Marina wurde von den Männern immer enttäuscht: Vom Stiefbruder verführt, vom Vater verstoßen, schlägt sie sich mit Herrenbekanntschaften durchs Leben. Da trifft sie ausgerechnet in ihrer Stammbar einen anständigen Mann: den heruntergekommenen Maler Alexander, der durch einen Gehirntumor sein Augenlicht zu verlieren droht und immer Veronal-Tabletten mit sich führt, um sich notfalls das Leben zu nehmen. Marina nimmt sich seiner an und verliebt sich in ihn. Sie fahren gemeinsam nach Italien, und Alexander beginnt wieder zu malen. Um eines seiner Bilder zu verkaufen, schläft Marina mit einem Kunsthändler. Auch für eine dringend benötigte Operation versucht sie durch Prostitution an Geld zu kommen. Ein Arzt ermöglicht schließlich den Eingriff, und Alexander und Marina verbringen eine glückliche Zeit. Er malt sie als nackte »Sünderin«. Doch als das Bild vollendet ist, erblindet Alexander. Da es nun keine Hoffnung auf Heilung mehr gibt, gibt Marina ihm das Veronal und nimmt sich dann selbst das Leben.
Marina has been disappointed by men her entire life: After her stepbrother seduces her and their stepfather throws her out of the house, she starts taking advantage of a wide variety of male acquaintances and enjoys leading an extravagant life. By chance, while she is in her favourite bar, a man catches her eye: Alexander. A painter in frail health, Alexander has a brain tumor, is slowly losing his eyesight, and always carries Veronal tablets to end his life if things get worse. Marina falls in love and wants to do her best to help him. Together, they travel to Italy and Alexander starts painting again. To help sell his paintings, Marina sleeps with an art dealer. Alexander needs an expensive operation and Marina decides that returning to prostitution is their only hope to pay for the surgery. When a doctor agrees to perform the operation, Alexander and Marina are in high spirits. He paints a picture of her as the nude “sinner”, but just as the painting is finished, Alexander goes blind. With no hope of bringing back his vision, Marina gives him Veronal and then takes her own life.
Dieser Film stinkt. Erstens ist er von einer unstatthaften Langweiligkeit. Er ist dramaturgisch skandalös in der naiven Art, mit der andauernd Rückblenden veranstaltet werden. Gerhard Menzel, von dem doch immerhin der »Toboggan« stammte und das betreffende Buch »Wieviel Liebe braucht der Mensch?« und einige technisch richtige Drehbücher, verhaspelt die unappetitliche Handlung immer weiter in die Vergangenheit, bis sich – fast hätte ich geschrieben – kein Schwein mehr zurechtfindet.
Zweitens ist dieser Film in seinem Thema so verdrießlich schmuddelig, so kitschig verlogen, wo es »edel« zugehen soll, und so anwidernd direkt, wo er pikant sein möchte, daß man am Ende den fröhlich pfeifenden Opponenten solcher Darbietung nur zustimmen kann. Dies geht über die Hutschnur.
Es stimmt ja nicht. Ein Mädchen wird früh verdorben, und zwar an Hand ihres eigenen Stiefbruders. Und da nun eine ekelhaft ausführliche Symbolik für das eindeutig Unappetitliche, daß es einen schon graut. Die Sünderin sinkt von Stufe zu Stufe. Und der Film sinkt gehorsam mit. Er zieht durch alle Gossen, bis eben das einfache Hurenschicksal durch das Auftreten eines armen, erblindenden Malers zu einem Edelhurenschicksal geedelt werden soll. Und da nun setzt der Geschmack ganz aus. Da trieft der Kitsch. Da faßt man sich an den Kopf, wenn die »Große Kunst«, wenn »Das Genie«, wenn das göttliche »Heidentum« gemacht werden sollen. In reiner Opferbereitschaft geht die Sünderin, um Geld für ihren malenden Freund zu finden, immer schnell mal wieder in ihr altes, lasterhaftes Dasein zurück. Und am Ende, als dann die ekelerregende Kitschgloriole um den Doppelselbstmord gelegt wird, wird das Maß des Unerträglichen voll. Das ist moralisch tatsächlich unvertretbar. Das ist um einer deftigen Schlußpointe willen so ruchlos und falsch, daß man die Proteste, die von vielen Seiten gegen diese gefährliche und leichtfertige Auffassung gekommen sind, nur zu gut versteht. So den Selbstmord bei Sekt und sozusagen mit Blumen im Haar auszuspinnen, heißt das Leben verachten. Und Lebensverachtung – das doch wohl ist die unmoralischste Unmoral. [...]
