Blutige Seide
Farbenprächtiger Gruselkrimi, der zur Vorlage des Giallo-Genres wurde: Ein maskierter, ganz in Schwarz gekleideter Mörder bringt nacheinander die Mannequins eines luxuriösen italienischen Modeateliers um, das von Signora Christiana gemeinsam mit ihrem Geliebten Max geleitet wird. Das erste Opfer des unheimlichen Mörders wird die schöne Isabella. Am nächsten Tag findet ihre Kollegin Nicole in Isabellas Nachlass ein Tagebuch, in dem Dinge stehen, die niemand wissen darf. Nicole nimmt das Tagebuch an sich und wird damit zum nächsten Ziel des Mörders, der ebenfalls versucht, Isabellas Aufzeichnungen an sich zu bringen, die sich jedoch inzwischen im Besitz von Peggy befinden. Nach Nicoles Tod nimmt die Polizei fünf Verdächtige fest in der Annahme, dass sich unter ihnen der Mörder befindet. Doch dann wird auch Peggy ermordet, und die Polizei muss die Verdächtigen, darunter auch Christianas Geliebten Max, wieder laufen lassen. Inspektor Silvestri ist ratlos. Und das Morden geht weiter.
An enticingly thrilling horror story, which became the model for the Giallo-genre: One fashion model after another in a luxurious Italian Fashion atelier which signora Christiana together with her lover Max manage, is murdered by a masked murderer dressed in black. Isabella, a beautiful young model, is the first victim. The next day a colleague finds a diary in Isabella’s belongings, which is full of notes, which need to be kept secret. After Nicole takes the diary, she becomes the next target of the murderer, although she has already passed Isabella’s notes on to Peggy. The police respond to Nicole’s murder by arresting five suspects, one of them Christiana’s lover Max, and are quite certain that one of them is guilty. Shortly thereafter, the police have to release all of the suspects after they find Peggy, murdered. Inspector Silvestri is clueless, and the killing continues.
Die mit der Haute Couture verbundenen Gelegenheiten eleganter Aufmachung, modischer Extravaganzen, hübscher Mannequins und erotischen Kunstgewerbes reizen immer wieder als Handlungskulissen für gehobene Unterhaltungsware. Diese Triproduktion hat nichts von alledem ausgelassen und die Seidenkonfektion obendrein noch mit den Blutspritzern von fünf Morden dekoriert.
Die Regie von Mario Bava treibt die Effekte reißerisch brillant in die Höhe ebenso brillant, wie Ubaldo Terzano fotografiert hat. Ob der Mann mit der Maske nun auch noch die Leichen der fünf Mädchen endlos hin und her und quer und krumm durch die Gegend schleppen muß, ist eine Geschmacksfrage an die Schocker-Gemeinde. Da fast alle Passagen im Halbdunkel spielen, strengt der Spuk auch an.
Eva Bartok kann alle Register äußerlicher Wirkungen ziehen und tut es auch weidlich, während Cameron Mitchell die Schuftigkeit ebenso überlegen zur Schau stellt, wie die Eleganz. Die fünf Puppen von der Greta bis zur Dolores werden von hübschen Körpern bewegt. Sonst aber sind sie so seelenlos, daß kein Mensch wirkliches Mitleid mit ihnen haben könnte.
Bert Markus: Blutige Seide
Film-Echo/Filmwoche, Nr. 97, 2.12.1964
Die Geschichte einer aufopfernden Liebe, einer Erpressung und einer Mordserie, die Geschichte eines Modeateliers zwischen Rauschgift, Erotik, Luxus und Crime; last not least die Geschichte des Gruselkrimis auf den Zeitraum von zwei Stunden zusammengerafft: Mario Bava, der Regisseur, versammelt hier so nahezu alle in diesem Genre je erprobten Effekte. Doch er versammelt sie nicht nur, es gelingt ihm sogar, sie zu einem harmonischen Ganzen zu vereinigen. Knarrende Türen, vermummte Mörder, schwarze, mit blauen, roten und gelben Scheinwerfern nur spärlich ausgeleuchtete Szenerien, wahnwitzige Kämpfe gejagter Mädchen mit ihren Mördern, Blut an Kleidern, Gesichtern und Händen, losgerissene Dachrinnen, glühende Öfen, Perlen, rote Telephone, mysteriöse Schatten, Revolver, Luxuswagen das alles gerät Bava zu einer beeindruckenden, wenn auch sehr plakativen Vision vom Leben mit, in und von der Angst.
Diese »Anthologie« könnte ein Meisterwerk sein, wenn Bava nicht nur ein perfekter Handwerker wäre (jede Fahrt ist ein Genuß, jeder Lichteffekt, und sei er noch so riskant, gelingt), sondern auch ein perfekter Drehbuchautor und Regisseur. Dem Drehbuch, soweit es die Story und die Dialoge betrifft, ist leider nicht allzuviel abzugewinnen: Offenbar diente es Bava lediglich als Vorwand, eine mustergültige Schau zu veranstalten. Und die Schauspieler stehen, sieht man von einigen, rasanten Kampfszenen ab, ratlos herum, wissen nicht, wohin mit ihren Händen, agieren outriert oder überhaupt nicht und fühlen sich offensichtlich vernachlässigt; Bava hatte andere Sorgen. Und er weiß das auch, wenn er in aller Offenheit erklärt: »Ich bin genaugenommen kein Regisseur; das, was ich zu einem Film beisteuern kann, ist eine große Erfahrung in der Kameraarbeit, in der Tricktechnik und in der Kunst, eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen!«
E. S.: Blutige Seide
Süddeutsche Zeitung, 21.6.1965