Der Film als Waffe im politischen Kampf und der Blick hinter die Kulissen kritischer Medienarbeit. Dieses sind die Themen des Films von Claudia von Alemann, der im Umfeld der Mai-Unruhen 1968 in Paris entstanden ist und sich dabei auf die Rolle von professionellen und nicht-professionellen Filmschaffenden konzentriert. Es werden Ausschnitte aus unterschiedlichsten Filmarbeiten wiedergegeben, die von kommunistisch-revolutionärer Poesie bis zur Darstellung eines tristen Daseins in einem kasernenähnlichen Arbeiterwohnheim reichen. Alemann lässt in ihrem Film Studenten, Arbeiter, Professoren und den bekannten Cineasten Jean-Luc Godard zu Wort kommen. Die Vielfalt des Materials, die selbst gedrehten Bilder, die von ihr geführten Interviews sowie die gezeigten Ausschnitte machen den Film zu einem lebendigen Zeitdokument der späten 1960er Jahre in Frankreich.
was hast du nach der ausbildung gemacht?
1968 bin ich nach frankreich gegangen und habe dort eine menge erfahrungen mit politischer filmarbeit gemacht. zu dieser zeit war ja das ganze land in aufruhr und es bildeten sich viele kollektive, die neue formen von politischem film ausprobierten und auch neue vertriebsmethoden ? den politischen verleih, die distribution militante.
die gab es vorher nicht?
nein. die freunde der deutschen kinemathek und die hamburger filmcooperative waren die ersten, die nicht-kommerzielle verleihe aufbauten. dann kam das rosta-kino und der jetzige zentral-film-verleih hamburg, an dem ich mitarbeitete. damals haben wir unsere filme nicht auf festivals gezeigt, sondern systematisch versucht, diese festivals zu boykottieren, umzuändern, lahmzulegen, alles auf den kopf zu stellen, sie zu kritisieren. damals kam es für uns nicht infrage, so wie es heute für die filmstudenten und anderere filmemacherinnen und -macher selbstverständlich ist, jeden film auf einem der bestehenden festivals anzumelden, dort bekannt zu werden, um geld für einen neuen film zu bekommen. ich meine das gar nicht unbedingt im negativen sinn. für uns kam das damals jedenfalls nicht infrage, da wir ja gerade gegen diese ganzen strukturen ankämpften und alternativen zu entwickeln suchten. was heute selbstverständlich erscheint, worauf die linken filmer als dienstleistung greifen, haben wir damals aufgebaut.
die gruppen in frankreich nahmen den vertrieb ihrer filme selbst in die hand und haben so die gegeninformationen, die »contre informations« zu den erklärungen der regierung bis in die letzten ecken frankreichs getragen. dann wurde auch mit neuen techniken experimentiert, z.b. das »volksfernsehen«, »télevision populaire«, das wir jeden tag gemacht haben: mit einem videogerät, das uns godard geliehen hatte, nahmen wir tagsüber die wichtigsten neuigkeiten auf und führten sie abends in kneipen und buchhandlungen usw. wieder vor. damals gab es noch keinen batteriebetriebenen videorekorder, d.h. wir mussten ständig mit netzanschluss arbeiten und konnten so nur in räumen drehen.
über all die erfahrungen habe ich auch einen film gemacht, weil ich diese beispiele für den »film als waffe« als instrument zur information und agitation auch bei uns bekannt machen wollte. davon ist eine menge auch heute noch aktuell.
hast du diese erfahrungen umsetzen können, als du wieder zurückgekommen bist?
davon wollte ich gerade erzählen, von der kalten dusche, die ich bekommen habe, als ich wieder hier war. in frankreich haben damals dauernd die filmleute und leute aus anderen berufen miteinander diskutiert und zusammengearbeitet. hier war das ganz anders. über filmarbeit konnte ich nur mit ein paar anderen filmemachern reden, mit erika runge, harun farocki, helke sander und einigen anderen, die ich aus der ersten klasse der berliner filmakademie kannte. aber die anderen aus der studentenbewegung, mit denen ich damals zusammenarbeitete in frankfurt, waren völlig desinteressiert und lehnten den »filmkram« ab. sie zeigten eine unglaubliche arroganz und ignoranz gegenüber all diesen fragen und dachten nicht im traum daran, mal was anderes als das gesprochene oder geschriebene wort einzusetzen. im grunde musste man soziologe sein, um in der linken damals mitreden zu können. kein anderer beruf und schon gar keine andere ausdrucksweise als ihre abstrakte sprache, keine andere fantasie als ihre auf den hund gekommene vorstellungswelt.
eva hiller: interview mit claudia alemann
Frauen und Film, Nr. 5, 1975
Nach dem Filmstudium ging ich im Mai ’68 nach Paris. Ich wollte drei Tage bleiben, um zu sehen, was los war, doch es wurde ein Jahr daraus. Bei Versammlungen und Gruppentreffen und allem, was die Linke damals im Mai und danach machte, wurde ich knallhart damit konfrontiert, dass Frauen kein Wort sagten, sondern dass fast ausschließlich die Männer redeten und die Entscheidungen trafen. Ich saß auch da und wagte nicht den Mund aufzumachen, aber ich ärgerte mich. […]
Doch ich war so begeistert von der Pariser Mai-Revolte und den Folgen, dass ich ohne Geld fast ein Jahr dort blieb, bei Freunden auf dem Sofa schlief und an den Aktivitäten der »Generalstände des Films«, der »Etats Géneraux du Cinema« teilnahm. Im Herbst ’68 schlug ich der Filmredaktion des WDR vor, einen Film über »Film als Waffe im politischen Kampf« zu machen. Der Leiter der Filmredaktion, Reinold E. Thiel, erteilte mir den Auftrag und gab mir 30.000 DM. Ich dachte: Das geht mein Leben lang so weiter, ich werde die Filme drehen können, die ich drehen möchte. Ich kehrte nach Köln zurück, um den Film beim WDR zu schneiden. DAS IST NUR DER ANFANG, DER KAMPF GEHT WEITER wurde 1969 fertiggestellt. Obwohl Werner Höfer, dem Leiter des WDR-3-Programms, mein Kommentar missfiel und er Änderungen verlangte, die der Redakteur und ich ablehnten, wurde der Film im Frühjahr ’69 gesendet.
Claudia von Alemann: Wir wollten alles und das sofort. In: Claudia Lenssen, Bettina Schoeller-Boju: Wie haben Sie das gemacht? Aufzeichnungen zu Frauen und Filmen. Marburg: Schüren 2014, S. 34f.