Der nichtsnutzige Alex und seine Droogs hängen in der Korova-Milchbar herum, pumpen sich mit Milch-plus voll, ziehen dann los und berauschen sich an ihren Gewalttaten. Sie schlagen einen obdachlosen Säufer zusammen, prügeln sich mit Billyboy und seiner Bande, überfallen einen Schriftsteller und seine Frau, vergewaltigen sie und schlagen ihn zum Krüppel. Nach einem Machtkampf in der Bande stellen die Droogs Alex eine Falle: Als er ins Haus einer reichen Lady einbricht, die dort mit ihren Katzen lebt, erschlägt er sie. Er wird verhaftet, zu vierzehn Jahren Gefängnis verurteilt und soll zum disziplinierten Staatsbürger erzogen werden. An ihm wird eine experimentelle Therapie vollzogen, bei der er fortwährend Bildern von Sex und Gewalt ausgesetzt wird, die ihm fortan ebenso widerlich erscheinen wie die Musik von Beethoven, die er zuvor geliebt hat. Als Musterbeispiel eines geheilten Straftäters wird er vorzeitig wieder in die Gesellschaft entlassen. Doch dort wird er nun zum hilf- und willenlosen Opfer.
UHRWERK ORANGE ist ein subversiver Film, eine bösartig-witzige Satire. Mit Brillanz spielt er mit den Trümmern unserer Kultur, wechselt und mischt blitzschnell die Ebenen. Im Gefängnis etwa liest Alex die Bibel und hat prompt eine Christus-Vision im Stil eines alten Hollywood-Films. Selbst die Vulgarität ist subtil kalkuliert. Kubrick demonstriert, daß es für einen Intellektuellen keine Tabus gibt.
Kubrick spielt mit den Bildern, Bewegungen, Gesten, Farben. Er hantiert mit literarischen Verweisen. Er jongliert mit der Sprache: Alex und seine Bande haben ihre eigene Sprache, dann verfällt Alex plötzlich in altertümelnde Redewendungen und findet wieder zurück zur normalen Sprache.
Auch die Sprachmodulation wechselt dauernd: So gibt es im Gefängnis neben brüllenden Wärtern einen samtweich sprechenden Geistlichen und penetrant geduldige Psychologen.
Als die einzige Beziehung zwischen den Menschen ist im Film die Aggression übriggeblieben, die sich in den verschiedensten Formen äußert: primitiv-brutal mit dem Knüppel bei Alex und seiner Bande, mürrisch lamentierend bei den Eltern, militärisch kommandierend bei den Gefängnisbeamten, wissenschaftlich kühl bei den Psychologen, elegant opportunistisch bei dem Innenminister, hinterhältig intelligent bei dem politisierenden Intellektuellen, moralisierend bei dem Geistlichen.
Kubrick prangert diese Formen der Aggression an, macht sie lächerlich und beweist doch zugleich: Ein Mensch ohne Aggression ist kein Mensch.
Hans P. Kochenrath: Ein Held unserer Zeit – Stanley Kubricks »Uhrwerk Orange«
Kölner Stadt-Anzeiger, 8./9.4.1972
Inzwischen ist der intellektuelle Moralist Kubrick, gerade 44 Jahre, in Gefahr, einer Zwangsvorstellung des Weltuntergangs auch künstlerisch zu unterliegen. #Uhrwerk Orange#, eine neue Beschwörung unausmerzbaren Irrsinns der Renommiersucht und Brutalitat, ist eine zwar wie gewohnt intelligent angelegte, doch unausgeglichene, gedanklich und technisch verspielte, ja insgesamt nutzlose Arbeit (was allerdings nicht das Geschäft des Boulevardkinos betreffen wird), da Kubrick sich in einer ausgemalten Fülle von grotesker Brutalität erschöpft, mit vielen meist allzu genüßlichen Anspielungen auf widersprüchliche Gefühlsbewegungen, perversen Strafvollzug, Phallus-Kult in der modernen Kunst, auf fragwürdige Methoden der Schocktherapie, auf Wissenschaftsgläubigkeit und wahnreligiösen Kitsch, scheinbare Entscheidungsfreiheit im privaten und politischen Leben, auf Aggressoren als vorgebliche »Wohltäter« usw. Die Psychiatrie wird bei Kubrick zum Symbol des Übereinkommens zwischen verschiedenartigen Irren, geheimen und ausführenden, verstellten und fast schuldlosen Sinneskranken. [...] Was wie ein gräßliches Ballett, eine böse Vision der heutigen Herrschaft der Strolche begann, vor dem Endsieg der totalen Vergewaltigung in Kubricks persönlichem 1984 (oder 2001 – nun auf der Erde), endet kaum mehr bestürzend oder wenigstens nachdenklich, sondern viel mehr unverbindlich und oberflächlich. Gedankliche Verbindungen zur gegenwärtigen Situation und ihren Folgen verflüchtigen sich während der zunehmend gedehnter werdenden zwei Stunden Attraktionskino. Die Irrealität des Brutalen verliert ihren Bezug. Der »gepflegte«, durch ständige Experimentierfehler potenzierte Wahnsinn scheint nur noch auf der Leinwand, der Unterhaltung willen, zu existieren. Die verdichtete, durchstechende Ironie der Weltraumsatire (2001) geht im technisch nicht weniger monströsen URHWERK unter. Jene brillante Entlarvung zynischen Gebarens weicht nun erblassenden Karikaturen. Wahrend in Kubricks starken Filmen wechselhaft kommentierende Einstellungen und Szenen eine reflexive Geschichte zum Zerreißen spannen, fällt der zweite Teil dieses Films auch fotografisch und inszenatorisch ab wie eine Operette gegen den furiosen Auftakt einer monumentalen Oper.
L. Sch. [= Leo Schönecker]: Uhrwerk Orange
Film-Dienst, Nr. 17/18, 2.5.1972