Nach Motiven von Stendhals »Le Rouge et le Noir«. Der Stadtsekretär Julien stürzt sich in das politische Treiben vor der Juli-Revolution 1830 und verlässt dafür seine Geliebte, die Frau des Bürgermeisters. Fortan übermittelt er als geheimer Kurier Botschaften an den späteren Bürgerkönig Louis Phillipe. Als er Mathilde, die Tochter des Marquis de la Mole, zur Frau nehmen will, holt dieser Informationen zu Juliens Vergangenheit ein. Der Brief gelangt in die Hände der verschmähten Bürgermeisterfrau, die verletzt und enttäuscht Julien als Halunken darstellt und vor einer Ehe mit ihm warnt. Zu spät bereut sie ihre Tat und als Julien sie aus Rache erschießt, wird er zum Tode verurteilt. Seine Geliebte Mathilde setzt sich jedoch für ihn ein und in den Wirren der ausbrechenden Revolution gelingt es ihr, ihn vor der Guillotine zu retten.
Based on Stendhal’s novel »Le Rouge et le Noir«: Town clerk Julien hurls himself so far into politics before the July-Revolution of 1830 that he even leaves his lover, the mayor’s wife. He then begins working as a secret courier, delivering messages to Louis Philippe, who will later become the king of
Ob in der hochdramatischen Szene eines beinah verübten Mordes das Glas mit dem Gift in der Ecke zersplittert, ob einem Konspirator die Gendarmen auf den Fersen sitzen stets ist die Wirkung ausgeklügelt bis ins letzte.
Gennaro Righelli [...] schafft eine Regieleistung, wie man sie bei ihm seit Jahren nicht mehr hat. Der große Rahmen entfesselt ihn, macht aus dem sauberen Inszenator durchschnittlicher Geschäftsfilme einen Mann mit sicherem Blick für Wirkungen.
Spielszenen, Einstellungen, Schnitt, alles klappt. Die Reiterszenen haben ein Tempo, wie sonst in den vielgerühmten amerikanischen Spitzenwerken.
Die Szene, in der Julien, von der Auflösung seiner Verlobung in Kenntnis gesetzt, zechende Offiziere als Gitarrespieler zur Raserei bringt, bis er hinausstürzt und zwei Pferde zuschandenreitet diese Szene in ihrem Auftrieb, ihrer tollen Steigerung bis zum Fortissimo des nächtlichen Rittes, ist ein Höhepunkt in der Filmkunst überhaupt.
Landschaftsmotive von romantischer Schönheit verraten den sicheren Blick auch für den Hintergrund. Die Spielszenen werden sorglich abgedämpft. Der beste Beweis für die Gewandtheit Righellis in der Leitung des Ensembles bleibt das Herausbringen des Stars.
Auf den ist alles zugeschnitten. Seinen Reitkünsten, seiner Fechtergeschicklichkeit wird weitgehend entgegengekommen. Unvermeidlich blieb da allerdings auch manches mimische Erfordernis.
Diese, die geölte Selbstgefälligkeit Mosjoukins entlarvenden Augenblicke kaschiert Righelli, so gut es geht. An dieser Stelle anstatt eines Unmusikalischen ein großer Tenor mit Fingerspitzengefühl und Sinn für Romantik, und das Kinopublikum in der ganzen Welt hätte Beifall gerast.
Das Schwergewicht des Starfilms verschiebt die persönliche, künstlerische, optische Leistung der Lil Dagover.
Ihre edle Schönheit gibt der Madame Renal ein Leuchten. Beschränkte sie sich auf die visuelle Wirkung, allein das schon würde mitreißen. Aber sie spielt, lebendiger, gelockerter als je; ohne den sonst bei ihr naheliegenden Hang zur Hochdramatik.
Sie liest einen Brief, der vom Verrat des Liebsten kündet und muß dabei lächeln erschütternd. (In einer ähnlichen Situation enthüllt sich die Pose Mosjoukins.)
Sie rast hinter einem Postwagen her, um eine schlechte Tat gutzumachen: sie lächelt, selig, als sie den Geliebten wieder auf sich zukommen sieht, in dem Glauben, er käme zu ihr zurück.
Drei Schauspielermomente, die menschlich ergreifen. Das ist Filmkunst.
Hans Feld: Der geheime Kurier
Film-Kurier, Nr. 256, 26.10.1928
Der Roman ist bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden, ohne daß wenigstens seine vielleicht filmwirksamen Szenen ausgenutzt worden wären. Nicht einmal der Film in sich ist ein Ganzes, sondern ein fühllos zusammengewürfeltes Gemenge einzelner Episoden, die abgehackt nebeneinander stehen. Warum man als Julien Sorel gerade Mosjukin ausgesucht hat, ist unerfindlich. Der Held müßte ein junger, hübscher, etwas ungeschickter, aber behender und leidenschaftlicher Mensch sein, und Mosjukin wirkt alt, erfahren und wie ein Roué. Er ist eher ein abgebrühter Emigrant als ein Stendhalscher Held. Seine Partnerin Lil Dagover kommt mit ihrer Schönheit nicht zur Geltung, weil sie sich auf konventionelle Gebärden beschränkt. Am besten ist noch Agnes Petersens kleine Marquise, ein frisches Geschöpf, das die Mimik in Einklang mit dem Stilkostüm zu bringen weiß. Der Regie fehlt jede Eingebung.
Siegfried Kracauer: Der geheime Kurier
Frankfurter Zeitung, 16.11.1928 (Stadt-Blatt)