Ein Dokumentarfilm über zwei wichtige Pioniere des Genres. Der Hamburger Dokumentarfilmer Klaus Wildenhahn trifft seine beiden Lehrmeister: den Polen Jerzy Bossak (1910-1989) und Richard Leacock (1921-2011), Hauptvertreter des Direct Cinema in den USA, den einen bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen, den anderen in dessen Heimat Cambridge in Massachusetts sowie bei einem Besuch in Hamburg, wo der NDR ihm in den 1960er Jahren die Produktion einiger Filme ermöglichte. Wildenhahn spricht mit ihnen über ihre professionelle Entwicklung, den Einfluss der Technik, die Suche nach Authentizität und den Versuch, die Zeit festzuhalten. Am Ende treffen die beiden in Toronto aufeinander und diskutieren ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Ganz nebenbei entsteht dabei eine kleine Zeitgeschichte des Dokumentarfilms.
Die Jahre des Krieges, der gesellschaftlichen Umwälzungen und des vom ganzen Volk in Angriff genommenen gewaltigen Aufbaus förderten überhaupt die Entwicklung des Dokumentarfilms. Es braucht wohl kaum daran erinnert zu werden, daß Polen 1945 ein Land der Ruinen, der Gräber und der menschlichen Verwahrlosung war. Man mußte der ganzen Welt vor Augen führen, was die faschistische Okkupation auf unserem Boden hinterlassen hatte. Zeitungsberichte und selbst Fotografien reichten nicht aus. Nur der Film konnte eine Vorstellung von den Ausmaßen des Elends vermitteln. Natürlich ist der Film nicht nur ein Registrator von Fakten, sondern wirkt auch aktiv an den historischen Prozessen mit. Unsere Hauptaufgabe war es, nicht nur die Zerstörungen zu zeigen, sondern vor allem darzustellen, wie sich der Glaube der Gesellschaft an die Realität der Bemühungen um die Gestaltung und den Wiederaufbau des Landes festigte.
Jerzy Bossak, zit. nach: Klaus Wildenhahn: Über den synthetischen und dokumentarischen Film – Zwölf Lesestunden. Frankfurt: Kommunales Kino 1975, S. 90.
Am Beginn unserer Arbeit waren wir beladen mit unhandlichem Gerät. Leute, die wir filmten, wurden verstört, allein schon durch den Vorgang des Filmens. Diesen versuchten wir zu vereinfachen. Wir entwickelten diese geräuschlose und leichte Kamera. Pennebaker trägt die Tonausrüstung. Nur zwei Mann machen den Film. Scheinwerfer werden nicht benützt. So kann man Leuten überall hin folgen und sie beobachten. Al Maysles sagt: Jetzt können zwei Leute einen Film machen, so wie ein Schriftsteller ein Buch schreibt. Eine neue, ganz persönliche Art des Filmens wird möglich.
Richard Leacock, op. cit., S. 153.
Nichts erscheint bequemer nach diesem Doppelporträt, als dem Dokumentaristen Klaus Wildenhahn zu bescheinigen, er habe hier einen sehr persönlichen Film gemacht, der nur insoweit Allgemeingut werden muß, wie eine subjektiv gefärbte Hommage dies eben kann. Doch wirkt dieser Film dann auf eine Weise nach, die einen zögern läßt, sich mit solch eilfertigem Schulterklopfen davonzustehlen – eine Übung, die nur zu oft Hilflosigkeit, ja Distanzierung kaschieren soll.
Natürlich war Wildenhahns filmische Würdigung ein leidenschaftlicher, zwischen Trauer und Trotz pendelnder, in jedem Fall also subjektiver Abgesang auf eine Filmgattung. Und zweifellos wurden darin eigene bittere Erfahrungen aufgearbeitet, wurde einer persönlichen Liebhaberei gefrönt. Doch je länger man hinschaute, je näher uns Wildenhahn ganz unspektakulär an seine Protagonisten heranführte, desto überzeugender gelang ihm der Nachweis. Der Verlust dokumentarischer Treue, der Bossak und Leacock heute beinahe als Fossilien längst vergangener Zeiten erscheinen läßt, hat auch mit uns zu tun, genauer: mit unserer Gleichgültigkeit all jenen Dokumentaristen gegenüber, die, wie Bossak von sich selbst sagte, gegen die Gleichgültigkeit kämpfen, indem sie das »Dramatische im Alltäglichen« zeigen wollen. Da dürfte sich mancher an die eigene Nase gefaßt haben, der geschmäcklerisch an Filmen herummäkelt, nur weil der Ton einmal nicht ganz studiogerecht ist, die Bilder nicht ganz lupenrein sind.
»Es ging uns nichts an, Spielfilme zu machen, es ging um die Korrektur des Gedächtnisses«, so Bossaks Kommentar zu seinem Film über das Konzentrationslager Majdanek. Auch Wildenhahns Film, ganz im Sinne seiner Lehrer und Vorbilder gedreht, war so etwas wie die Korrektur des Gedächtnisses. Da sahen wir dann auch, daß Richard Leacock einmal Filme für den NDR gemacht hat, mit Helga Feddersen als hellwacher Tonassistentin. Aber das ist mittlerweile 18 Jahre her.
Roland Timm: Ein Film für Bossak und Leacock
Süddeutsche Zeitung, 23.10.1984
Zit. nach Verleihkatalog Nr. 1. Frankfurt, Wiesbaden, Berlin: Deutsches Institut für Filmkunde (DIF), Stiftung Deutsche Kinemathek (SDK) 1986, S. 98.
One of the interesting aspects of Wildenhahn’s double portrait is that Bossak and especially Leacock appear to be puzzled at just what’s going on in Wildenhahn’s head, for there doesn’t seem to be a preconceived plan or subjective attitude taken on the making of the film. Wildenhahn apparently is relying very much on the talent of both filmmakers to articulate their positions with as much refinement as they can wield a camera. [...]
A FILM FOR BOSSAK UND LEACOCK is the kind of production that German tv does so well in the documentary film, one that deserves broader international recognition and wider distribution.
Holl.: Ein Film für Bossak und Leacock
Variety, 23.1.1985