Sozialstudie über eine private Kohlehandlung auf dem ost-berliner Prenzlauer Berg im Winter 1988/89. Die resolute Chefin führt mit Witz und Verstand das Regime und genießt den Respekt ihrer sieben männlichen Angestellten. Diese, alle nach außen hin harte Kerle, gewähren Einblick in ihre Vergangenheit und erzählen von Republikflucht und Gefängnisaufenthalten. Ein einfühlsames Porträt aus den Tagen kurz vor der Wende.
Auch Helke Misselwitz’ Festivalbeitrag gehörte in diese Kategorie von Filmen aus unserer Arbeitswelt, aus unserem heutigen Alltag. WER FÜRCHTET DICH VORM SCHWARZEN MANN fragt sie mit ihrer jüngsten Arbeit und erntete wohl den größten Beifall in Neubrandenburg. (Wie übrigens schon im Vorjahr für ihren Film WINTER ADE.) Sie porträtierte eine Berliner Kohlenhandlung, folgte den Männern treppauf, treppab; Kohlen, Kohlen – ein hartes Brot. Rauh der Ton, so mancher ist schnell in Rage zu bringen, gesessen hat auch einer von ihnen, und mit Bier und Schnaps spülen sie sich abends den Staub aus der Gurgel. Helke Misselwitz versteht es wie wohl nur wenige andere Dokumentarfilmregisseure hierzulande, sich Menschen behutsam zu nähern. Nie spürt man Distanz, nie auch nur den Anflug von Voyeurismus. Und ihre Fragen sind keine Stereotype. Sie sucht nach dem Individuellen, dem Besonderen, das in jedem Menschen steckt. Typisch für die Art der Misselwitz die Szene, die mich am meisten berührte: Sie fragte einen der Männer, denen ja zumeist ein übler Ruf vorausgeht und die man zu gern pauschal kriminalisiert, ob denn diese schwieligen, harten Hände, die tagaus, tagein zentnerschwere Kohlenbündel tragen müssen, ob diese Hände auch weich und zärtlich sein können, wenn sie den Körper einer Frau berühren. Was für eine Frage! Darauf muß man erst einmal kommen. Und: Wie groß muß das Vertrauensverhältnis zwischen Filmemacher und »Objekt« sein, um eine solche Frage überhaupt stellen zu können.
Klaus M. Fiedler: Nach dem Individuellen im Menschen suchen – Eine Bilanz des 12. Nationalen Festivals für Dokumentar- und Kurzfilm
Neue Zeit, 17.10.1989
WER FÜRCHTET SICH SCHWARZEN MANN, der neue Film von Helke Misselwitz, konnte sich in Leipzig behaupten, weil er jenseits aller Aktualität steht. Helke Misselwitz porträtiert diesmal mit Zuneigung und Witz Berliner Kohlenmänner und ihre resolute Chefin, Menschen einer Randgruppe, deren Beruf es sicher demnächst nicht mehr geben wird, wenn auch in der DDR alle Wohnungen Zentralheizung haben. Diese Männer sind Außenseiter, rauh, oft etwas kaputt, Menschen aus einer anderen Zeit, aber die Regisseurin kommt ihnen nahe, wenn sie z.B. einen von ihnen fragt, ob er mit seinen von Hornhaut überzogenen Händen auch zärtlich sein könne. Thomas Plenert hat wieder einmal wunderbar fotografiert, er ist ein Meister darin, auch die kleinste Lichtquelle zu nützen. WER FÜRCHTET SICH SCHWARZEN MANN, ein 35-mm-Kinofilm, schwarzweiß, mit der unmöglichen Länge von 52 Minuten, ist im Grunde ein Luxusprodukt, wie es sich die voll subventionierte staatliche Filmproduktion der DDR leisten konnte. Er liegt in der Tradition der Porträtfilme von Jürgen Böttcher oder Volker Koepp, die den Dokumentarfilm der DDR in den letzten zwei Jahrzehnten geprägt haben. Wenn der Film der DDR nun marktorientierter werden wird, was alle erwarten, wird es solche Filme, was viele befürchten, kaum mehr geben. Es ist klar,daß in der nächsten Zeit die publizistischen Filme dominieren werden – die Themen liegen ja wirklich auf der Straße –, aber der künstlerisch gestaltete Film darf darüber nicht zugrunde gehen. Sei es durch eine Filmförderung, die vermutlich auch in der DDR eingerichtet wird, vielleicht auch durch einen Anschluß an die europäische Förderung, sei es durch Co-Produktionen, müssen Filme, wie Böttcher, Koepp, Misselwitz und manche Jüngere sie gemacht haben, weiterhin möglich sein. Nach dem außerordentlichen Kongreß des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden der DDR im Januar 1990 wird man mehr wissen.
