Experimenteller Kurzspielfilm: Ein Mann findet auf der Straße ein Markstück und gerät daraufhin von einem Schlamassel ins nächste: Ein Verkäufer verweigert die Annahme, weil er die Münze für eine Fälschung hält. Daraufhin setzt der Mann sie in einer Spelunke beim Würfeln und gewinnt ein Spiel nach dem andern. Doch ein Gauner beobachtet das und verfolgt ihn, um ihn auszurauben. Der Mann findet Zuflucht bei einer Dirne, die ihm jedoch die Brieftasche abnimmt. Ihr Zuhälter ringt den Mann nieder und wirft ihn zurück auf die Straße. Dort jedoch wartet wieder der Gauner auf ihn und schlägt ihn mit einem Knüppel zusammen. Der Mann landet im Krankenhaus, wo er in einem Fiebertraum alles noch einmal erlebt. Als er erwacht, wird er informiert, dass die Täter verhaftet sind, und gefragt, ob er schon stark genug sei, den Schuldigen zu nennen. Doch schuld allein ist das Geldstück von der Straße.
An experimental short film: After a man finds a Mark coin on the street, he finds himself in one mess after another. When a cashier refuses to accept the coin claiming that it is counterfeit, the man decides to risk it on a dice game in a seedy dive and wins one round after another. Unbeknownst to him, he is being watched by a crook who follows him out and tries to rob him. The man finds refuge with a harlot who steals his wallet before her pimp throws him back out into the street. Around the corner, the crook is waiting for him and cubs him over the head. The man lands in the hospital, where he relives the entire experience in a feverish dream. When he wakes up, he finds out that the crook has been caught and is asked if he is strong enough to be a witness to the crime. The really guilty one however, is the Mark coin he found out on the street.
Die Form des Films ist, nicht unbeeinflußt von der Art der Russenfilme, um eigene Wege bemüht. Die Bildmontage steigert sich in der Flucht des Finders vor dem Kaschemmenbruder in erregender Weise: Mithin Vorbild eines Studiofilms, der bei allem experimentellen Wert noch dazu Aussicht darauf hat, im Kino zu laufen.
Mithin also eine Belebung des Beiprogramms, wie sie an dieser Stelle immer wieder gefordert worden ist. Das sollte gefördert werden und besonders von amtlicher Seite denkt man.
Was aber geschieht? Die Filmprüfstelle verbietet diesen Film, da er geeignet sei »durch die Häufung der Brutalitäten und gefühlsrohen Taten nur herabziehend und auf das Gefühl des Beschauers abstumpfend zu wirken, da ein ethischer Ausgleich, etwa dadurch, daß die Verbrecher die gerechte Strafe trifft, nicht festzustellen ist«. Verbrecher und gerechte Strafe – es soll im Leben schon vorgekommen sein, daß Lumpen straflos ausgingen und Unschuldige in der Justizmaschine zermahlen wurden. Aber das braucht eine Prüfungskammer nicht zu wissen.
Es wäre nicht uninteressant, dieses von Ethos und Moral so beeindruckte Zensurgericht darüber zu befragen, wie es sich zu der Fülle durch keine Gedanken – weder ethische noch unethische – beschwerter Amüsierfilme stellt. Die trotzdem, mit Recht, nicht verboten werden.
Id est: Fast scheint es so, als ob die deutsche Filmzensur es darauf anlegt, die Gedankenlosigkeit zu prämieren.
h. f. [= Hans Feld]: Wie lange noch Filmzensur?
Film-Kurier, Nr. 93, 19.4.1929
ÜBERFALL ist ein Kurzfilm ähnlich einer literarischen Kurzgeschichte. Er stellt eine neuartige Methode dar und muß deshalb mit neuen Maßstäben beurteilt werden.
Es ist mir einfach unverständlich, daß die Zensoren einen solchen Film als Verbrecherfilm interpretieren.
Er beschreibt ein Ereignis, ohne Kommentar, nur die Fakten, trocken wie ein Polizeibericht. Der Inhalt besteht aus der Beschreibung des zunehmenden Angstzustandes des Helden, der die Zuschauer stärker emotional berührt als die angeblichen »Gewalttaten«, die gar nicht vorhanden sind.
In der Szene, die im Zimmer spielt, wird der Held weder gewürgt noch geknebelt, das Handtuch dient lediglich dazu, ihn zu fesseln; und der Schlag mit dem Gummiknüppel auf der Straße wird nur angedeutet. Wenn man Verbrechen darstellen wollte, wäre es ein Leichtes, dafür geeignetere Stoffe zu finden oder den vorliegenden zu vergröbern. Der Vorwurf einer »Häufung der Brutalitäten« ist ganz und gar unverständlich, wenn man ihn z.B. mit dem amerikanischen Film THE GODLESS GIRL vergleicht, dessen Inhalt in viel stärkerem Maße diesen Vorwurf verdient als ÜBERFALL. [Anm. d. Red.: THE GODLESS GIRL, USA 1928, Cecil B. DeMille, in Deutschland als DAS GOTTLOSE MÄDCHEN mit Jugendverbot freigegeben.]
Alle Szenen des Films zielen letztlich darauf ab, ein Gefühl der Angst zu erzeugen, dessen Konsequenz der psychologisch unangreifbare Angsttraum ist, der als Höhepunkt des Films gedacht war.
Ich möchte mit diesem Brief ausdrücklich gegen die falsche Interpretation protestieren, Sinn des Films sei die Darstellung von Brutalität. Man sollte untersuchen, inwieweit die Wirkung des Films, Angst zu erzeugen, die Zensoren zur falschen Interpretation dieses Effekts verleitet hat, indem sie diese Fähigkeit der »Brutalität« zuschrieben. Solch eine psychologische Verdrehung der Tatsachen ist nur allzu begreiflich.
Die Länge des Films beträgt 460 Meter. In seinem dramatischen Aufbau unterscheidet er sich natürlich von einem langen Spielfilm. Alles kann nur knapp angedeutet werden. Eine lange Einleitung oder moralische Erklärungen sind unmöglich. Innerhalb eines solchen Rahmens muß der Hinweis, daß die Gerechtigkeit ihren Lauf nimmt (dargestellt in der Krankenhausszene) genügen. Eine breitere Darstellung der »moralischen Nutzanwendung« ist innerhalb dieser Form unmöglich und würde sie zerstören, falls man darauf besteht. Das tun aber diejenigen, die Kurzfilme nach den gleichen Maßstäben beurteilen wie Spielfilme.
Auch der künstlerische Wert des Films, den Zensoren verborgen, sollte mit anderen Maßstäben beurteilt werden, als der einer sentimentalen Durchschnittsproduktion. Dieser Film ist schließlich dem wirklichen Leben näher, wenn er auch weniger schön ist.
Ich kann nur nochmals betonen, daß der Film vollkommen verkannt, falsch verstanden und verkehrt interpretiert wurde. Er ist ein absolut ernsthaftes Werk, das der deutschen Filmkunst neue Wege zu erschließen sucht und nach neuen Wertmaßstäben verlangt.
Brief von Ernö Metzner, zit. nach Close Up (Territet/ Schweiz), Nr. 5, Mai 1929
[Rückübersetzung aus dem Englischen]