Septemberweizen ist ein Begriff aus der Warentermin-Spekulation und bezeichnet einen im September fälligen Weizenkontrakt, den »Papierweizen«. In sieben Kapiteln (Winterweizen, Hybridweizen, Kassaweizen, Papierweizen, Brotweizen, Blutweizen, Hungerweizen) betrachtet der essayistische Film die (amerikanische) Weizen-Produktion und -Vermarktung und stellt sie in einen Zusammenhang mit weltweiten Hungersnöten und kriegerischen Konflikten. Als Verbindung zwischen den Kapiteln dient die Legende um Josef, dem Ernährer, der als einer der ersten Weizenspekulanten präsentiert wird. Der Film hat bis heute nichts an seiner Aktualität verloren.
SEPTEMBERWEIZEN [gewinnt] seine Brisanz aus einer gänzlich fernsehunüblichen formalen Gestaltung. Praktisch jede Aussage wird aus dem Originalmaterial von Ton und Bild entwickelt, keine Sequenz bedurfte einer zusätzlichen Kommentierung durch den Autor. Die Aufteilung des Films in sieben Kapitel läßt den Ablauf des Geschehens immer wieder innehalten, es gibt Ruhepausen, die zur Reflexion des Gesehenen herausfordern.
Aus der ungeheuren Fülle von Material, das Peter Krieg zusammengetragen hat, gewinnt der Film eine innere Spannung, die man bei seinem vergleichsweise trockenen Thema kaum erwartet hätte. Dazu trägt auch eine Musik bei, die die Stimmung der Bilder und Situationen nicht bloß unterstreicht: Vielmehr hat Komponist Rolf Riehm eine Art Kommentar in Noten geschrieben und so sein erklärtes Ziel, an die Filmmusiken eines Hanns Eisler anzuknüpfen, erreicht. Erfreulicherweise hat Peter Krieg nicht den Fehler gemacht, bei ihrem Einsatz zu übertreiben. Im Gegenteil: Die Tonspur ist so sorgsam aufgebaut wie die Montagezusammenhänge bei den Bildern.
SEPTEMBERWEIZEN ist der Glücksfall eines Dokumentarfilms, der so gar nichts zu tun hat mit der allzu oft gänzlich unsinnlichen Vorgehensweise anderer bundesdeutscher Dokumentaristen, die ihre Themen eher beiläufig bebildern und Erklärungen nur noch auf der Tonspur bereithalten. Auch Peter Krieg hat früher ähnliche Filme gedreht. Darum sieht er seine neue Arbeit auch als Experiment, mit dessen Ergebnis er bei einigen seiner Kollegen auf Verständnislosigkeit stoßen könnte.
Uwe Künzel: Weizen als Waffe
Badische Zeitung, 19.6.1980
Krieg gehört zu den kostbaren Ausnahmen, die erkannt haben, daß moralische Vorhaltungen gegen Eigennutzinteressen nicht durchschlagen. Also beschränkt er sich auf minuziöses Ermitteln und Übermitteln von Fakten und Zusammenhängen, auf Vergleichen und Deuten. Das Ergebnis ist dabei nie Rezeptbuch, nie Lehrmaterial. Vom Lehrstück Brechtscher Prägung unterscheiden sich die Filme Kriegs: daß es der Moral des Publikums überlassen bleibt, die Moral aus der Geschicht zu ziehen. Er verordnet sie nicht, drängt nur auf Konsequenzen.[...]
SEPTEMBERWEIZEN war ein Film, der durch seine sorgfältige Materialauswahl und -reihung betroffen machte und der wohl zum Besten gehört, was in zwei Dekaden selbstgerecht lärmender Entwicklungspublizistik zu sehen war. Wem es ernst mit einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung ist, der sollte den Film nicht nur zur Pflichtunterlage der Jugend- und Erwachsenenbildung machen, sondern ihn zur Hauptsendezeit wiederholen.