Wilhelm Roth: Programmänderung Leipzig 1989
epd Film, Nr. 1, 1990
So groß die international anerkannten Verdienste des DDR-Dokumentarfilmschaffens auch sein mögen, so beklagenswert sind die bisher üblichen Produktionsbedingungen. Die Produktionsmittel standen zwar zur Verfügung, aber in Form einer total veralteten Filmtechnik, ergänzt durch einen inzwischen lebensgefährlichen Fuhrpark. Überblendungen und Doppelbelichtungen dreht Helke Misselwitz mit ihrem Kameramann Thomas Plenert grundsätzlich in einer alten Parvo-L-Stummfilmkamera mit Handkurbelbetrieb. Die auch vorhandene neue Technik war vorrangig auf Staatsempfängen unterwegs oder begleitete Erich Honecker auf seinen Auslandsreisen. Ein Königreich für eine Kamera ohne Laufgeräusche!
Dem Selbstbewußtsein tun diese Mängel keinen Abbruch. »Ich muß doch selbst wissen, was ich bin und wer ich bin.« Die Kohlenchefin, Protagonistin in Misselwitz’ letztem Film WER FÜRCHTET SICH SCHWARZEN MANN, antwortet stellvertretend für die Regisseurin. Sie hält eine Horde Kohlenmänner in Schach, die täglich den Kiez mit Brennstoff beliefern. Da tuckern die abenteuerlich wirkenden schwarzen Männer auf kleinen Wägelchen durch die Großstadt Berlin, als wäre das Leben vor hundert Jahren stehengeblieben. Die Kohlenhandlung im Kiez ist ein Kommunikationsort, der von den liebenswerten Seiten und Nöten eines kleinen selbstbezogenen Völkchens erzählt, ein DDR-Mikrokosmos. Ob es solche unaktuellen, »überflüssigen« Filme, die sich allen Normen entziehen, in Zukunft noch geben wird?
Marli Feldvoss: Der selbstbewußte Blick zurück auf ein Traumgebilde
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.8.1990
Der Dokumentarfilm hat mit der Eingemeindung der DDR – wie andere Genres auch – wenig gewonnen, fast alles verloren. Das Erinnern an eine Filmsprache, die sich Arbeit als Liebe vorstellen mag, während sie Bedingungen voller Erniedrigung und schier sinnloser Plackerei begegnet, wird in Helke Misselwitz Filmen lebendig bleiben.
WER FÜRCHTET SICH SCHWARZEN MANN ist nicht nur ein fotografisch exzellenter Film über Berliner Kohlenträger. Es sind nicht die Apparate, es sind die Menschen, die blicken. Die Liebe zu ihnen erweist sich noch in jedem Korn der Emulsion. Gerade weil diese Dokumentation auch zu lesen ist als eine Beschreibung der Situation der Dokumentarfilmer in der ehemaligen DDR.
Die Fragen entstehen im Gespräch, das beide – Arbeiter und Filmemacherin – ganz füreinander öffnet. Die Distanz des Apparats bleibt gewahrt, aber seine Fremdheit und das Unverstandene an ihm schwinden fast ganz. Der Apparat gehört dazu, und so kann auch gefragt werden, wie Zärtlichkeit mit den rauhen Händen der Kohlenträger möglich ist, ohne in Sentimentalität oder in die Indiskretion journalistischer Provenienz zu verfallen. Ohne die Aufrichtigkeit der Dokumentarfilmerin entstünde nicht die genaue Beobachtung und nicht das Gespräch. Teilhabe und Dokumentation sind nicht einander entgegengesetzt, sondern nur die als Instrument der eigenen Aufrichtigkeit begriffene Distanz des Apparats ermöglicht ihren Zusammenschluß. Ohne sich mit ihnen gemein zu machen, hat Helke Misselwitz das Gemeinsame verstanden, das ihr Gespräch ermöglich. Denn beide, Filmerin und Belegschaft, geben einen Bericht von ihrer Arbeit.
In der engen Stube hocken die Arbeiter zusammen. Mit Helke Misselwitz lernen wir sie kennen. Die Physiognomie begleitet die Rede über ihre Qualität: skizzenhaft und genau. Es ist Realität und nicht bloß Ideologie der real existierenden sozialistischen Gesellschaft. Plan als tägliche Fron, Prämie als der Schoppen extra, Kollektiv als in Not gebundene Gemeinschaft. Und das ist weit weg von Sklaverei, von Hetze und Ausbeutung für abstrakte Werte. Die Qualität des Menschen ist seine Verläßlichkeit, nicht die Arbeitsnorm.
Helmut Krebs: Berliner Kohlenträger
Filmwärts, Nr. 19, 1991