Die Phrix-Chemiefaserwerke, bestehend aus vier Einzelwerken, werden 1967 von der BASF, dann 1969 zur Hälfte von einem amerikanischen Konzern übernommen. Im August 1970 wird bekannt, dass große Teile stillgelegt werden. Das Werk in Krefeld soll vollständig geschlossen, alle 2.100 Beschäftigten entlassen werden. Es ist die erste Massenentlassung in der Bundesrepublik. Arbeiter hissen schwarze Fahnen auf dem Dach der Fabrik. Der Film begleitet vier Mitarbeiter und ihre Familien über einen Zeitraum von fünf Monaten im Alltag, beim Arbeitsamt und in Gesprächen miteinander, bis zur Schließung des Werks. Er dokumentiert ihre Ängste und Nöte, kontrastiert ihre Existenzsorgen mit Aussagen der Konzernleitung, und zeigt auf, wie sie sich mit ihrer Lage auseinandersetzen und ein politisches Bewusstsein entwickeln. Ein Protestlied des Sängers Dieter Süverkrüp musste bei der Fernsehausstrahlung in der ARD aus dem Film entfernt werden. Cinefest zeigt die unzensierte Version.
Eine Chance wurde vergeben; die Agitation behielt das letzte Wort. Am Beispiel der Stillegung der Krefelder Phrix-Werke hätte das Fernsehen zeigen können, in welchem Umfange das Schicksal von deutschen Unternehmen und ihren Mitarbeitern von internationalen Branchenbewegungen bestimmt werden kann. Es ist nämlich schlichtweg falsch, wenn argumentiert wird, die Phrix-Werke seien geschlossen worden, weil »denen da oben« die Gewinne nicht mehr ausgereicht hätten. Es fällt kein Wort der Erklärung, wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist, wie die weltweiten Überkapazitäten am Fasermarkt und die Fehlentscheidungen im Hinblick auf Investitionen und Marktstrategie in der Ära Zahn schließlich zu einer Situation geführt haben, in der es nur noch die Alternative zwischen Schließung oder jahrelangem Weiterschleppen mit Verlusten gegeben hat.
Nach der Schlußapotheose des »dokumentarischen Fernsehspiels« für die erweiterte Mitbestimmung und die Solidarisierung aller Arbeitnehmer in den festen Armen der Gewerkschaften bleibt die drängende Frage, wie sich die Autoren Theo Gallehr und Rudolf Schübel und die für diese Sendungen zuständigen Redakteure von Radio Bremen eine Anpassung der Wirtschaft an Strukturveränderungen, mit der in Zukunft in erheblichem Umfange gerechnet werden muß, vorstellen. Auch eine mitbestimmte oder gar sozialisierte Industrie käme nicht um die gleichen Probleme herum, die sich aus der Stillegung von Unternehmen und Unternehmensteilen ergeben, die im internationalen Wettbewerb nicht mehr mithalten können. [...]
Die Autoren und die IG Metall haben dagegen protestiert, daß die zweite Strophe des Protestliedes von Dieter Süverkrüp nicht gesendet worden ist. Die Industrie sollte dagegen protestieren, daß in einem Sozialfeature mit persönlichen Schicksalen und halben Wahrheiten Klassenkampfstimmung gemacht wird. Sie sollte allerdings auch bereit sein, ihre erste Garnitur in diese Diskussion zu schicken und nicht Repräsentanten, deren Verdienste zwar unbestritten sind, deren Auftreten in der Diskussion aber geeignet ist, das Klischee vom Kapitalisten zu untermauern.
Ernst Koch: Viel Agitation, wenig Argument
Die Welt, 16.12.1971
Das Ziel war offensichtlich, mit Äußerungen von vier Betroffenen, die aus der persönlichen schwierigen Situation heraus ohne Mühe zu bitteren Bemerkungen zu bewegen waren, Angriffe auf das gesamte freie Wirtschaftssystem zu führen. Doch weder wurde eine auch nur einigermaßen ausreichende Darstellung aller Hilfsmaßnahmen im speziellen Fall (10 Millionen DM für 2100 Beschäftigte) gegeben, noch wurden die Zuschauer über das recht engmaschige Netz unterrichtet, das bei Betriebsstillegungen generell für Arbeitnehmer aufgespannt ist. [...]
Hier wurde nicht berichtet, sondern inszeniert.
