Der jährliche Feuerwehrball in einer tschechischen Kleinstadt steht bevor. Die Feuerwehrleute möchten ihrem Ehrenvorsitzenden während der Feierlichkeiten ein besonderes Geschenk zum 86. Geburtstag machen. Kurzentschlossen veranstalten sie während des Balls eine Misswahl. Die Gewinnerin soll das Geschenk überreichen. Allerdings sind die jungen Damen gar nicht so erpicht auf die Ehre und die Wahl endet im Chaos. Plötzlich ertönen die Sirenen, es brennt. Sofort sind die Feuerwehrleute zur Stelle, doch da der Feuerwehrwagen im Schnee festgefahren ist, gelingt es ihnen nicht, den Brand zu löschen, und das Haus eines alten Mannes brennt vollständig nieder. Um dem Mann zu helfen, werden die Tombolalose gesammelt, er soll sämtliche Preise erhalten. Diese sind jedoch inzwischen fast alle gestohlen worden. Am Ende sind alle Gäste weg, nur der Ehrenvorsitzende ist noch da und wartet auf die Übergabe des Geschenks.
Die Komödie des tschechischen Regisseurs Milos Forman, die jetzt in den bundesdeutschen Kinos unter dem Titel ANUSCHKA – ES BRENNT, MEIN SCHATZ läuft, hat eine interessante Geschichte. Sie wurde im Jahre 1967 als Koproduktion des Tschechoslowakischen Films mit Carlo Ponti gedreht. Der italienische Produzent wollte die Berühmtheit, die der junge Regisseur durch seine Filme DER SCHWARZE PETER und LIEBE EINER BLONDINE errungen hatte, ausnutzen. Er kalkulierte jedoch die Selbständigkeit und Hartnäckigkeit des Tschechen nicht ein. Forman lehnte jede Einmischung des Produzenten ab. Er wollte weder die durchschnittlichen Kleinstadt-Mädchen durch bildhübsche Stars ersetzen noch einen Striptease einbauen.
Ponti war von dem Ergebnis enttäuscht und trat unter dem Vorwand, der Streifen sei kürzer als vereinbart, von dem Vertrag zurück. Seine wahren Gründe und Argumente waren dieselben wie die des protestierenden Feuerwehrverbandes und der dogmatischen Widersacher Formans in der Tschechoslowakei selbst: »Er verspottet das einfache Volk ... Er ist böse und pessimistisch ... Fürs Volk ist er unverständlich«. Diese rührende Übereinstimmung in den Ansichten sozialistischer und kapitalistischer Bonzen, die sich immer von neuem zeigt, ist ergreifend und bezeichnend. Auch der verständnislose Empfang, den einer der besten Filme der tschechoslowakischen »Neuen Welle« bei manchem deutschen Kritiker erfahren hat, beweist, daß schematisches Denken und Humorlosigkeit geographisch und systempolitisch nicht begrenzt sind.
Der Film erzählt die groteske Geschichte eines Feuerwehrballs, dessen Geschehnisse dem Festausschuß – biedere ältere Herren, die in ihren Gala-Uniformen tüchtig schwitzen – über den Kopf wachsen; der Ausschuß ist sehr froh, als die Kunde eintrifft, im Städtchen sei ein Feuer ausgebrochen: weil er sich so wieder in einer ihm vertrauten Situation befindet. Das ist nicht die Kritik an einem bestimmten Regime, sondern eine Satire über Unfähigkeit und Inkompetenz der Regierenden im allgemeinen, eine klare Allegorie des Novotny-Regimes. [...]
Formans Film ist in höherem Grade und ausgeprägter als seine früheren Werke eine Komödie, eine reine Satire. Nicht, weil er aus dem schon an und für sich überaus farcenhaften Milieu und Geschehen schöpft, und auch nicht, weil seine Struktur stärker dem Schema des professionellen Lustspiels angenähert ist und – in der Endphase – dem Genre des schwarzen Humors, sondern weil er einen viel höheren Grad der Verallgemeinerung erreicht.
Bei den zwei vorangegangenen langen Spielfilmen Formans ließ sich verhältnismäßig leicht sagen, wovon sie handeln, mit welchen ernsten gesellschaftlichen Problemen sie sich auseinandersetzen, wobei man freilich nie vergessen darf, daß dies in Bezug auf ein Kunstwerk immer eine Vereinfachung ist. Die Problematik seines dritten Films läßt sich nur ganz allgemein umreißen, zum Beispiel mit den Worten, der Film »handele davon, wie die Menschen sind«. Methode und Kunst Formans bestehen darin, daß er Verallgemeinerung erreicht ohne Symbole und Allegorien, nur durch die Analyse und Rekonstruktion der authentischen Umstände der Realität. [...] Jede der Szenen des Films ANUSCHKA – ES BRENNT, MEIN SCHATZ hätte mit versteckter Kamera, auf irgendeinem Feuerwehrball einer böhmischen Kleinstadt eingefangen werden können; hinter dem Ganzen verbirgt sich aber der Autor (in diesem Fall eine ganze Gruppe Autoren, denn die Filme Formans sind das Werk eines eingespielten Autorenteams), seine Fähigkeit zur Weltschau und -darstellung, sein Talent, seine Liebe zur Wahrheit.
ANUSCHKA – ES BRENNT, MEIN SCHATZ ist in diesem Sinne ein grausamer Film, eine Art Quintessenz der bisherigen Filme Formans. Wir finden auch unmittelbare Reminiszenzen aus jedem von ihnen wie auch die bekannten Gesichter der unprofessionellen Schauspieler jener Streifen.
Mit dem Zuschauer geschehen hier seltsame Dinge. Wir schauen dem Provinzball aus den Kulissen zu, lachen über die dämlichen Feuerwehrfunktionäre, die mit Aufgaben ringen, die ihre Lebenserfahrungen übersteigen, amüsieren uns über die nicht gerade mit Schönheit gesegneten Jungfern, die in den Tücken einer Schönheitskonkurrenz von »Weltniveau« untergehen. Doch allmählich erstirbt uns das Lachen auf den Lippen. Nicht nur, weil uns in der zweiten Hälfte des Films eine tüchtige Portion an Tragischem im Narrenkleid der Farce kredenzt wird, sondern auch, weil wir nach und nach zu dem gogolschen Schluß kommen: »Über wen lacht ihr? Über euch selbst.«
Gabriel Laub: Satire auf ein Regime
Die Zeit, Nr. 29, 17.7.1970