Die Wendländische Filmkooperative dokumentiert einen Traum, den von der »Freien Republik Wendland«: Tausende Anti-Atomkraft-Aktivisten besetzen 30 Tage lang den Bauplatz 1004 in Gorleben, wo ein Atommüllager entstehen soll. Die Filmmacher beziehen Landschaft und Leute in und um Gorleben mit ein und drehen auch inszenierte Szenen. Der Traum wird zerstört, als Polizei und Grenzschutz den Platz räumen, die phantasievollen Bauten zerstören und die Menschen vertreiben. Am Ende steht am gleichen Platz ein Betongebäude und ein Stacheldrahtzaun. Der Wachschutz verhindert das Betreten des Geländes.
Die drei Wendländischen Filmemacher blieben nicht nur den eigenen Leuten beständig auf den Spuren, sondern klopften auch an die Fenster der Nachbarn, interviewten die Uniformierten eines Schützenfestes, stellten den Dannenbergern auf der Straße und den Wendland-Touristen im Dorf nach. Ein Forstbeamter zog seine Unterhose runter und führte die Wunden der Polizeiknüppel vor. Eine alte Frau erzählte, wie 1918 alles anfing: »Der Traum wurde Wirklichkeit, und die Wirklichkeit mußte man anpacken.«
Bilder von Planierraupen in Zeitlupe, der Abriß des »Freundschaftshauses« und des »Senders Freies Wendland«. Die Hundertschaften der Polizei, Gewalt und Terror nach Wendland tragend. Schlagstöcke und Polizeiknüppel, die den Traum von friedlicher Besiedlung so schnell und so radikal zunichte machen, daß die irritierten Wendländer eben doch »keine Wut, nur Angst« empfinden.
Und doch ist »Der Traum von einer Sache« kein Zielgruppen- oder Lehrfilm herkömmlichen Stils. Die Filmemacher setzten »komponierte« Bilder gegen das Chaos; poetische und ironisierende Kommentare gegen die Humorlosigkeit und Tragik des Augenblicks; Assoziationen, schnelle Schnitte, Fiktionen, kleine Inszenierungen gegen die Eintönigkeit des hinreichend bekannten phantasiefeindlichen Volkshochschul-Films.
Eric Oluf Jauch: Der Traum von einer Sache
Szene Hamburg, Nr. 6, 1981
Eine traurige Geschichte, aber kein trauriger Film. Er strahlt jene fast leichtfertige Fröhlichkeit aus, die man haben muß, um so etwas zu tun: etwa mit handwerklicher Akkuratesse ein Gemeinschaftshaus bauen, einen achteckigen Rundbau mit Kuppel, und zugleich zu wissen, daß die Arbeit bald dem Erdboden gleichgemacht würde.
Der Film beschränkt sich nicht auf eine bloße Dokumentation des Aufbaus und der Räumung. Er beginnt mit poetischen Bildern, die uns zeigen, was wir zu verlieren drohen: eine Landschaft mit überschwemmten Wiesen, ein Baum im Nebel, unzerstörte Natur. Dann, im Gegenschnitt, Straßen und Industriegebäude. Das ist weder aufdringlich noch denunziatorisch gemacht. Der Film bringt einem auch das Sehen bei. Oft verweilt er lange bei seinen Bildern, so daß sie nicht nur »schön«, sondern fremdartig wirken. [...]
Das Schöne an diesem Film ist, daß er sich so viel Geduld beim Hinsehen läßt. Er ist nicht ideologisch fixiert. Und er ist witzig. Schauspieler verkleiden sich als Polizisten und demonstrieren, wie leicht die ordnungsliebenden Bürger auf Uniformen hereinfallen. Die Metzgersfrau im Laden fragt immer wieder: »Und außerdem?« Die Leute auf dem Land wollen nichts »außerdem«. Sie wollen so leben, wie sie bisher gelebt haben. Und wenn es denn sein muß, nehmen sie Veränderung in Kauf.
Ulrich Greiner: Und außerdem?
Die Zeit, Nr. 24, 5.6.1981
Einige tausend waren im Frühjahr vergangenen Jahres zusammengekommen, um eine sogenannte Probebohrung zwecks Endlagerung hochradioaktiven Atommülls im dortigen Salzstock zu boykottieren. Aber der Widerstand gegen die technokratische Logistik des sich absichernden Fortschritts verschob sich dabei von der bekannten Ebene aufklärender Parolen zur anderen eines stummen Bildes: Holzhäuser, Hütten, Türme und Zelte einer friedlichen Alternative; ein bejahender Bilderreichtum genau an jener Stelle, wo das häßlich-graue Versteck eines tödlichen Abfalls entstehen soll; ein »Dorf« gerade dort, wo die Planungsherren mit Brachland rechneten; sich seßhaft machen, um zu mobilisieren. Hier, wo die Staatsgewalt auf ihrem Realismus besteht (von Tag zu Tag dann mehr bestehen muß), hier soll der Traum beginnen. [...]
