Reflexion über die Geschichte des Volkswagen-Konzerns und den Bau der Autos als Abgesang auf das Industriezeitalter: Der Essay-Film verfolgt die Ursprünge des Unternehmens als Rüstungsbetrieb bis zum erfolgreichen Großkonzern der Bundesrepublik. Er dokumentiert die Stufen der Produktion des Golf II von der Entwicklungsabteilung über das Blechlager und die Montage bis zur Auslieferung der Autos. Er zeigt dabei den Arbeiter am Fließband und seine zunehmende Entfremdung von der Arbeit: Eingebettet in den maschinellen Prozess der Massenproduktion, wird der Großteil der Fertigung von Robotern erledigt. Die Arbeit, und damit der Mensch, verschwindet immer mehr aus der Produktion. Auch die Entwicklung und Geschichte der Stadt Wolfsburg wird beleuchtet, 1938 als »Stadt des KdF-Wagens« konzipiert und immer eng mit dem Entstehen des VW-Konzerns verbunden. Der Film gilt nach DEUTSCHLANDBILDER (1982/83) und REICHSAUTOBAHN (1984-86) als dritter Teil von Hartmut Bitomskys »Deutschland-Trilogie«.
Beim Ansehen seiner früheren Filme DEUTSCHLANDBILDER und REICHSAUTOBAHN haben wir Bitomsky eingestehen müssen, wie verführerisch Nazipropaganda immer noch ist. DER VW-KOMPLEX bietet eine sehr viel gegenwärtigere und mächtigere Ideologie an: das Wort von der »Arbeitsersparnis«, gebraucht in einem positiven Sinn. Wer sich für immun gegen dieses Klischee hält, sollte seine Standhaftigkeit an Axel Blocks fabelhaften 35mm-Farbaufnahmen der vollautomatischen Fließbänder erproben. Es fällt schwer, diese Bilder nicht auffallend schön zu finden. So viele Künstler haben uns gelehrt, die Regelmäßigkeit von Formen, die Perspektiven bewegter Teile und klare Linien zu lieben. Die wiederkehrenden Sequenzen solcher Aufnahmen zeigen dem Betrachter die ungeheure ästhetische Macht, die die Technik im späten 20. Jahrhundert ausübt.
Obwohl DER VW-KOMPLEX die Herstellung von Autos vom gewalzten Blech bis zum fertigen Produkt verfolgt, wirkt der Film nicht wie eine Erzählung oder ein Essay, eher wie ein Gedicht. Formulierungen wie »Man lebt auf Abstand« spielen darauf an, wie stark unser Raumempfinden schon vom Leben mit dem Automobil geprägt wird. Film ist eine Zeitkunst; Gedanken kommen und gehen sehr schnell, und wie bei einer Dichterlesung muß man gut hinhören, um kein Leitmotiv zu verpassen. Daß Poesie im Westen des späten 20. Jahrhunderts keine Massenkunst ist, dafür können die guten Poeten des Kinos nichts, wie Bitomsky einer ist.
Wenn DER VW-KOMPLEX denn ein Gedicht ist, dann eine Elegie, ein Abgesang auf das Industriezeitalter. Ohne Sehnsucht nach der Ausbeutung früherer Tage deutet Bitomsky an, daß die Zukunft der Arbeitenden ebenfalls nicht ohne Leiden sein wird. Ein Arbeiter, bereits einmal arbeitslos und umgeschult, macht sich Sorgen, daß die Herstellung einer nächsten Generation von Automobilen keiner menschlichen Handreichung mehr bedürfen könnte. Was werden Leute wie er dann machen?
Karen Rosenberg: Doppelmoppel und Doppelkopf
Zitty (Berlin), Nr. 9/ 1990
(Aus dem Amerikanischen von Martin Koerber.)
Ein Mensch in einem Schutzanzug lackiert das Auto mit der Spritzpistole. Dazu Bitomsky: »Schutzmasken sind bei der Arbeit hinderlich. Sie engen die Bewegungsfreiheit ein. Es ist auch unwürdig, bei der Arbeit eine Maske zu tragen. Eine Maske verleugnet den, der sie trägt, und es ist schlimm, wenn man sich vor einer Arbeit, die man macht, schützen muß.« Das ist ein Text, der Bilder erst weckt (etwa an Atomarbeiter), nicht aber ein Text, der mit der Konkretion des dazu vorgezeigten Bildes korrespondiert. Weder mag man unterstellen, Bitomsky wolle dem Arbeiter die Lackiererei ohne Maske zumuten, noch mag man in den Sätzen eine Aufforderung zur Rationalisierung lesen. Vielleicht wäre die Anschauung, die hinter solchen Sätzen steht, mit Melancholie zu beschreiben. Melancholie als ein Bewußtsein, das einerseits auf eine Utopie verweist und andererseits auf eine Entfremdung. So wie eben jene Sätze über den Arbeiter in der Lackiererei eine andere, bessere, befreite, utopische Arbeit denken lassen, aber auch sagen, daß genau dieser Mann an genau jener Maschine Bitomsky so eigentlich nicht interessiert.
