Filmbericht über die europäische Antwort auf Woodstock: Im Juni 1970 trafen sich über 120.000 Fans bei einem Open-Air-Festival am Stadtrand von Rotterdam, die meisten zwischen 17 und 22 Jahre alt. Sie feierten drei Tage und Nächte voller Musik, Liebe, Freundschaft und Freiheit. Auf der Bühne standen Bands wie Pink Floyd, Jefferson Airplane und Santana.
»Sie tanzten im Rhythmus der Musik und freuten sich der Freiheit, der Freundschaft und der Liebe ...« »... am dritten Tag haben sie alle zusammen nackt gebadet.« »Wer nicht dabeisein konnte, erlebt es dann im Kino« (aus Pressematerial des Verleihs). Anlaß war ein spektakuläres Pop-Festival, das man, nach Woodstock-Vorbild, in der Nähe Rotterdams organisiert hatte; und wie WOODSTOCK oder noch schlimmer, verhindert dieser Film, daß man von der Musik etwas richtig hört oder erlebt. Man stelle sich vor: Man geht während eines Konzerts auf der Bühne umher, blickt dem Gitarristen auf die Finger, dem Schlagzeuger in die Ohren, dreht sich zum Publikum, wendet sich dann einem Scheinwerfer zu, sucht von dort aus das Profil eines Sängers zu entdecken, fliegt dazwischen mit einem Hubschrauber durch Wolken und über Tulpenfelder, jagt hinter ein paar nackt Badenden her, dann studiert man die Physiognomie des inzwischen noch mehr schwitzenden Sängers, und so geht das immer weiter! Wer könnte da noch behaupten, von der Musik viel gehört zu haben? Genauso hektisch und unkonzentriert fummelt aber die Kamera zwischen den Bands herum, die wahrscheinlich wirklich gut musizieren; dann werden noch ein paar erbärmlich übersetzte Interviews dazwischengeschnitten, und weitere Körperteile von Publikum und Interpreten, begleitet von den neuerdings zur Phrase degradierten Begriffen wie Friede, Freiheit, Liebe. Dabei wäre es doch nicht so schwer, über ein derartiges Ereignis einen aufmerksamen und aufrichtigen Bericht zu drehen.
G.P. [= (Hans) Günther Pflaum]: Love and Music
Film-Dienst, Nr. 22. 2.11.1971
Die Begriffspaare Liebe und Musik oder Liebe und Frieden werden heute kaum noch von den Veranstaltern eines Popmusik-Festivals zur Propagierung ihrer meist gewinnträchtigen Pop-Meetings verwendet. In der Nach-Woodstock-Ära hatten viele dieser Festivals einen bitteren Beigeschmack, denn nicht selten haben sich die freundlichen Slogans unversehens in die weniger betörende Devise von Haß und Gewalt verwandelt. Hansjürgen Pohland und sein Mit-Regisseur George Sluizer versuchen mit ihrer Dokumentation eines Popfestivals vom Juni 1970 bei Rotterdam, auf dem sich nach manchen Angaben 40.000, nach anderen Schätzungen 100.000 europäische Pop-Jünger versammelt hatten, auf einen Zug aufzuspringen, der längst abgefahren zu sein scheint. Constantin bringt diesen Film erst jetzt heraus, fast eineinhalb Jahre nachdem er gedreht wurde, und ein Jahr, nachdem der Film über das Woodstock-Festival in Deutschland Kasse machte. Er nimmt sich aus wie eine vergilbte Chronik aus vergangenen Zeiten. Da. wird noch einmal in Lyrismen geschwelgt, da werden Liebespaare am Wasser im Gegenlicht gezeigt und eine heile Pop-Welt beschworen, als wär’s ein Werbefilm für Jeans. Statt eines Hauchs von Analyse, statt eines Ansatzes von filmischer Berichterstattung bietet der Film in permanentem schematischem Wechsel die recht uninspiriert abgefilmten Auftritte von Gruppen wie Santana, Canned Heat, Jefferson Airplane, It’s a Beautyful Day, Pink Floyd. Dr. John the Night Tripper, Byrds, Family, T. Rex und Flock. Dann Bilder klatschender Fans mit fast ständig derselben Applaus-Schleife darunter, dazwischen ein paar wenig ergiebige Musiker-Statements und für Behaschte schnelle Kamera-Fahrten über Tulpenfelder oder hübsche Wolken im blauen Himmel. Mit ein paar Zwischentiteln versuchen die Dokumentaristen zu Beginn des Films Festival-Pathos zu verströmen wie in den seligen Woodstock-Zeiten. Doch die sind vorbei.