Mit der »Republik Freies Wendland« dagegen wurde der Widerstand zum Traum, verwandelten sich die Gewißheiten in das Traumbild eines gesellschaftlichen Lebens ohne Ordnungsdiktat. Erst jetzt hat ein »Realitätssinn« Chancen sich einzustellen, der der Sache, um die es geht, auch entspricht. Und ein Film will Dokument dessen sein: im Kino wenigstens soll der Traum überleben.
Den Autoren Roswitha Ziegler, Niels-Christian Bolbrinker und Bernd Westphal war offenbar klar, daß dies nur jenseits eines naiv-pamphletistischen Realismus wie auch Symbolismus möglich ist. Sie verweigern der Sache: »30 Tage Freies Wendland« daher die angeblich reale Chronologie von Idee zu Ausführung und schließlich Zerstörung durch Polizei und Grenzschutz und montieren ihren »Traum von einer Sache« assoziativ, einkreisend, ausufernd. Was ihnen dabei quasi »dazwischenkommt« und ihren Traum boykottiert, sind ironischerweise die Platzbesetzer selbst; insoweit sie als Subjekte zu Wort kommen. Daß die drei Autoren dies zulassen, macht auch ihre Grenze in der Bereitschaft zur assoziativen Zersetzung sogenannter Tatsachen aus (wenn sie so subjektiv »ehrlich« aussehen). Es ist auf beiden Seiten der Kamera die gleiche Grenze.
Michael Kötz: Im Kino soll der Traum überleben
Was die »Wendländische Filmcooperative« von und zu Gorleben zeigt
Frankfurter Rundschau, 9.10.1981
Über die politischen Hintergründe der Gorleben-Proteste erfährt der Zuschauer nur wenig, das Interesse der Filmemacher galt stattdessen den Gefühlen der Besetzer, den Reaktionen der Bevölkerung in den umliegenden Dörfern und der Suche nach Traditionen des anti-industriegesellschaftlichen Widerstands in der Region. Die da träumen, sind Film-Amateure (das sieht man ihrem Streifen an), und sie machen kein Hehl aus ihrer Parteinahme. Vielleicht deshalb wollte das Fernsehen nicht mitträumen ? die ursprünglich für den WDR entstandene Produktion wurde nur zum Teil gesendet.
Gewiß hat dieser Film nicht nur technische Mängel: Die internen Probleme und politischen Flügelkämpfe der Hüttendörfler werden unter den Zelluloid-Teppich gekehrt, oft gleitet das Ganze in ein plattes Lob des Landlebens ab. Wer etwas über die Beweggründe jugendlicher Aussteiger erfahren möchte, sollte sich diesen »Traum« trotzdem nicht entgehen lassen.
mrt: Gorleben ? ein Traum von einer Sache
Stuttgarter Zeitung, 17.10.1981
Utopien von einer anderen Art zu leben, dafür scheint es keinen Ort zu geben. Nirgends. Wer da an Gorleben geglaubt hat und annahm, man müsse nur mit Erfindungsreichtum, Zähigkeit und Verbundenheit zeigen, was man besser machen will, wurde nach 30 Tagen Schonfrist eines anderen »belehrt«, und das nicht nur mit schlagkräftigen Worten. Die »Freie Republik Wendland« aus Holzhäusern und abenteuerlichen Baumkonstruktionen fiel Anfang Juni ’80 wie eine Ansammlung von Kartenhäusern zusammen. Wie es dazu kam, zur Besetzung, zum spontanen improvisierten Zusammenleben und zur Räumung, das haben die Filmemacher der Wendländischen Filmkooperative festgehalten. Ohne wehleidig oder pathetisch zu werden, haben sie den kurzen Frühling von Lüchow-Dannenberg zu einem Film aus Dokumentation, Fiktion, Spielszenen und anderem ? teils ironisierendem, teils kommentierendem ? Bildmaterial zusammenmontiert.
Judith Kuckart: Gorleben ? der Traum von einer Sache
Der Tagesspiegel, 18.10.1981