Ähnlich wie mit den Texten geht es mit den Bildern. Sie sind als Bilder ganz stark gewollt – nicht umsonst hat Bitomsky auf 35 mm gedreht –, fast nichts haftet ihnen an vom üblichen dokumentarischen Gestus des Grobkörnigen und Verwackelten, von der Zufälligkeit eines Blicks. Und genau darin – und das ist die Gefahr, in der Bitomskys Film sich befindet – ähneln sie den zitierten Bildern aus den Wochenschauen ebenso wie den vom Regisseur im Film selbst vorgezeigten Bildern jenes Fotografen, der die gestapelten Karosserieteile wie Muscheln sah. Vom ästhetischen Faszinosum der blanken Maschinerie ist auch Bitomskys Film nicht frei. Problematisch ist aber nicht nur Bitomskys Blick, sondern es ist generell ein Problem, in Fabriken Bilder zu finden, die Arbeit noch bedeuten können. Denn natürlich ist das Problem der Bilder von Arbeit auch eines der Arbeitswirklichkeit. Und was soll man zeigen, wenn nichts mehr sichtbar ist, wenn Roboter schweißen und schrauben und Walzwerke per Knopfdruck gesteuert werden?
Eva Hohenberger: Der VW-Komplex
Film-Dienst, Nr. 20, 2.10.1990
Die Geschichte des Volkswagens machte nur den kleineren Teil von Hartmut Bitomskys Dokumentarfilm #Der VW-Komplex# aus. Aber gerade jetzt fällt sie auf, weckt Assoziationen. Auch ist der Volkswagen nicht der eigentliche Gegenstand des Films. Er ist nur das Synonym für eine Massengesellschaft, in der kein Platz mehr ist für Eigenart und Individualität, weder beim Auto noch beim Menschen. Über neunzig Minuten wandert Hartmut Bitomsky durch die Fabrikhallen in Wolfsburg, von den Tiefziehpressen zum Karossenregal, vom Umsetzer zum Motorprüfstand, vom Design-Center zum EDV-Leitstand, dem »Himmel der Produktion«. Es ist eine Suche nach den verlorenen Individualitäten. Hartmut Bitornsky sucht sie beim Auto, um dahinter die des Menschen zu finden. Aber es ist eine verzweifelte, hoffnungslose Suche, denn die Masse bestimmt die Produktion und das Leben in der Fabrik. Alles ist gleich und gehorcht dem Gesetz der Serie. Anders geht es auch nicht, denn wer das Auto für alle will, der muß auch computergesteuerte Fertigungsstraßen wollen. Und die sind stur, erlauben keine Sonderwünsche. Nur die Farbe wechselt. Nach dem Rohbau kommt die Karosserie zur »Taufe«: mit einer kleinen Karte wird festgelegt, welcher Wagentyp aus dem Blechstück einmal werden soll. Individualität als binärer Code. Wie das Auto, so der Mensch?
Aber Hartmut Bitomsky findet auch keine Menschen. Der Computer hat sie entbehrlich gemacht. Roboter, abgeschotet hinter Sicherheitsgittern, setzen in sechsunddreißig Stunden ein komplettes Auto zusammen, jede Minute verlassen drei neue Wagen die Endmontage. Präzisionsarbeit. Mit hoffnungsvoller Genugtuung wird registriert, wenn die Maschine einmal klemmt. Dann muß doch der Mensch seine Hand anlegen. Aber ist das Arbeit? Vielleicht. Aber jeder kann sie machen, eine besondere Ausbildung ist nicht notwendig, es ist keine besondere, keine eigene Arbeit. Der Mensch wird nicht nur entbehrlich, sondern auch austauschbar. »Es verschwinden nicht nur die Arbeitsplätze, es verschwindet die Arbeit selbst« heißt es am Ende, und, so wäre zu ergänzen, damit auch der Mensch.
Christian Detig: Wagen ohne Volk
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.1.1991