Fünfter Film der Langzeitdokumentation über Arbeiterinnen im Volkseigenen Betrieb für Obertrikotagen »Ernst Lück« in Wittstock an der Dosse. Aufnahmen aus den früheren Filmen werden mit neu gedrehtem Material montiert. So werden zehn Jahre Leben und Arbeiten in Wittstock dokumentiert. Im Betrieb arbeiten 80% Frauen, drei von ihnen stehen im Mittelpunkt der Dokumentation: Renate, die Älteste, kam als erfahrene Fachkraft nach Wittstock und wurde Leiterin der Jugendschicht. Edith hatte gerade ausgelernt und wurde als FDJ-Sekretärin in einer jungen unerfahrenen Belegschaft mit Anfangsschwierigkeiten konfrontiert. Elsbeth, genannt Stupsi, ist die jüngste der drei und macht sich Gedanken über ihre Zukunft, Partnerschaft und Familie. Alle drei erzählen offen von ihren Wünschen, Träumen und Hoffnungen, aber auch von ihrem Frust und Ärger auf der Arbeit, den Anforderungen, denen sie sich manchmal nicht gewachsen fühlen, und immer wieder ist da auch der Gedanke wegzugehen. Doch auch nach zehn Jahren sind sie noch im Betrieb und haben auf die eine oder andere Weise mit ihrem Schicksal Frieden geschlossen.
In vielen Jahren gab es große Entwicklungsprobleme des Betriebes. Noch zu geringe Qualifikation mancher Arbeiterin, Mängel in der Arbeitsorganisation, ein ungünstiges Betriebsklima und damit unentwickelte zwischenmenschliche Beziehungen. Ein neues Werk wuchs in einem tradierten ländlichen Gebiet. All das spiegelt sich im Leben der Mädchen und jungen Frauen vor der Kamera wider. Volker Koepp bestätigt eine längst gemachte Erfahrung, anschaulich und beeindruckend wird das erst an konkreten Lebensäußerungen, Schicksalen und Wegen. [...]
Am Ende sind die jungen Frauen, von denen erzählt wird, glücklich verheiratet, haben Kinder und schicke Wohnungen. Sie wirken dennoch auffallend reserviert. Entsprach das der Dramaturgie des Films? Was bedrückt sie? Ich hätte es gern gewußt.
Klaus Hannuschka: Wittstocker Lebenswege
Märkische Volkstimme, 13.2.1985
Volker Koepp »verfolgte« drei von denen, die blieben – Stupsi, Renate, Edith –, die arbeiteten, sich ärgerten, resignierten, schimpften, kritisierten, sich herumschlugen mit Schwierigkeiten, Dummheiten, mit Männern ... Aber sie blieben. War das Zufall, bloß Glück, daß die Filmleute gleich am Anfang einen so »guten Griff« getan hatten? Wem man begegnet, das hängt immer auch davon ab, wen und wie man sucht. Suche nach Menschen, Interesse und Faszination, Auswahl, Antrag, Vertrauen, Partnerschaft – es ist schon etwas Eigenartiges um diese Intimbeziehung zwischen denen hinter und denen vor der Kamera ... Dieser fünfte – und erklärtermaßen letzte – Film vom LEBEN IN WITTSTOCK ist deswegen so vital, informativ, sinnlich, weil er nicht nur erzählt, was er zeigt, was und wie geredet wird (und das ist schon erstaunlich viel!), sondern auch, was zehn Jahre menschlicher Beziehung, Voneinander-Wissen, Miteinandersein, großer Offenheit und auch wieder bewußter, entschiedener Verschlossenheit für alle Beteiligten bedeuten und dem außenstehenden Zuschauer mitteilen können. Der Film ist voller Unter- und Zwischentöne, Schwingungen, unmerklicher Veränderungen in Haltung, Emotion, Äußerung. Und das bei immer gewahrter Distanz, die keine Grenzüberschreitung ins plump Vertrauliche und nur Private gestattet, eine Distanz, die die künstlerische Form jenes Takts und Respekts ist, ohne die Dokumentarfilm als Kunst verkommen würde. [...]
Der Rhythmus der fünfundachtzig Minuten über Leben in Wittstock wird von einer klugen Struktur der Zäsuren zwischen den Passagen der drei Frauen und »der Stadt«, ihrer Geschichte, ihrer Landschaft bestimmt: Dramatik und Ruhe, Enge und Weite, Spannung und Ausatmen ... Plötzlich kommen diese Menschen, ihre Probleme, unsere tägliche Geschichte, auch von weit her, stehen in weitem Umfeld und lassen Zusammenhänge assoziieren, von denen verbal nie die Rede ist ... Am Ende erzählt der Film eine bestimmte Form des Angekommenseins, die für viele Menschen, Projekte, Orte und Dinge in diesem »Moment« ihrer und unserer Entwicklung als Ziel, Ergebnis und Glück empfunden wird und typisch ist.
Klaus Wischnewski: Zäsuren – Noch einmal zu »Leben in Wittstock«