Henrich von Nussbaum: Wohldosierte Schreckensbilanz
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.6.1980
Die Bezeichnung »Kleines Fernsehspiel« des ZDF traf wieder mal nicht zu. Der Kamerafilm SEPTEMBERWEIZEN von Peter Krieg bestand aus einer Aneinanderreihung von Interviews, Dokumentarfotos und Filmstreifen, die zum Teil recht ausgefallen waren. (Was hat ein Raketenstart mit dem Weizentermingeschäft zu tun?) Die sieben »Akte« bestanden aus unbestimmten Fakten und Akten, doch nicht aus Handlung und Spiel. Zeit und Ort spielten keine Rolle. Da wurden Radiomeldungen von irgendwann durchgegeben. Da wurde irgendwo auf einer Farm geerntet oder versteigert. Sicher: nette und abwechslungsvolle Bilder, und der Mähdrescher im Flimmerlicht tuckerte das heisere Stimmengebell der Börse. Doch wer noch nicht etwas von »Warentermingeschäften« gehört hat, dem blieben sie ein spanisches Dorf. Ein experimenteller Film? Aneinandergeklebte Fotos vor der Linse abzuspulen, mag originell sein, aber nicht nachahmenswert. Es gab zu viel Spreu im Weizen.
hew: Ein Experiment?
Schwarzwälder Bote, 21.6.1980
In diesem kommentarlosen Dokumentarfilm steckt der ganze Sprengstoff eines Agrar-Katastrophenthrillers: Was einst als das Höchste galt im Lesebuch des ehrfürchtig dankbaren Kindes – der säende Bauer, der im Märzen die Rößlein einspannt, die Ähre, das Korn, das Brot –, das ist heute Wirtschafts-Kalkül, Mähdrescher-Strategie und Sprühmittel-Bilanz, ist amerikanische Weizen-Industrie, Erntemanipulation und Giftskandal. Wer Peter Kriegs und Heide Knotts gewaltige Montage aus Weizen-Überproduktion und Hungerelend nicht im Spätprogramm des Fernsehens sah, kann das nachholen: Täglich um 20.30 Uhr im Werkstattkino.
Ponkie: Septemberweizen
Abendzeitung (München), 20.10.1980
Nicht alles ist Peter Krieg geglückt. Manche seiner Aussagen sind kaum überprüfbar, oft fehlt eine Bezugszahl zur richtigen Beurteilung einer Angabe. Manche Aufnahmen sind zu demagogisch: Wenn zum Beispiel zu Beginn des Films die großen Mähdrescher wie Panzer fotografiert sind. Aber das sind Details.
Gravierender könnte sein, daß die Überfülle der Information kaum zu verarbeiten ist. Ich glaube aber, es geht gar nicht darum, sich alles zu merken, was der Film an Material vor einem ausbreitet, es geht darum, den Mechanismus zu erkennen, wie der Weizen als Mittel der Politik, der Innen- und Außenpolitik eingesetzt wird. Man wird nach SEPTEMBERWEIZEN die Wirtschaftsnachrichten in der Zeitung anders lesen.
Wilhelm Roth: Ein Nährmittel für Politik
Spandauer Volksblatt, 6.1.1981
Alle die zahlreichen Angaben, die in diesem Film gemacht werden, stammen aus offiziellen Quellen. Man muß sie nur sammeln, bündeln und in den richtigen Zusammenhang stellen. Das tat der westdeutsche Dokumentarist auf hervorragende Weise und bestückte sie mit zwingenden Bildern. Imperialismus in Reinkultur, nach innen und nach außen, menschenfeindlich, gefährlich, lebens- und friedensbedrohend – der Film liefert eine klare Analyse mit unwiderlegbaren Beweisen.
