Im Mai 1968 kam in Hamburg niemand an ihm vorbei: »Eiffe, der Bär« war überall. Tag und Nacht war Peter Ernst Eiffe (1941-1983) unterwegs und überzog mit seinem »Flo-master«-Filzstift die ganze Stadt mit seinen Sprüchen: Eiffe verbessert die Welt, Eiffe sieht gut aus, Eiffe will Bundeskanzler werden! Höhepunkt und Ende seiner Karriere: Er fuhr mit seinem Fiat-Topolino in die Wandelhalle des Hauptbahnhofs und rief die »Freie Republik Eiffe« aus. Schließlich wurde er verhaftet und in die Psychiatrie eingewiesen.
Ein Vierteljahrhundert später begeben sich Christian Bau und Artur Dieckhoff auf Spurensuche nach dem legendären Hamburger. Im Sommer 1993 suchen sie mit Kinospots, Postkarten und Zeitungsberichten nach Zeitzeugen, 1995 haben sie genug Material zusammen für einen Dokumentarfilm mit Interviews, Inszenierungen und Musik.
Ich kannte Peter-Ernst Eiffe flüchtig von den Veranstaltungen der Hamburger »Kellerliteraten«, er ließ keine Lesung von Hubert Fichte, Klaus-Rainer Röhl oder Peter Rühmkorf aus. Aber Eiffe war ein scheuer Mensch, es dauerte Jahre, bis ich zum ersten Mal mit ihm ins Gespräch kam. Das war im Anschluß an die studentische Vollversammlung, die der Sprengung der Rektoratsfeier am 9. November 1967 folgte. Ich war am Vorabend festgenommen worden, weil ich mit Pinsel und Farbeimer versucht hatte, am Bauzaun der Universität eine Losung anzubringen: »Ehrlicher« – so hieß der umstrittene Rektor – »wird immer entbehrlicher«. Zwei Zivilfahnder hatten mir das Handwerkszeug aus der Hand genommen und mich zur Wache gebracht. Eiffe kam auf mich zu und begann, auf mich einzureden: »Das müßt ihr anders machen! Eimer und Pinsel sind Schnee von gestern! Ich habe die modernen Waffen der Kulturrevolution …« Und er öffnete seine Aktentasche und zeigte mir – eine Spraydose und etliche Filzstifte. Technische Neuheiten!
Um ehrlich zu sein, ich habe Peter-Ernst Eiffe damals für einen Spitzel vom Verfassungsschutz gehalten. Er sah aus, wie wir uns einen Spitzel vorstellten – mit Anzug, weißem Hemd und Krawatte, ein Repräsentant der verhaßten Schlips-und-Kragen-Fraktion und das genaue Gegenbild zu unseren langen Haaren und Maojacken. »Ich bin Landvermesser!« erklärte er uns. Das klang nach Kafka und machte ihn noch verdächtiger. […]
Fragte man Eiffe nach den Gründen seiner unheimlichen Schnelligkeit, hatte er immer nur eine Antwort bereit: »Ich mache alles mit links.« Das war mehr als eine Redensart. Eiffe war Linkshänder, aber er war von seinen Eltern und Lehrern durch Schläge auf die Fingerspitzen gezwungen worden, mit der rechten statt mit der linken Hand zu schreiben. Unter dem Eindruck der antiautoritären Bewegung schrieb er sich von seinen anerzogenen Zwängen frei und griff wieder auf seine linke Schreibhand zurück. Als hätte diese Hand die über zwei Jahrzehnte unterdrückte Schreiblust in sich aufgestaut, schrieb Eiffe sich Tag und Nacht binnen weniger Wochen seine manische Schreibbesessenheit vom Leibe. […]
Nach der Zwangspsychiatrisierung wurde es um Eiffe still. Zwar dachten die antiautoritären Gesinnungsfreunde anfangs noch über eine Eiffe-Befreiungsaktion nach: Medizinstudenten in weißen Kitteln sollten ihn heimlich aus der Klinik herausschleusen. Aber inzwischen hatte sich der Wind im Lande gedreht. Der Frühling der Anarchie war schon Ende Mai 1968 zu Ende. Die Spaßguerilla kapitulierte vor dem Ernst der Lage. In den Studentenverbänden bekamen die Kader maoistischer, trotzkistischer und stalinistischer Richtung das Sagen. Eiffes Zeitalter war nach genau siebzehn Tagen vorüber, ziemlich genausolang wie der legendäre Pariser Mai.