Ein unerträgliches Produkt, langweilig, von einer defekten Moral, von einer berechnenden Schmierigkeit und übel im ganzen. Solche Filme, Forst, bitte nie wieder!
–ft [= Friedrich Luft]: Langweiliges Laster
Die Neue Zeitung (Berliner Blatt), 18.3.1951
III
Ob Selbstmord, bei einem unheilbar Kranken, der entsetzlich leidet, erlaubt ist oder nicht, sei hier nicht diskutiert. Es wird auch im Film nicht diskutiert: da ist geschickt ein extremer Fall arrangiert, bei dem es einleuchtend wirkt. (Wann zeigt ein Film einmal, daß es Zeiten und Lagen gibt, in denen es schwerer, in denen es tapferer ist, zu überleben?) Was nicht erlaubt ist, wie man auch dazu steht, was nicht erlaubt sein sollte (für den guten Geschmack – wir reden nicht von Zensur), das ist der unbestritten selbstverständliche, der unbedenkliche, vor allem der theatralische, der schöne, der romantisierte Kino-Selbstmord, wie er hier verübt wird. Er hat unser Mitgefühl, der erblindete Maler, der samt der edlen Dirne in Schönheit stirbt. Doch was solche und ähnliche Probleme betrifft: wir leben in einem Land, in dem es unzählige Kriegsblinde gibt, die sich nicht umbrachten, von denen manche sogar heiter wurden: Sie sind, wenn dieses Wort schon fallen soll, die Helden – nicht jene Sektselbstmörder des Films.
IV
Erinnern wir uns weiter: Wir leben in einem Land, in dem es Tausende, vielleicht Millionen Frauen gibt, die Schlimmeres erlebten als die Sünderin, die da so rasch zur Hure wird. Dieser Sünderin, die als Opfer der Zeit gezeigt wird, fällt niemals ein, daß man vielleicht auch schlicht und einfach durch Arbeit leben könnte ... Das Dokument der Zeit, das dieser Seelenreißer gerne wäre, ist er mitnichten.
V
Er ist noch manches nicht, was er gern wäre. Er wollte zu viel sein: Ein Film uber Euthanasie, ein Film über Prostitution, eine Künstlertragödie, ein Zeitpanorama ... Er wollte heutig und realistisch sein (und fällt bisweilen in schönsten Makart-Stil), er wollte dezent sein (und bringt, neben wahrhaft dezenten Passagen, eine alberne Trümmerfilm-Orgie und neckische Nackedeis), er wollte von Kunst erzählen (und tut’s, zuweilen, mit Aktbildern, die purer Magazin-Naturalismus sind). Was wollte er nicht alles! Eins aber ist er wirklich: Ein virtuoser Film.
VI
So spekulativ und sentimental sein Gehalt bleibt, so rühmenswert ist seine Form. Wie dieser Bildrhythmus pulsiert und lebt, wie Bild und Ton sich kontrapunktisch enteilen, finden und zusammenspielen, wie stumme Requisiten. stumme Szenen mehr als die Dialoge sagen, wie hier geschnitten, überblendet und montiert wird, wie diese Kamera zu zaubern weiß, symbolhaft ohne billigen Aha-Stil, wie sich die Handlung raffiniert aus vielen Rückblenden zu kunstvoller Einheit fügt – das ist (trotz mancherlei Entgleisungen) im ganzen eine Leistung, mit der Willi Forst einen Gipfelpunkt seines Könnens erklimmt. Dies und die ungewöhnlich ausdrucksstarke Intensität Hildegard Knefs, Gustav Fröhlichs gute Gediegenheit, die Prägnanz der Nebenrollen: alles zusammen ist – formal – ein Musterbeispiel künstlerischen Films.
VII
Die Form ist viel. Besonders hier und heute. Aber die Form ist nicht alles. Sie ist, mitunter, gefährlich: wenn reine Artistik Arabesken ins Nichts malt. Wenn Nihilismus sich als Dokument maskiert. Wenn etwas wie geheime Untergangssüchtigkeit in solche Filme einzuströmen scheint. Dann setzen sie dem Verfall, den sie schildern, nichts mehr, nicht einmal Verzweiflung entgegen – fast wirken sie (wenn auch gewiß wider Willen) im Einverständnis mit dem leichten Glanz von schöner Fäulnis, den sie spiegeln. Wenn Film der Seismograph der Zeit ist und wenn wir diesen Film ernst nehmen, dann weht uns eine maßstablose trübe Müdigkeit an, die immer zu den Vorzeichen der Verhängnisse gehörte.
Gunter Groll: Die vielumstrittene »Sünderin« oder Sekt mit Veronal
Süddeutsche Zeitung, 15.2.1951