Dorotheas Rache (BRD 1973/74)

Inhalt - Synopsis

Die 17-jährige Hamburgerin Dorothea ist auf der Suche nach der Liebe, aber sie findet nur Abarten der Sexualität: Zunächst dreht sie mit ihren Freunden eine Parodie auf die als Aufklärungswerke daherkommenden Sexfilme. Aus Neugier lässt sie sich mit drei älteren Männern ein, erkundet die Sex-Shows auf dem Kiez, geht anstelle ihrer Freundin, der Prostituierten Sissi, mit einem Freier aufs Zimmer und lässt sich von ihm auspeitschen, kommt in einen Masochisten-Club, trifft Jesus, befriedigt in einer dunklen Ecke einen schwachsinnigen Exhibitionisten usw. Den einzigen Mann, der ihr so etwas wie Liebe entgegenbringt, weist sie ab. Er bringt sich um. Währenddessen leidet ihr Vater, ein Scherzartikelfabrikant, darunter, dass die japanische Konkurrenz den Markt mit Billigprodukten überschwemmt. Dorotha bietet ihm an, mit ihr zu schlafen. Am Ende zieht sie mit ihren Freunden aufs Land.

17-year-old Dorothea is looking for love in Hamburg but only finds a wide variety of perverse sexuality along the way. She and her friends initially decide to film a parody on the sex-education films that were the current trend in cinemas. Out of curiosity she lets three older men have their way with her, explores the sex shows in the red-light-district, stands in for her friend Sissi as a prostitute with a client and lets herself be whipped by him, visits a masochist club, meets Jesus, gratifies a feebleminded exhibitionist in a dark corner and so on. After she rejects the only man that offers any real love, he kills himself. Meanwhile, her father, who markets “canned laughter devices”, is worried about Japanese companies flooding the market with cheap products. Dorothea offers to sleep with him. In the end, she leaves the city and lives with her friends in the countryside.

Zeitgenössische Kritiken:

Peter Fleischmann, der Regisseur derJAGDSZENEN AUS NIEDERBAYERN sagt von seinem jüngsten Film, er habe ihn »als Antwort auf die Welle von Sexfilmen gedreht und dabei zeigen wollen, was meiner Ansicht nach an Heuchelei, Hässlichkeit und sogar Traurigkeit in diesen Filmen ist«. Tatsächlich ist sein Film DOROTHEAS RACHE ein Gang in die Hölle der Pornografie; eine fiktive Reportage aus den berüchtigten Hamburger Stadtteilen, in die uns ein Mädchen führt – als eine Art »Alice im Sexland«. Sie nimmt den Kommerz mit dem Sex (der für den deutschen Film zu einer Goldgrube geworden ist) mal gleichgültig, mal belustigt oder einfach neugierig zur Kenntnis, ohne sich selbst einzulassen, und stellt ihn in Frage. Sie entlarvt ihn in all seinem Schrecken, seiner Verruchtheit, seiner Verzweifeltheit und seiner Grausamkeit als das, was das Gegenteil von Liebe darstellt. DOROTHEAS RACHE, dieser erotische Film im negativen Sinn, diese moralische Parabel stellt eine politische Forderung, wenn sie die Hölle dieses Dekors zeigt, der fälschlicherweise für ein Paradisiakum gehalten wird. Ob nun Nazifilm oder Pornofilm, wie er in Deutschland danach kam: welcher ist verachtenswerter?
Les Nouvelles littéraires, 11.2.1974
Zit. nach einer Presseinformation des deutschen Verleihs