A.F.S.: Love and Music
Der Tagesspiegel, 16.11.1971
Jetzt hat auch Deutschland seinen »Woodstock«-Film: Hans-Jürgen Pohland ließ beim letztjährigen Rock-Festival in Rotterdam seine Kameras über holländische Tulpenfelder und Grachten, über badende Nackte, Liebende im Gegenlicht, über die bunte Menge der Zuschauer und schließlich auch über Rock-Musiker schweifen. Herausgekommen ist dabei nicht so sehr ein zweiter Aufguß von WOODSTOCK, sondern ein krampfhafter Versuch, die Ideologie von der völkerverbindenden Kraft der »open-air-festivals« in einer Zeit wiederzubeleben, in der alle Welt weiß, daß es so schön nun doch nicht war.
Pohland bemühte sich nicht, einen guten Musikfilm zu machen, sondern versuchte, eben diese Ideologie zu bebildern: Wenn da zum Beispiel die Band »It’s a beautiful Day« mit ihrer Musik gegen ein aufziehendes Wetter anspielt, oder die »Pink Floyd« mit ihren Sphärenklängen den Morgen begrüßen.
Musikalisch war’s bis auf drei Ausnahmen biedere spannungslose Hausmannskost, was da mit Kamera und Mikrophon eingefangen wurde. »Dr. John« und die »Jefferson Airplane« boten zumindest Abwechslung im Rockeintopf, den Pohland angerichtet hat. Die dritte Ausnahme war »Santana«, die life eine mitreißende Musik spielen.
Ewald Lutge: Love and Music
Spandauer Volksblatt, 14.11.1971
Ungefähr ein Jahr war seit Woodstock vergangen, als in Holland nahe Rotterdam im Juni 1970 ein dreitägiges Open-Air-Festival stattfand. Der Film, der dieses Ereignis dokumentierte, hieß zunächst LOVE AND MUSIC und wurde 1978 neu unter dem Titel ROCK-FIEBER herausgebracht. Krampfhaft zeigt sich der Film bemüht, aus diesem Festival ein europäisches Woodstock zu machen. Texteinblendungen sollen einen Eindruck geben, den die Bilder nicht zu vermitteln mögen: »Sie tanzten im Rhythmus der Musik und freuten sich der Freiheit, der Freundschaft und Liebe. Einige haben Hasch geraucht, andere lebten nach religiösen Riten. Niemand war aggressiv, es herrschte Toleranz und Frieden«: Aufnahmen von einigen Frauen mit nacktem Busen mußten sozusagen als Symbol der Freiheit herhalten. Der Kommentar: »Die künstlerischen Erlebnisse und die Natur regten sie dazu an, zu tun und zu lassen, was sie wollten. Am ersten und zweiten Tag schwammen sie noch mit Badebekleidung im See, am dritten Tag haben sie alle zusammen nackt gebadet.« Wow!
So wenig diese Texte geeignet waren, die Atmosphäre des Festivals zu beschreiben, so wenig gaben die Bilder etwas her. Da wurde geschwenkt und gezoomt, wobei sich nicht gerade selten Unschärfen einstellten. Bevorzugt werden Großaufnahmen von Gesichtern, Gitarren und Fingern gezeigt, jedoch sieht man sehr selten eine Totale, so daß es unmöglich ist, einen Gesamteindruck von dem Geschehen auf der Bühne zu bekommen. Verantwortlich für diesen hektischen Bildersalat, der jegliches Gefühl für Musik vermissen läßt, war Hans-Jürgen Pohland.
Aus: Jürgen Struck: Rock around the cinema.
Reinbek: Rowohlt 1985, S. 121f.