Kollektivfilm aus Anlass der Kanzler-Kandidatur des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß. Der Film verfolgt seinen politischen Werdegang. Im besonderen Fokus stehen die mit ihm verbundenen Skandale, wie die Spiegel-Affäre, die dubiosen Machenschaften von »Onkel Alois« und der Starfighter-Skandal. Neben einer Anti-Wahlkampagne gegen Strauß entwirft der Film dabei ein Geschichtsbild vom Zustand der Bundesrepublik Deutschland zum Zeitpunkt der Bundestagswahlen 1980.
Das eigentliche Problem besteht darin, daß dieser Film politische Wirklichkeit einerseits streng isoliert und zugleich pauschal totalisiert, und daß er andererseits den »wahren« Strauß aus der Gegenwart in Vorzeit und Zukunft verlagert.
Isolierung und Totalisierung – dies bedeutet: Strauß ist die deutsche Wirklichkeit schlechthin. Strauß erscheint als ?die Verkörperung? des Nachkriegs-Deutschland, und die Bundesrepublik geht restlos auf in Franz Josef Strauß. Zehn Jahre sozial-liberale Koalition (mit ihren Leistungen und ihrem Versagen) kommen in diesem Film nicht zur Wirkung. Dies geht so weit, daß zwar noch mündlich mitgeteilt wird, wie Sozialdemokraten es waren, die in der großen Koalition daran mitwirkten, daß Strauß parlamentarisch wieder satisfaktionsfähig wurde. Aber in den Bildern wird – so »gut« es irgend geht – ausgespart, wer mit und gegen Strauß politisch operiert (hat), Strauß erscheint insofern ein unpolitisches Bild des politischen Prozesses – als ein Mann außerhalb des Zusammenhangs von politischen Konstellationen und Handlungsbedingungen. Gerade diese Isolierung leistet den entscheidenden Beitrag zur Totalisierung der Perspektive allein auf den »Kandidaten«.
Robert Leicht: Der Mythos eines deutschen Wesens
Süddeutsche Zeitung, 21.4.1980
Wie in allen seinen Arbeiten, filmischen wie literarischen (zuletzt in der PATRIOTIN), montiert [Alexander] Kluge disparate Eindrücke, gefundene, geraubte Bilder und Töne. Seine Welt, wie die wirkliche, besteht aus Fragmenten. Die Realität der Wünsche kommt ebenso vor wie die Illusionen der Real-Politik, die sich von den Wünschen der Menschen immer weiter entfernt. So kommt der Kandidat ins Spiel. Bei seinem ersten Auftritt, und auch später noch einige Male, sieht man ihn doppelt: vor einem Spiegel. Er stellt ein Bild von sich her.
Der Kandidat kennt die Macht der Bilder. Nach seinem Sturz begleitet ihn in den sechziger Jahren der amerikanische Dokumentarfilmer [Donn Alan] Pennebaker. Der Kandidat steigt in ein Auto, dreht sich zur Kamera hin: »Aber die schlechten Bilder nehmen Sie raus, ja?« Der Kandidat achtet auf sich. Er legt Wert darauf, keine Abgründe zu haben. Viele Jahre und viele Film-Minuten später sagt er (in einem vom Fernseh-Bildschirm abgefilmten Interview mit einem beflissenen Stichwort-Geber): »Bei mir weiß jeder, woran er ist.« Dazu zeigt Kluge Kinder- und Jugend-Photos des Kandidaten. Direkt danach führt er uns in die Werbe-Agentur, die das Bild des Kandidaten pflegt. Dort weiß man, daß er ein Mann für die großen Zusammenhänge ist. Er besitzt einen Überblick. Vor lauter Über-Blick verliert er die Kleinigkeiten aus den Augen.
Hans C. Blumenberg: Deutsche Ängste, deutsche Bilder
Die Zeit, Nr. 18, 25.4.1980
Die Neugier wird in diesem politischen Film nicht gestillt. (Also ein guter Film). Aber Du ahnst am Ende, wie gefährlich der bedrückte, eifrige, vorsichtige, starkseinmüssende Mann, den seine Frau Marianne in einer Schlüsselszene auf Erfolg trimmt, in der Tat ist. Gefährlich als Geschöpf der deutschen Politik unter Adenauer, voller Ehrgeiz, machtbewußt und intrigant, rücksichtslos und – ängstlich, stets verfolgt, verfolgend. Der bullige Mann ist zerrissen und quält sich, und die Gewalt seiner Politik hat er sich in dieser deutschen Karriere erworben. Und je besser Du ihn verstehst durch den Film, desto erschreckender die Einsicht, daß da jemand persönlich von der sich fortschleppenden Macht Bundesrepublik Deutschland so ganz und gar gezeichnet ist. Dieses altmodische, bewegliche, aggressiv-atomtechnische, reaktionäre, dynamische, machtbesessene Deutschland der 50er Jahre steht mit Strauß unmittelbar zur Wahl.
Frank Wolff: »Der Kandidat« – Krieg und Frieden (keine Filmkritik)
Die Tageszeitung, 29.4.1980
Aber DER KANDIDAT erschöpft sich nicht in Denunziationen und Assoziationen und in der karikaturistischen Verzeichnung von FJS als neuem Hitler, bösem Wolf aus dem Märchen oder Buhmann der Nation. DER KANDIDAT ist nicht nur das erwartete Anti-Strauß-Pamphlet mit der Kamera. Er ist – in seiner Sicht der Bundesrepublik am Anfang der achtziger Jahre, mit seinen Aufnahmen von Parteitagen oder von der Wanderung des Bundespräsidenten – ein Film nicht gegen einen Politiker, sondern gegen die Politiker in ihrer Gesamtheit. Er schadet Strauß nicht, aber tut weh. Er ist auf eine fatale Art antiparlamentarisch und damit antidemokratisch.
-nz: Filmischer Beitrag zum Wahljahr als Rache für alte Spiegelgefechte
Berliner Morgenpost, 8.5.1980