostoevskij, Sade, Masoch, Freud und Jung gelesen hat, das Leben durch das Gefühl von Tragik und die Versuchung des Bösen zu begreifen.
Giovanni Grazzini: Il portiere di notte
Corriere della Sera, 1.6.1974.
Auf den Publicity-Schaumkronen hymnischer Verzückung und ewiger Verdammnis wühlt sich das Mißverständnis der Saison nun auch dem deutschen Publikum in die Eingeweide: Liliana Cavanis Der Nachtportier, das grotesk-makabre Drama einer perversen Leidenschaft (er ein SS-Sadist, sie eine KZ-Masochistin), steht ab heute in München, zur Debatte.
Die Allergien, die dieses zynisch-virtuose Horrorstück entfesselt, sind klar: KZ-Terror als sexuelles Panoptikum das wirkt wie in Massengräber gespuckt. Dem Zeitgenossen, in Faschismus erfahren, sträubt sich das gebrannte Fell.
Doch falls es gelänge, diesen ganzen Emotionsballast wegzukehren, stünde dieser Film (vielleicht) ganz einfach in der Tradition der bizarren Tragödien schlimmer Leidenschaften, von hemmungslos Liebeswahnbesessenen, die rabiat ins Verderben segeln. Was war Nabokovs »Lolita« anderes, und Bertoluccis Letzter Tango?
Auch Der Nachtportier ist eine absurd-romantische, selbstzerstörerische Liebesgeschichte. Ästheten-Horror, verzerrt von fast surreal-perversem Lager-Spuk und einem Wiener Ringverein ranziger NS-Paranoiker. Klein-Himmler als Graf Dracula.
Der extrem individuellen Sexualbeziehung zwischen »Opfer« und »Henker« ein politisches Nachthemd überzuziehen, wäre so albern, wie etwa das Altrom-Kino über Kaiser Neros Lastermolche ernsthaft als »Realität« zu diskutieren. Selbst wenn man den ganzen Freud ausgraben und sämtliche im NS-Staat freigelegten und umgeleiteten Triebe als spezielle Orgasmen des Faschismus entlarven wollte der Nachtportier wäre kein Beweisstück.
Er bliebe der schaurig irre Einzelfall des hochsensiblen erotischen Katastrophenkinos (Rampling-Bogarde im Banne von Marmeladeglasscherben!): Der letzte Tango in Wien, auf der Polithintertreppe in den Liebestod getanzt.
Ponkie: In Massengräber gespuckt
Abendzeitung (München), 21.2.1975
Eine Schlange nackter, wabbeliger Leiber drängt sich vor einem Schreibtisch zur Abfertigung ins KZ. Von der Seite nähert sich, einen Arztkittel über der SS-Uniform, ein Mann mit Kamera, um die ängstlich verwirrten Opfer zu filmen. Er bleibt am einzigen schlanken Mädchen hängen, umkreist es mit seinem Objektiv, umwirbt und schändet es dadurch gleichermaßen.
Die Szene enthält, obwohl sie als grelles, unruhiges Erinnerungsbild aus dem sonst ruhigen, in düsteren Braun- und Blautönen dahinschwelgenden Film herausfällt, dies ganze Kinostück namens Nachtportier oder genauer: seine ästhetische, also auch politische Haltung. Denn jedes Hinstarren aufs Unheil hat etwas von Faszination, damit von geheimem Einverständnis. So gibt sich Liliana Cavanis Film als die bruchlose Fortsetzung einer inzwischen 30-jährigen verklemmten Haßliebe zum Nationalsozialismus zu erkennen: nach den Kriegsschinken, den Widerstandsbeschwörungen, den Hitlerfilmen nun also (zeitbedingt) die Erotisierung des Faschismus und damit unabhängig von aller Schlüssigkeit seine Verharmlosung zum austauschbaren Individualismus.
Das war sicherlich nicht Liliana Cavanis Absicht. Sie wollte eine sadomasochistische Beziehung darstellen und an sich richtig und eigentlich viel zu selten praktiziert aus den Umweltbedingungen der Partner erklären. Ihr fataler Kurzschluß in diesem Fall ist freilich, daß sie allzu leichtfertig erotischen und politischen Sadismus gleichsetzt. Die Folge: die qualvolle Sympathie, die sie für ihr unglückliches Paar empfindet, sickert umstandslos in den blutigen Mutterboden, dem es seine Perversion angeblich verdankt der falsche Beweis gerät zur Sanktion des Falschen.
Peter Buchka: Sehnsucht nach perverser Trauer
Süddeutsche Zeitung, 22.2.1975