Verfilmung von Sartres Bühnenstück. Hamburg, Anfang der 1960er Jahre: Franz Gerlach, Ex-Leutnant und Sohn eines vermögenden Schiffsbauers, lebt seit Ende des Krieges in einem Zimmer in der väterlichen Villa. Er war während des Krieges in Russland an Folterungen beteiligt und möchte nicht einfach weiterleben, als sei nichts geschehen. Immer noch die Wehrmachtsuniform tragend, versucht er sich vor einem fiktiven Tribunal des 30. Jahrhunderts für seine Kriegsverbrechen zu rechtfertigen. Die einzige, die zu ihm darf, ist seine Schwester Lena, die ihn versorgt und um seine Gewissensbisse zu schmälern erzählt, dass Deutschland von den Siegern verwüstet wurde und die Bevölkerung an Hunger und Seuchen leide. Eines Tages tritt die Schauspielerin Johanna, Frau von Franz‘ jüngerem Bruder, in sein Leben und erzählt ihm, wie es draußen wirklich aussieht. Er verlässt sein Zimmer und findet zu seinem Erstaunen kein Elend, sondern das deutsche Wirtschaftswunder vor.
A Film version of a stage play by Sartre.
Die umfangreiche Neubearbeitung des Dramas »Die Eingeschlossenen von Altona« von Jean-Paul Sartre, die Vittorio De Sica und seine Drehbuchautoren [...] vorgenommen haben, besteht in der realistischen Erweiterung und bewusst gewollten Aktualisierung der These vom »deutschen Problem«.
Auch von der filmischen Seite her gezwungen, dem obsessiven und erdrückenden Klima des Kellers zu entkommen, in dem sich Franz von Gerlach in einer verrückten Geste seit 15 Jahren freiwillig eingeschlossen hat, um das gewaltige Gewicht der Naziverbrechen auf sich zu nehmen, zeigt uns De Sicas Kamera, die sich zum ersten Mal auf europäischer Ebene bewegt, auf unmittelbare Weise und nicht über den Umweg und die Andeutungen des Theaterdialogs das deutsche »Wirtschaftswunder« von heute und das Industrie-Imperium, das sich der Vater Gerlach in Hamburg aufgebaut hat. Er, der über Hunderte Baustellen verfügt, ist ein stählerner Mann vom Schlage Krupp und lebendes Symbol der »Kontinuität« zwischen der (nationalsozialistischen) Vergangenheit und der (revanchistischen) Gegenwart.
Dies waren natürlich auch die Intentionen von Sartre, der in seinem Drama neben den Fragen des Gewissens und der Wahrheit, als tragischstes Thema das Vergessen der Geschichte und der auf Trümmern aufgebauten Revanche in den Vordergrund stellte; Trümmer, die in der Erinnerung des Hauptdarstellers immer noch brennen.
Der polemische Blickwinkel, den der Film damit in den Szenen bekommt, in denen der »Eingeschlossene« ans Licht zurückkehrt und sich mit der heutigen Realität messen muss, ist beeindruckend; hier ist es auch, wo das Filmwerk einen höheren Ton anschlägt und seiner eigenen ideologischen Notwendigkeit gerecht wird.
De Sica, den man einst für den sentimentalsten unserer großen Regisseure gehalten hat, greift das westdeutsche Spießbürgertum, seinen ungeheuerlichen Wohlstand, das schlechte Gewissen des deutschen Volkes hart an. Wie in einer Szene aus Das Urteil von Nürnberg, wie in den dokumentarischen Momenten von Mondo cane bekommt die Apologie von Bier, Sex und Würsten einen makabren Beigeschmack.
Ugo Casiraghi: I sequestrati di Altona
L'Unità, 1.11.1962
Der eigentliche geistige Vater des Films ist neben Sartre als Autor des zugrunde liegenden Bühnenstücks der amerikanische Drehbuchschreiber Abby Mann, dem wir auch schon das Drehbuch zu Das Urteil von Nürnberg danken. Man kann dies neue Werk als Fortsetzung dieses Films ansehen: Er wollte zeigen, was mit denen wurde, die durch die Wandlungen der amerikanischen Nachkriegspolitik in Freiheit gelassen oder bald wieder in Freiheit gesetzt wurden und wie diese sich mit der Schuld, die trotz alledem auf ihnen lastet, abzufinden verstanden. Daß Sartre, wie er seinerzeit erklärte, das deutsche Milieu nur zur Verschlüsselung gewählt hatte, um die anders in Frankreich damals nicht auf die Bühne zu bringende Auseinandersetzung mit gewissen Ausschreitungen im Algerienkrieg und ihren moralischen Folgen zu geben, wird im Film nicht mehr direkt spürbar. Die deutsche Frage steht jetzt in ihm so gut wie uneingeschränkt im Mittelpunkt, aber an allzu vielen Einzelheiten tritt hervor, daß ihre Bedingtheiten aus amerikanischer Perspektive gleichsam über den Ozean ferngesehen wurden.
Die dramaturgische Straffung, die thematische Konzentrierung und zum Teil sogar die Übersetzung der Sartreschen Denkkonstruktionen in eine volkstümlichere Verständnissphäre, die Abby Mann der theatralischen Vorlage angedeihen ließ, sind vorzüglich. [...]
Der Regisseur Vittorio De Sica hat den Film als Auftragsarbeit übernommen, die Darsteller nicht selbst auswählen können und an Abby Manns Drehbuch nur geringfügig ändern dürfen. Am gelungensten sind die Stellen, in denen er sich vom Theaterstück entfernen konnte: die Anfangsszene beim Röntgenspezialisten, wenn der Vater von seiner unheilbaren Krankheit erfährt; der Ausbruch nach St. Pauli, wenn Franz [...] in seiner Wehrmachtsuniform inmitten der saufenden und schunkelnden Wohlstandsbürger umherirrt; und der optisch so dekorative Schluß in der Werft. In dem international gemischten Ensemble spielt jeder seinen nationalen Stil: Maximilian Schell überzeugend in seinem grellen deutschen Expressionismus, der an den frühen Kortner denken läßt; Sofia Loren, vor allem in den Theaterszenen eine miserable Darstellerin, die derbe Volksschönheit des neapolitanischen Gassenfilms; Fredric March das routinierte Unterspielen der Hollywood-Tradition für ergraute Bonvivants; und Françoise Prévost französisches Boulevardtheater.
Trotz mancher Unmöglichkeiten der Handlung ist der Film ein interessanter Beitrag zur Frage der Bewältigung der deutschen Vergangenheit, mit den Augen des Auslands gesehen. Der reife Besucher, der der radikalen existentiellen Auseinandersetzung Sartres und Abby Manns mit der Verantwortung und der Würde des Menschen folgen kann und will, wird dies dialektisch tiefschürfende, aber menschlich kalte Drama als wertvolle Diskussionsgrundlage verstehen.
USE.: Die Eingeschlossenen
Film-Dienst, Nr. 39, 25.9.1963