Vr. [= Ernst Günter Vetter]: Rot gesehen
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.1971
Ein humaner und bewegender Film, auf Antithesen abgestellt (die Unternehmer sagen: Es ist für alle gesorgt, die Werktätigen bekommen zu spüren: Wer alt und krank ist, hat keine Chance), indirekt aufklärend (Zielpunkt: die erweiterte Mitbestimmung), auf Agitation und sozialistische Kommentierung verzichtend (Zielpunkt: die Selbst- und Alleinbestimmung der Arbeitenden).
Keine Rede also davon, daß etwa, in knappen Schriftwechsel-Thesen, das Bewußtsein der Sprechenden als notwendig falsch dargestellt worden wäre; keine Rede auch davon, daß die Dialektik von subjektiver Vorstellung und objektivem Interesse sich in kurzen Interpretationen dargestellt hätte; keine Rede schließlich davon, daß durch eine generalisierende Tendenz im vorhinein das Mißverständnis ausgeräumt worden wäre, die Phrix-Affäre sei ein Einzelfall, der, verursacht durch eine besonders törichte Unternehmenspolitik, die Theorie von der Sozialpartnerschaft zwischen der Arbeit und dem Kapital nicht berühre: ein paar zielstrebige Manager, das Herz auf dem rechten Fleck, statt des im Film gezeigten kapitalistischen Chargendarstellers, der unter Chancengleichheit die Identität von ideellem Aufsichtsratleid und materiellen Arbeiterverlusten verstand – und alles ist gut!
Ein eher leiser (die Ohnmacht der Kreatur demonstrierender) als lauter (zum Kampf aufrufender) Film, dessen Tendenz syndikalistisch war, nicht mehr, und den eher nachdenkliche Fragen als schrille Thesen akzentuierten ... dieser Film wurde zensuriert, weil an seinem Ende der Liedersänger Süverkrüp die Phrix-Geschädigten aufrief, solidarisch zu handeln ... und ein solcher Song – während der Stillegung entstanden, nicht hinzugefügt! – war im Rahmen des zum »dokumentarischen Fernsehspiel« heruntergespielten Films offenbar zu dokumentarisch. Statt dessen wurde den Schlußbildern der leeren Werkhallen eine Protesterklärung der Autoren unterlegt – die IG Metall schloß sich an – die, gepriesen sei Intendant Abichs Brechtische List, weit »agitatorischer« als das im September vom Westdeutschen Fernsehen (beim Finale der ungekürzten Fassung) dargebotene Süverkrüp-Lied wirkte.
Solcher Film – und solche Reaktion! Zensur und Wutausbrüche der zur Kritik aufgebotenen Wirtschaftsfachleute, die sich darüber empörten, daß in diesem Report »mit persönlichen Schicksalen ... Klassenkampfstimmung« gemacht worden sei (Ernst Koch in der »Welt«) und daß man, so die FAZ, »mit Äußerungen von vier Betroffenen, die aus der persönlichen schwierigen Situation heraus ohne Mühe zu bitteren Bemerkungen zu bewegen waren, Angriffe auf das gesamte freie Wirtschaftssystem« geführt hätte!
Persönliche Schicksale! Persönliche schwierige Situation: Wie konnten die Autoren sich nur unterstehen, dergleichen ernst zu nehmen, wo es offensichtlich allein um Gewinn und Verlust – abstrakte Größen also – geht! Wie konnten sie es wagen, die Freiheit des gesamten Wirtschaftssystems am Ausmaß der Arbeiterfreiheit zu messen ... so, als ob es neben dem Interesse des »freien« Unternehmers, als dem Stellvertreter des Gesamtsystems, auch die Vorstellung des »freien« Arbeiters gebe! Persönliche Schicksale! Persönliche schwierige Situation! Larifari! Papperlapapp! »Das recht engmaschige Netz« – so noch einmal, in der Metaphorik der Börse, die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« – »das bei Betriebsstillegungen generell für die Arbeitnehmer aufgespannt ist«, fängt jedermann auf ... der alte Prolet, der im Film beim Arbeitsamt den Stempel »hoffnungsloser Fall« erhielt, kann berichten, wie weich man da fällt!
Ein solcher Film – auf Mitleid und ein wenig Solidarität eher als auf rebellische Empörung abzielend – und solche Reaktion: Zensur des Schlusses und Aufschrei der Interessenvertreter, die mit zynischer Deutlichkeit sagten, was unter Freiheit zu verstehen ist und was nicht.
Dies ist die Lage, die Fronten sind klar.
Walter Jens: Klare Fronten
Die Zeit, Nr. 52, 24.12.1971