Günther Maschuff: Hunger als Mittel der politischen Erpressung
Die Wahrheit, 7.1.1981
Es ist dem Film durch seine eindringliche Dokumentation, die das Schema konventioneller Lehrhaftigkeit oder agitatorischer Penetranz durchbricht, gelungen, ein sperriges ökonomisches Thema packend aufzubereiten und an das kritische Bewußtsein der Zuschauer zu appellieren am Beispiel jenes Nahrungsmittels, das sich wie kein anderes mit dem Hunger in der Welt assoziativ verbindet. Dieser Informationswert auf der Grundlage detailliert vorgelegter Fakten ist hoch anzuschlagen und aktuell in einer Zeit, in der das Unbehagen am Wirtschaftssystem der westlichen Industrieländer mit ihrem Wachstumsmythos und der gestörten Balance zwischen Nutzen und Schaden, Überfluß und Hunger, technischem Fortschritt und Enthumanisierung der Arbeitswelt unter den verschiedensten Aspekten kritisch reflektiert wird: ökologischen, politischen, sozialen und nicht zuletzt christlichen im Blick auf den Auftrag der Kirchen in der Welt und ihre Glaubwürdigkeit. Freilich hat dieser Informationsgehalt Schwachstellen zu Lasten eines stärker differenzierten Problembewußtseins, denn der Film nimmt so gut wie keine Notiz von den positiven Aspekten des von ihm angeprangerten Wirtschaftssystems – eine indirekte Anprangerung ohne Schelte durch gezielte Materialauswahl und ihre Montage – wie von der Notwendigkeit des technischen Fortschritts, nicht nur um den Wohlstand, sondern schon das Existenzminimum auf der übervölkerten Erde überhaupt zu ermöglichen. Der Laie, dem die komplizierten nationalen und internationalen Interessenverflechtungen des Weltmarktes weithin undurchschaubar bleiben (müssen), kann allzu leicht den Eindruck gewinnen, daß nur Gewinnsucht und -maximierung, Korruption und Manipulation Ursache der gezeigten Mißstände sind und nicht auch ein überaus schwer aufzulösendes Problembündel komplexer Zusammenhänge, für die es (noch?) keine Lösungen gibt. Systeme, die die westliche Marktwirtschaft verteufeln wie die Sowjetunion, scheitern trotz günstiger Agrarvoraussetzungen schon am Unvermögen eigener Bedarfsdeckung, so daß sie von Einfuhren und ihren politischen Konsequenzen abhängig sind. Es fehlt weitgehend das Instrumentarium, um den verschiedenen Zwängen zu entgehen, die in jedem Wirtschaftssystem stecken.
Paula Linhart: Septemberweizen
Film-Dienst, Nr. 3, 10.2.1981
Die Finanzierung des Films wurde von fast allen Sendeanstalten mindestens einmal abgelehnt. Vom WDR wurde der Film allenfalls a1s 45-Min-Feature mitfinanziert, nicht aber als Dokumentarfilm. Denn beim WDR darf dokumentarisch nur genannt werden, was sich an sog. objektive Oberflächenbeschreibung hält, nicht aber ein 90 Min. Film, der mit den Elementen der Collage, der Fiktion, der Kommentierung durch Fremdtexte arbeitet. Das ZDF beteiligte sich mit 100.000 Mark, indem es den Film als experimentell kategorisierte, dem Macher freie Hand ließ und sein Produkt als politisch noch vertretbar zur dafür üblichen Sendezeit ausstrahlte.
60.000 Mark kamen vom Filmförderungsprogramm der evangelischen Bildungsarbeit, 300 Dollar stiftete die amerikanische Church of Bretheren, die bei den Dreharbeiten den Film als unterstützungswert erkannte. Der Rest der 250.000 Mark Gesamtkosten wurde von P. Krieg privat vorfinanziert, nach dem Prinzip Selbstausbeutung und Banküberzug.
N.N.: Mythos und Film
Die Tageszeitung, 11.2.1981
Als in den 80er-Jahren auch in unseren Breitengraden Alternativ-und Bioläden langsam Furore machten, da hing das Plakat zu diesem Film dort nicht selten an den Wänden. Nun kommt Peter Kriegs mehrfach prämierter SEPTEMBERWEIZEN wieder in die österreichischen Kinos. Ein globalisierungskritischer Dokumentarfilm, vor der Prägung dieses Begriffs 1980 im Rahmen des Kleinen Fernsehspiels realisiert, der weder inhaltlich noch argumentativ an Aktualität eingebüßt hat. Ausgehend von den USA – und den sprichwörtlichen goldgelben Weizenfeldern des Mittelwestens – unternimmt Krieg eine umfassende Recherche in Sachen Nahrungsmittelindustrie. Ins Blickfeld von Kriegs kämpferischer Analyse rücken dabei – in thematisch gebündelten Abschnitten – unter anderem die Umstrukturierung der US-Landwirtschaft, die Veränderung des Saatguts (Stichwort: Hybridweizen), die weiterverarbeitenden Industrien, die Pestizidentwickler etc. Immer noch und immer wieder sehenswert.
irr: Brot für die Welt
Der Standard (Wien), 18.10.2007