Metaphysische Liebesgeschichte nach einem hinterlassenen Drehbuch von Krzysztof Kieslowski. Philippa, eine Englischlehrerin in Turin, plant ein Attentat auf den Drogendealer Vendice. Doch die Bombe tötet nicht den verhassten Kriminellen, sondern vier unschuldige Menschen. Philippa, die vor ihrer Tat der Polizei immer wieder vergeblich Hinweise über Vendices Drogengeschäfte gegeben hat, wird umgehend verhaftet. Auf der Polizeistation begegnet sie dem jungen Carabiniere Filippo, der für sie übersetzt und sich in sie verliebt. Er verhilft ihr zur Flucht, gemeinsam locken sie Vendice, der enge Beziehungen zur Polizei unterhält, in eine Falle, und Phillipa erschießt ihn. Philippa und Filippo fliehen nach Montepulciano und nähern sich nicht nur äußerlich immer mehr an. Die leuchtende Landschaft der Toskana bietet den Hintergrund für die sich immer stärker transzendental entwickelnde Liebesgeschichte, die in der endgültigen Flucht vor den Verfolgern ihre Vollendung findet.
An esoteric love story based on a script by the late Krysztof Kieslowski: Philippa, an English teacher in
Frank Griebe verleiht der Kamera Flügel. Von der ersten Sequenz an schickt der Kameramann seinen Apparat in die Höhe, damit er von der Welt abrückt und Gott nahe ist. Selbst in den Innenräumen drängt es ihn nach oben. Dass die Kamera dabei jemals an einer Decke anstieße, ist nicht zu beobachten.
Dieses Aufsteigen, Gleiten und Schwingen ist symptomatisch für Tom Tykwers Wettbewerbsbeitrag Heaven. Ähnlich wie bei Lars von Trier will hier nichts am Boden von Ratio und Diskurs bleiben: die Figuren nicht, ihre Beziehungen und ihre Motive nicht und der Plot schon gar nicht. Tom Tykwer drängt es dorthin, wo keine Frage nach dem Grund mehr laut wird, zum Märchen und zur Legende. Seine Helden heißen Philippa und Filippo, Hänsel und Gretel ginge auch, Santa Philippa und San Filippo träfe die Sache noch besser.
Wie selbstverständlich nimmt Heaven das Bedürfnis nach Selbstjustiz hin, das die Hauptfigur umtreibt. Dass der Dealer sterben muss, steht außer Frage wie ein Grundsatz, der sich jenseits diskursiver Anfechtbarkeit einkapselt. Für Tykwer stellt sich das Problem nicht, wenn Philippa sich zur Rächerin aufschwingt, sondern erst, wenn sie die Falschen trifft.
Allein diese Ökonomie von Schuld und Unschuld hätte, wäre sie denn so gefilmt wie in Dancer in the Dark, das Zeug zur Provokation, vielleicht sogar zum produktiven Ärgernis. Doch weil Tykwer auf die Dringlichkeit von Reißschwenks, Handkamera und grobkörnigen Bildern verzichtet und statt dessen so opulent wie breitwandtauglich fotografieren lässt, kommt es nie zu der Intensität, die bei Lars von Trier zum Widerspruch treibt. Tykwer will die religiöse Dimension, er will das Pathos und das Antirationale, er will Figuren, die sich selber richten, aber bitte in goutierbaren Bildern. Vor Kitsch hat er keine Angst. Wenn sich Philippa und Filippo (Giovanni Ribisi) endlich finden, geschieht dies auf einem Hügel, unter einem einsam stehenden Baum, zur Stunde des Sonnenuntergangs. Eine Fototapete mit Karibikmotiv könnte das nur schwer überbieten.
Das heißt nicht, dass Tykwer sich vollständig verrennt. Was ihm bisweilen gelingt, sind Bilder wie aus Träumen, als wachte man auf um vier Uhr nachts und erinnerte sich an die Schemen, die eben noch den Kopf bevölkerten.
Cristina Nord: Der Moment des Abhebens
Die Tageszeitung, 7.2.2002
Das Wort, das Tom Tykwers Heaven wohl am besten beschreibt, ist »rigoros«, was der Duden als »rücksichtslos, sehr streng und unerbittlich« definiert. Eine Frau stellt sich der moralischen Verantwortung für ihre Tat ohne jegliche Rücksicht auf sich selbst. Ein Regisseur geht mit dem eigenen Stoff mit einer Strenge um, die einem den Atem raubt. Und ein unsichtbarer Mitspieler namens Schicksal verlangt unerbittlich die Einhaltung der Spielregeln.
Sollte dies nach einem unzugänglichen, schwer verdaulichen, elitären Film klingen nichts könnte Heaven ferner liegen. Tom Tykwers fünftes Kinostück saugt einen geradezu hypnotisch in seinen Kosmos. Nur: Er lässt einen darin nicht heimisch werden. Denn es ist nicht die Welt, in der sich die meisten von uns bewegen, geschweige denn wohlfühlen. Es ist eine Welt der rigorosen Gesetze, rigorosen Entscheidungen, rigorosen Menschen und wir alle neigen zum bequemeren Pragmatismus.
Philippa und der Polizist Filippo, der ihr fliehen hilft, sind Charaktere, wie man sie seit langem im Kino nicht gesehen hat. Sie werden nicht von jenen drei Motiven getrieben, auf die heute jegliches menschliche Handeln reduziert scheint: nicht von Geld, nicht von Sex, nicht von Ruhm. Ein moralischer Kodex bestimmt ihr Handeln, und der sagt Philippa, dass sie ausersehen ist, die Stadt von Vendice zu befreien; der sagt ihr, dass sie ihr Leben durch den Tod der Unschuldigen verwirkt hat; der sagt Filippo, dass er dem Lauf der Gerechtigkeit nachhelfen muss und der sagt wiederum Philippa, dass sie Filippo helfen muss, nachdem auch er sich schuldig gemacht hat, ihretwegen.
Von einem bestimmten Zeitpunkt an, nachdem man eine bestimmte Entscheidung gefällt hat, ist man nicht mehr frei, sondern gefangen auf der Schicksalsschiene. Das ist ein sehr Tykwersches Motiv, das er schon Franka Potente in Lola und Krieger/Kaiserin mit auf den Weg gegeben hat. Irgendwo da oben wacht eine Kraft und lenkt diese Charaktere in die für sie bestimmte Richtung.
Diese Kraft war, oberflächlich besehen, bei Lola der Regisseur als Strippenzieher seiner Puppen. In Wirklichkeit war es die Liebe, die Franka Potente mit Scheuklappen-Entschlossenheit für ihren Manni kämpfen und (in Krieger) ihren Bodo verfolgen ließ. In Heaven ist das diffiziler, denn zwar gesteht irgendwann Filippo Philippa seine Liebe und später behauptet sie das Gleiche. Aber der Treibsatz von Heaven wird weniger von Liebe denn aus moralischem Impetus gespeist. Beide tun, was sie tun, weil sie fühlen, dass dies das einzig Richtige ist. Und, wie bei Liebe, lässt ihnen dies nur einen einzigen Weg offen, von dem abzuweichen Verrat an sich selbst bedeutete.
Hanns-Georg Rodek: Reduktion aufs Maximale
Die Welt, 7.2.2002