Im 17. Jahrhundert strebt der katholische Kardinal Richelieu danach, die Macht des französischen Staates auszuweiten und alle Protestanten zu vernichten. Dazu ordnet er die Schleifung der Befestigungsanlagen der Städte an. Doch in der Stadt Loudon stoßen seine Männer auf den Widerstand des virilen Priesters Grandier, der jüngst von seinem verstorbenen Vorgänger die Amtsgeschäfte als Gouverneur der Stadt übernommen hat. Im Kloster Loudons gibt sich die verkrüppelte Oberin Schwester Jeanne wollüstigen Träumen hin, in denen ihr Grandier als Jesus am Kreuz erscheint. Doch als Grandier seine Geliebte heiratet, verfällt Jeanne dem Wahnsinn und bezichtigt ihn, mit dem Teufel im Bund zu sein. Darauf kommt ein Inquisitor in die Stadt, der an den Nonnen, die in orgiastische Raserei verfallen, einen Exorzismus vollzieht. Schließlich wird Grandier verhaftet und gefoltert, aber er bleibt standhaft und weigert sich, seine Schuld zu bekennen. Auf dem Scheiterhaufen wird er bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Soldaten des Königs beginnen mit der Sprengung der Festungsmauern der Stadt.
Die Schaulust ist ein altes Laster. Und schwerlich läßt sich eine Kultur finden, in der nicht Menschen gewisse Plätze des Stattfindens aufsuchten, um dort ihre Netzhaut mit Bildern des Schreckens tätowieren zu lassen und diese Peinigung zu genießen. Zu fühlen, wie’s sich ansieht, wenn im Kult rituell geschlachtet wird, wenn am Pranger erniedrigt wird, wenn auf dem Jahrmarkt der monströse Leib sich entblößt, wenn auf dem Moritatenplatz die Kopf-ab-Bilder besungen werden, wenn im Bordell sich zwei bespringen.
Doch für kitzelnde Schaulust braucht es keine Begründung. Jede Kultur kennt ihren »homo voyeurismo«. Jede Kultur kennt Horrorkabinette. Unsere Kultur bietet dafür den Lustplatz Kino an. Jede Begründung für Ken Russells Film #Die Teufel# ist also überflüssiges Geschwätz. Die literarische Berufung auf einen solch reputierlichen Namen wie Aldous Huxley (»Die Teufel von Loudon«) ist ebenso überflüssig wie die cineastische auf Kawalerowicz (MUTTER JOHANNA VON DEN ENGELNS). Und die politische ist es erst recht, mit der Ken Russell seinen Film in den Rang eines Gleichnisses hinaufannonciert, in eine sozusagen ewige Fabel von Macht and Opfer, von Intrige und Ränkespiel, vom geknechteten Volk und der ihm verweigerten Freiheit. Aber warum viel Worte machen: DIE TEUFEL ist nichts als ein Fetzen Fleisch für die Schaulust.
Was bekommt der Schaulustige zu sehen? Totenschädel, durch deren Ohren die Maden kriechen. Geschlechtsverkehr mit dem Mann am Kreuz. Protestantische Sträflinge, zu Hauf getrieben. Die Absonderungen der Pest, die Schwären, Abszesse, die Krusten, den Schorf, die Geschwüre. Leichen, die wie Gemüse zu Haufen geworfen werden. Eine Kirche als Kontakthof. Mätressen, bleich-puppig wie Velazquezsche Günstlinge. Masturbierende Nonnen and sinnvolle Vorrichtungen zur Zungenfolter. Massenvergewaltigungen im Kloster mit Klistierspritzen. Eine Flatterschar von Nonnen, die sich die Kleider vom Leib reißen und mit baumelnden Brüsten ins Volk rasen. Ein Priester, der einem Priester Holzkeile in die Beine treibt. Ein verkrebstes Gesicht, das sich zu Tode schreit. Orgien am laufenden Band. Und Wimmern, Stöhnen, Kreischen, Ächzen von bestialisch Gemarterten.
Das alles ist beileibe weder verwerflich noch obszön. Es ist geschmacklos und widerwärtig. Ken Russell verfilmte die Geschichte von dem Priester Urbain Grandier (Oliver Reed) und der Oberin Jeanne de Belciel (Vanessa Redgrave), die von Kardinal Richelieu benutzt werden, um die Stadt Loudon in die Hand zu bekommen, wie ein [Gualtiero] Jacopetti [in der »Schockumentarfilm«-Reihe MONDO CANE in den 1960ern], der die Historie nach Sadismen absucht. Russell führt, bar jeder psychologischen Intuition, lediglich Tatorte der Schaulust vor, schwüle Stätten der Erregung, samten ausgeschlagene Separées, die den Blick auf die Exhibitionisten des 16. Jahrhunderts gestatten. Russells Film ist eine Art Fünfhundert-Jahr-Feier der Stadt Loudon, eine Touristenattraktion historisch beglaubigter Scheußlichkeiten. Dabei hält er sich weder an die geschichtliche Wahrheit noch auch an einen einheitlichen Darstellungsstil, eher stellt er lebende Bilder. Das Bild: der Priester und die Nonne. Das Bild: Pest und Tod. Das Bild: Teufelsaustreibung. [...]
Auf die Zukunft des Kinos wirft dieser Film [...] ein schlechtes Licht. Das Kino war zu keiner Zeit nur eine Schauluststätte, nur ein Ort für die billigen schenkelschlagenden Vergnügen oder für das Absättigen der Lüsternheit. Das historische Kino war Sittengeschichte, aber auch Reflexion über diese Sittengeschichte, das historische Kino war ein Bildband, aber es lieferte auch die Texte zu diesem Bildband.
Sollte dieses Kino am Ende sein? Sollten nach den Brutalo-Western, den Fortsetzungs-Pornos nun die historischen Schocker kommen?
Rainer Fabian: Tatorte der Schaulust – Ken Russells Film »Die Teufel«
Die Welt, 25.9.1971