Ein Porträt des Filmmachers und RAF-Terroristen Holger Meins, zusammengestellt aus Archivmaterial und Gesprächen mit Freunden, Kommilitonen, dem Vater und dem BKA- Ermittler. Meins wird beschrieben als feinfühliger Künstler, Maler und Filmstudent, der sich in den Studentenprotesten der 1960er gegen Vietnamkrieg, Schah und Axel Springer engagiert. Er wird Mitglied der Kommune 1 und schließt sich später der Baader-Meinhof-Gruppe an. Dort erhält er den Decknamen Starbuck, nach dem Steuermann aus Herman Melvilles »Moby Dick«. 1972 wird er in Frankfurt nach einer Schießerei zusammen mit Andreas Baader verhaftet. 1974 stirbt er in der Untersuchungshaft im Alter von 33 Jahren im Hungerstreik.
Ausgerechnet der Kriminalkommissar, der Meins wegen seiner [...] Mitgliedschaft in der RAF verhaftete, verweist auf den Decknamen, der Meins von Gudrun Ensslin zugedacht wurde. Starbuck sollte Meins heißen, gleich dem besonnenen Steuermann der Pequod, der in Herman Melvilles Roman Moby Dick vergeblich versucht, den Hass seines Kapitäns in ruhigere Gewässer zu lenken. Ahabs obsessiver Kampf gegen den weißen Wal, den der belesene Kriminalkommissar nicht von ungefähr mit dem Kampf gegen den »Leviathan Staat« vergleicht, endet mit dem Untergang des Walfängers und seiner Mannschaft.
War Holger Meins dazu auserkoren, dem Selbstvernichtungswahn der RAF entgegenzusteuern? Conradts ruhiger, sorgfältig recherchierter Film bewahrt sich auch auf dem umstrittensten Gebiet den Horizont der Ambivalenz. Ob der RAF-Terrorist einen Opfertod anstrebte, wie es ihm Polizei und Politik unterstellte, oder seinem Hungerstreik mut- und böswillig nachgeholfen wurde, bleibt offen.
Zwischen den Meinungsfronten liegt der Raum, der Holger Meins Vater vorbehalten ist. In diesem Raum sind Trauer und Empörung sicher vor den Nachstellungen einer Welt, die noch das Grab des verhungerten Isolationshäftlings zu schänden versuchte. Wilhelm Julius Meins, beeindruckender in seiner unverbrüchlichen Liebe zum Sohn als die gewandtesten Aussagen über den verloren gegangenen Sohn der Filmkunst, hat das Grab mit einer Betonplatte versiegeln lassen. Die Wahrheit über die Verletzungen, die sein Sohn nach der Verhaftung in Polizeigewahrsam erlitt, hat der einsame alte Herr nicht mitbegraben. Wer immer glaubt, es müsse solch ein Porträt doch eindeutiger auf die Schuld des Porträtierten eingehen, dem sei hier ein Blick in Wilhelm Julius Meins Gesicht empfohlen. Viele hätten ihre Gefühle, einmal zum Zeugen dafür aufgerufen, dass der Sohn, sich doch, bitteschön, für den Hungertod entschlossen habe, gleich mit unter die Betondecke gelegt. Nicht so Wilhelm Julius Meins. In seinem Gesicht halten sich die Schuld des Sohnes und die Schuld des Staates die Waage.
Heike Kühn: Kampf mit dem Wal
Frankfurter Rundschau, 25.5.2002
Man errät leicht, daß Gerd Conradt kein unbefangener Jungfilmer ist. Er war einer der Kommilitonen von Meins im ersten Jahrgang der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin 1966, und er gehörte auch zu den achtzehn Studenten, die zwei Jahre später wegen ihrer politischen Agitation exmatrikuliert wurden. In dieser selten gewordenen Nähe des Autors zu seinem Gegenstand liegt die Stärke des Films ebenso wie seine Schwäche. Als gebannter Archivar dieser Epoche verfügt er über unbekanntes und sehr sprechendes Material: politische und unpolitische Filme von Holger Meins, Auftritte als Agitator und Schauspieler, Gespräche mit dem Vater, der seinem Sohn unverbrüchlich die Treue hielt. Manches beiläufige »Du weißt ja« aus dem Mund der Interviewten verrät ihre Erleichterung darüber, ohne Vorrede erzählen zu können. In manchen Momenten blitzt die Fratze auf, die Holger Meins gesehen haben muß, als er im Staat seinen Todfeind erkannte: wenn der rheinland-pfälzische Justizminister in gedrechseltem Amtsdeutsch ausführt, wie es sein konnte, daß Meins trotz Zwangsernährung starb, wenn die SPD-Abgeordneten Beifall klatschen zu Helmut Schmidts zynischer Bemerkung, ein Untersuchungsgefängnis sei kein Erholungsheim.
Gerd Conradt, der sich heute auf Steiner, Freud und die Bibel beruft, hält den Film von Wertungen frei – anders als das obskure Begleitheft, wo von der »Ermordung« der Terroristin Petra Schelm durch die Polizei, vom »angeblichen« Selbstmord von Ulrike Meinhof und vom »früheren NS-Offizier« Hanns-Martin Schleyer gesprochen wird. Doch seine Fokussierung des Künstlers läßt das Gesamtbild unscharf werden. Zum Beispiel war Holger Meins besessen von Waffen. Noch mehr als Andreas Baader soll er damit herumgefuchtelt und selbst Helfer bedroht haben. Weiß man das, ist es aufschlußreich, aus dem Film zu erfahren, daß er auch die Kamera benutzte, um Distanz herzustellen und Kontrolle auszuüben. Weiß man es nicht, behält man nur die Platitüde im Ohr, Meins habe die Kamera gegen die Waffe eingetauscht.
Diese Verdruckstheit im Umgang mit den zentralen Punkten macht den Porträtierten zu einem Chamäleon, das mehr über seine Umgebung als über sich selbst offenbart. Conradt tappt noch in dem Niemandsland, das sich auftat, als es in der radikalen Linken nur noch Problem oder Lösung, Schwein oder Genosse gab. Er vergibt die Chance, heute, am Ende der Dichotomien, den Kreis zu schließen, der von der Kunst über den Terror zurück zur Kunst führen könnte. Ihm genügt die Rolle eines Verwandten im Geiste, der kopfschüttelnd ausruft: »Aber er war doch so begabt.« Eine Generation früher hätte er damit Aufsehen erregt. Heute ist sein Film das, was die RAF sicher nicht ist: merkwürdiges Relikt einer vergangenen Zeit.
Michael Allmaier: Aber er war doch so begabt!
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.5.2002