Peter Schütt: Wer hat in Deutschland die ersten Graffiti gesprüht? Viel spricht dafür, daß es der Hamburger Peter-Ernst Eiffe war – im wilden Mai 1968
Ein Film erinnert an ihn
Die Zeit, Nr. 12, 17.3.1995
Werner Schweizer zeigt sich etwas ratlos über die mosaikartige Bau-Weise des Films und fragt den Regisseur nach dem Anlaß dieser Arbeit, die sich mit einer Figur beschäftige, die ihn an die (eigene) Geschichte der Zürcher Protestbewegung erinnere. Christian Bau sagt, er habe Eiffe bereits in den sechziger Jahren kennengelernt und schon damals ein Filmprojekt über ihn geplant, aber erst vor etwa drei Jahren begonnen – ganz der Graffiti-Technik Eiffes vergleichbar –, mit Hilfe einer Werbeaktion Zeitzeugen und Eiffes Bekannte aufzufinden. Schweizer insistiert, es handele sich um einen »anregenden«, aber »traurigen« Film; der Begriff des »Menetekels« komme ihm in den Sinn, den der – jetzt neonazistische – Reinhold Oberlercher im Film gebrauche. Bei den Dreharbeiten sei die für ihn erstaunliche Situation entstanden, so Bau, daß die Leute eigentlich über sich redeten, wenn sie vorgaben, über die Vergangenheit und über Eiffe zu sprechen, etwa wenn Oberlercher seinen Richtungskonflikt im SDS [Sozialistischer Deutscher Studentenbund] mit Karl-Heinz Roth schildere. Das Vergangene wird zum Gestrüpp enttäuschter Projektionen. So sei zugleich ein Film über die sprechenden Personen entstanden.
Bau schlägt vor, über seinen Einsatz der Musik zu diskutieren. Er habe hier keine übliche Musikspur und keine Off-Musik gewollt, sondern eine Art »öffentliche« oder »visualisierte« Musik, die er immer wieder in ihrer Entstehung zeige, so wie es Eiffes Praxis entspreche. An dieser Stelle meldet sich Kritik aus dem Publikum: Es sei weder einleuchtend noch vertretbar, Eiffe mit einer Musikgruppe offensichtlich mongoloider Menschen zu parallelisieren, denn Eiffe sei nicht körperlich behindert gewesen. Diese Menschen, so Bau, seien ebenso kreativ wie Eiffe, und das habe er zeigen wollen. Heike Kühn zeigt sich ebenfalls skeptisch, wie sich denn da im Film die slapstickartigen Momente, in denen Eiffe dargestellt werde, sinnvoll einfügen könnten; das erscheine ihr vielmehr disparat und auf einen simplen Gag zuzusteuern. Bau versucht das Ruder zu wenden mit dem Hinweis, diese (schwarzweißen) Elemente des Films wollten bewußt »original« aussehen und wirken. Doch weiterer Einspruch folgt: Dies schlüssig einzufügen, sei gerade nicht gelungen, sondern als Inszenierung sehr schnell durchschaubar. Bau erklärt immerhin, man solle den Status des »Dokuments« nicht allzu ernstnehmen; er habe sogar viele andere Teile des Films als solche getarnt (wie z.B. den Werbespot mit dem Schreibstift). […]
Bestürzung und fluchtartige Bewegungen im Auditorium werden durch die Frage ausgelöst, warum der Film auf l6mm und nicht – angemessener – auf Video gedreht sei. Schweizer legt nochmal sein anfängliches Problem zur Beantwortung vor, wonach die Person Eiffes wohl nicht in größeren Zusammenhängen gesehen werde. Ihm, Schweizer, wirke dies sehr (regional) begrenzt. So sei auch an eine Auswertung des Films im Ausland (in der Schweiz) kaum zu denken. Klaus Wildenhahn meldet nun Widerspruch an, ihm erscheine der Film in keiner Weise begrenzt und nur regional interessant; er stamme vielmehr genau aus der Tradition der sog. Realistischen Schule und der Arbeit Monks, die hier geradezu die Züge »niederländischer Absurdität« annehme. Diese Intervention läßt bei Schweizer doch gewisse Hoffnung auf eine Verwertbarkeit des Films im Ausland (in der Schweiz) aufkommen. Weitere Stimmen schließen sich an. Und Bau endet mit der optimistischen Ansicht, sein Film sei der »Spiegel zum Heute«.
Lars Henrik Gass: 19. Duisburger Filmwoche
Diskussionsprotokoll Nr. 2
Eiffe for President
Dienstag, 7. November 1995, 12.30 Uhr
Podium: Christian Bau (Regie), Artur Dieckhoff (Buch), Werner Schweizer (Moderation)