Fleischmann arbeitet mit einzelnen realistischen Sequenzen, die er (wie Kluge) in der Tradition des Stummfilms durch erläuternde Zwischentitel trennt. Er weilt ein wenig gar zu ausführlich bei der Monstrositätenschau, vor allem der Sadomasochisten (da wird gekreuzigt, gefoltert, gebrannt). Dadurch gerät der Film in leicht verwechselbare Nähe zum Pornofilm, den Fleischmann ja nun gerade entlarven wollte. Zugegeben, es liegt, gefördert durch die tristen Dämmerszenen aus den Hinterhöfen St. Paulis, eine verzweiflungsvolle Schäbigkeit über diesem Sittenkatalog. Übelkeit kommt einem an, wenn man fette ältliche Männer in ihren Begierden sieht. Aber da ist auch die schöne nackte Alice. Fleischmann vergißt, daß er kein Idealpublikum vor sich hat, sondern eins, das eben gerade im Lichtspiel dasselbe sucht wie seine alten Knülche: Befriedigung für den Augenblick.
Denn verheerenderweise wird sein Film in der Bundesrepublik in den auf Sex spezialisierten Kinos eingesetzt. In Frankfurt wurde der Rezensentin im entsprechenden Zeil-Etablissement mit merkwürdigem Grinsen bedeutet: »Nein, nein, hier gibt es keine Pressekarten, zahlen Sie nur.« Während des Films liefen die harte und eindeutige Kost erwartenden Besucher raus.
Fleischmanns Fehler liegt darin, daß er den Pornofilm mit seinen eigenen Mitteln, nämlich pornographischen, entlarven will. Seine Naivität wird in der deutschen Ausführlichkeit und Gründlichkeit der Sexszenen sichtbar. Der Witz und die Leichtigkeit in den utopischen Hippie-Sequenzen am Ende, die an Fleischmanns seriösen Dokumentarfilm HERBST DER GAMMLER anschließen, können den Film nicht retten.
Warum nur entwickelt der junge deutsche Film solche Holzschuh-Praktiken? Beraten die Autoren sich nicht untereinander? Hat denn keiner Fleischmann zu Schnitten animiert, ihm gesagt, daß er Antiporno nicht mit Pornomitteln in den Pornokinos zum Erfolg bringen kann? DOROTHEAS RACHE ist für die Bundesrepublik gründlich verpatzt.
B. J. [= Brigitte Jeremias]: Dorotheas Rache – Ein Anti-Pornofilm?
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.4.1974

Was hat es nun auf sich mit Sinnesrausch und Tiefsinn? Dorothea ist auf der Suche nach Liebe und fahndet nach diesem Fremdwort ausgerechnet in sämtlichen Lasterkabinetts einer besseren Hafenstadt. Da fragt man sich, warum die Dorothea so beschränkt ist, »Liebe« in derartigen Etablissements zu vermuten (die doch erwiesenermaßen nur als Triebverwertungsanstalten gemeint sind). Aber es geht ja, so sagt der Regisseur, um die vom Industrie-Sex kaputtgemachten Gefühle – um ein Negativ-Lehrstück also, den Lustgewinn betreffend, den der marktgerechte Sexfilm pausenlos an die abgestumpfte Libido-Kundschaft hinfummelt.
So kann man’s nehmen. Es geht aber auch andersherum. Denn DOROTHEAS RACHE ist, mit allem Drum und Dran, ja selbst ein ganz massiver, ungenierter Porno-Film, und zwar ein echter – im Gegensatz zu den deutschen Report-Käsefilmen, über die er sich lustig macht. Die sind nämlich so steril und so unerotisch wie ein Besenstiel oder auch ein Wachsblumenstrauß.
Und da ungenierte Porno-Filme nichts Böses sind (und viel gesünder als zum Beispiel die sadistischen Brutalfilme!), läßt sich die Ironie des Films durchaus mit seinem sexuellen Reizwert koppeln. Außerdem macht Fleischmann Schluß mit dem miesen alten Brauch, Pornographie grundsätzlich als »Männer-Artikel« zu verstehen: die Frau allein dient als nacktes Lustobjekt. Hier gibt’s auch nackte Männer – und kein Feigenblatt weit und breit.
Das »Anti-Porno«-Gerede klingt, samt Tiefsinn, eher wie ein Alibi – damit der Porno statthaft ist, so nebenbei. Doch so viel Tiefsinn ist nun wirklich nicht dahinter.
Die Hauptdarstellerin ist keine »Entdeckung«, sondern eine mäßig begabte Oberschülerin – was genau hineinpaßt in Fleischmanns Konzept, bewußt dilettantisch agieren zu lassen: so, als könne jeder Dummkopf diese Art von Film zusammenhauen.
Keiner geniere sich also, sich DOROTHEAS RACHE als Porno-Film anzuschauen. Da macht er halbwegs Spaß und ist ironisch obendrein. Nur Kultursnobs tarnen sich mit »Kunst«.
Ponkie: Dorotheas Rache – Porno mit Köpfchen
Freundin (Offenburg), 30.5.1974