Die minderjährige Ella, die in ärmlichen Verhältnissen bei der Mutter und dem brutalen Stiefvater aufwächst, arbeitet als Streichholzverkäuferin auf der Straße. Als sie dort erschöpft zusammenbricht, nimmt der gutmütige und wohlhabende Universitätsprofessor Dr. Ernst Albrecht sie bei sich auf. Die Verbindung löst allerlei Missgunst aus: Ellas Eltern versuchen von Albrecht Geld zu erpressen, Albrechts Wirtschafterin ist eifersüchtig auf Ella, und Albrechts schmieriger Diener Franz möchte Ella für sich in Besitz nehmen. Er inszeniert gemeinsam mit Ellas Vater und einem Komplizen einen Überfall auf die schlafende Ella, um sich als ihr Beschützer aufspielen zu können. Später kommt Albrecht, der sich verlobt und mit Freunden betrunken hat, nach Hause. Auch er wählt den Weg in Ellas Schlafzimmer. Doch Ellas Mutter und die Wirtschafterin beobachten ihn, der Vater erstattet am nächsten Tag Anzeige. Albrecht bringt Ella zu seinem Freund, dem Künstler Petersen, und nimmt sich das Leben. Als Ella davon erfährt, bricht sie zusammen.
Ella, a teenager who grew up in misery and poverty, has run out on her abusive mother and stepfather and started selling matches on the street. With nowhere to go, she wanders the streets until she collapses. When the generous and wealthy university professor Dr. Ernst Albrecht finds her, carries her back to his house and offers to let her stay the night, Ella tells him what she is running from. The situation quickly becomes difficult as Ella’s patents try to extort money from Albrecht, his housekeeper is jealous of Ella and Albrecht’s sleazy butler Franz wants Ella for himself. Franz, together with Ella’s father and an accomplice, stage an assault on Ella so she will see Franz as her protector. Later, Albrecht, who has gotten engaged and has been out drinking with friends, comes home drunk and also stumbles into Ella’s room, not realizing that Ella’s mother and the housekeeper are watching. The next day, after finding out that Ella’s father has reported him to the police, Dr. Ernst sends Ella to an artist named Petersen and kills himself. When Ella finds out what has happened, she collapses.
Weder der Titel noch die Wahl des gleichnamigen Romans zur Verfilmung erscheint unter den obwaltenden Verhältnissen und bei der herrschenden Geschmacksrichtung besonders glücklich. Man hat sie allmählich satt, diese sogenannten Sittenbilder aus der Großstadt, die fast nie typisch sind und deshalb weithin nach jener üblen Kinoromantik riechen, die heute eigentlich schon überwunden sein müßte und könnte. Eine Fülle von Unwahrscheinlichkeiten verleidet dem geschmackvollen Zuschauer solche »Dramen« und nimmt ihnen auch den letzten Rest von ethischer Berechtigung, da nur das abschreckend und bessernd wirken kann, was der Zuschauer als glaubwürdig und dem wirklichen Leben entnommen empfindet.
Deshalb bleibt diese Geschichte eines von Edelmut und Gutmütigkeit, von Anständigkeit und Solidität triefenden Gelehrten, der sich eines armen, unglücklichen Mädchens aus den Tiefen der Großstadt annimmt, sie bei sich im Hause erzieht und dann plötzlich, in der Nacht nach seiner Verlobungsfeier mit einer anderen, das noch unmündige Mädchen verführt, ohne jeden tieferen Eindruck. Daneben rankt sich um diesen Gelehrten ein übles Verbrechergesindel, das der Gelehrte ganz unmotivierterweise um sich duldet, von dem er sich ausbeuten und erpressen läßt, obwohl er bis zu der – psychologisch ebenso völlig unbegründeten – Verführung nur Gutes und Edles getan hat.
Muß man dergestalt die Wahl des Stoffes und seine filmdramatische Bearbeitung entschieden ablehnen, so gebührt der Regie, die in den Händen Reinhold Schünzels lag, der Darstellung und der Photographie uneingeschränktes Lob. Abgesehen von den üblichen Konzessionen an den angeblichen Publikumsgeschmack (Künstlerfest, Kaschemmengetriebe, Verlobungsfeier und dergl.), hat die Regie dafür gesorgt, daß unnötiger Ballast ferngehalten und die Handlung in geradliniger Klarheit und Straffheit sich aufbaut. Die Bilder sind gut gestellt und ihre Wirkung künstlerisch berechnet.
So entwickelt sich Schünzel immer mehr zu einem großartigen Regisseur, ohne daß darunter seine Meisterschaft als Darsteller leidet. Denn auch als solcher liefert er in diesem Cserépy-Film eine glänzende Leistung, die ohne seine Schuld vielleicht nur dadurch beeinträchtigt wird, daß man diese, zu seiner Spezialität gewordenen Type des zynisch-brutalen Theaterschufts nachgerade ein bißchen zu oft gesehen hat. Ihm völlig ebenbürtig zur Seite steht Otto Gebühr, der sich immer mehr zu einem unserer besten Filmdarsteller emporarbeitet, der durch die Einfachheit und überraschende Natürlichkeit seines Spieles, seine souveräne Beherrschung jeder Situation und sein ausdrucksvolles Mienenspiel hervorragt. Auch Lili Flor, die die Titelrolle spielt, zeigt eine erfreuliche Entwicklung nach aufwärts, wenn ihr auch freilich zur erstrangigen Filmdiva noch mancherlei fehlt und namentlich in der pantomimischen Geste noch erhebliche Mängel vorhanden sind. Glänzende Episodenfiguren stellten Albert Steinrück und Rosa Valetti als erpresserisches Elternpaar auf die Leinwand. Die Photographie Curt Courants war sorgfältig und geschmackvoll.
Frank [= Paul Frank?]: Das Mädchen aus der Ackerstraße
Film-Kurier, Nr. 91, 1.5.1920
Der Film hält immerhin mehr als sein Titel verspricht. Man kann sogar zu der Vermutung kommen, der Titel wäre absichtlich so gewählt. Sujet: Tränenfilm par exellence. Eines der Leierkastenmotive des Films. – Aber die Ausführung! Schünzels Regie ist fast durchweg reif und gekonnt. Die kleine Tempoverschleppung im ersten Akt und die nicht ganz überzeugende Komparserie hätte sich ein Mann wie Schünzel allerdings sparen können. Schünzels Regienote in diesem Film ist die Bekämpfung und Ausgleichung des rührseligen Stoffes. Eine schwere Aufgabe. Aber man kann sie als gelöst bezeichnen. Dieser Regisseur ist ein Beherrscher realistischer Kunst und seine beachtenswerten, ehrlichen Bemühungen in dieser Richtung heben das Werk ohne weiteres auf ein höheres Niveau. Als künstlerisches Element ist fernerhin eine gute Parallelisierung der Bilder zu werten. Die Schlußszene erbebt sich sogar zu einer gewissen durchaus angebrachten und gut wirkendenden Symbolik.
H. B.: Das Mädchen aus der Ackerstraße
Lichtbild-Bühne, Nr. 18, 1.5.1920