Am 1. März 1933 beginnt mit einer Kündigung für den Angestellten Priepke der soziale Abstieg. Trotz eines guten Zeugnisses findet er keine Stellung und gerät in finanzielle Not. Seine Herbergen werden immer einfacher und karger, bis er erst im Asyl für Obdachlose, dann unter einer Brücke Zuflucht sucht. Nach einem Jahr ist er lediglich noch im Besitz einer Flasche mit Seifenlauge und erträumt sich ein florierendes Geschäft mit Seifenblasen. Doch stattdessen zerbricht die Flasche. Zerlumpt und verarmt, aber voller Illusionen, unternimmt er mit einem Leidensgenossen einen letzten Versuch neue Schuhe und damit gesellschaftliche Anerkennung zu erwerben.
Im Frühjahr 1934 entsteht in einem ansonsten verlassenen Atelier in der Müllerstraße am Wedding ein Film. Die Umstände, die zu dieser Produktion führten, sowie die Bedingungen, unter denen sie vonstatten geht, entbehren nicht des abenteuerlichen Kolorits. Doch schon der Name des Regisseurs Slatan Dudow läßt ahnen, daß mehr dahintersteckt als eine obskure Hintertreppenproduktion. Wir sind im Jahre 2 der faschistischen Machtergreifung; der Schöpfer von KUHLE WAMPE, da nicht im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit, ist vorerst in »Freiheit« geblieben. Trotzdem stehen er und KUHLE WAMPE schon lange auf schwarzen Listen, ist für ihn als »art- und wesensfremdes Element« keine Beschäftigung in der deutschen Filmindustrie mehr möglich. Da spielt der Zufall va banque. Eine in Berlin eingetroffene reiche Engländerin, Kathrin Davis, führt in ihrem Gepäck Dokumentarfilmmaterial über Indien und Burma mit sich. Um die Verkaufschancen der miserabel zusammengestellten Filme zu erhöhen, wird ein Montage- und Tonspezialist gesucht. Dudow übernimmt die Arbeit, verzichtet jedoch auf jegliches Honorar, schlägt statt dessen Missis Davis die gemeinsame Herstellung eines Spielfilms vor. So entstand eine Deckfirma (Davis Film) mit einem gemieteten Strohmann und einem gemieteten Büro. Und Dudow beginnt in der Müllerstraße mit den Filmaufnahmen. Erst als die Dreharbeiten abgeschlossen, wird man höheren Orts auf das Projekt aufmerksam. Ein Vertreter der »Reichsfilmkammer« taucht auf und fordert den Film zu einer »Vorprüfung« an. Dudow taktiert, verzögert und gewinnt schließlich Zeit, noch vor dem Prüfungstermin Negativ und Positiv des Films ins Ausland zu schmuggeln. Er selbst geht unmittelbar darauf in die Emigration, die ihn zunächst nach Paris führt. Dort stellt Dudow aus dem geretteten Material eine französisch synchronisierte Fassung zusammen (französische Dialoge: Jaques Prévert, Musik: Armand H. Bernard). Nach 1945 gilt der Film lange als verschollen, bis 1962 die Nachricht eintrifft, daß sich in den USA noch eine Kopie befindet.
Ihre deutsche Erstaufführung erlebten die SEIFENBLASEN nun während des Anfang Juni in Berlin tagenden XXIII. FIAF-Kongresses.
Stefan Senefeld: Begegnung mit »Seifenblasen«
Sonntag (Berlin), 1.10.1967
Es ist ein Lehrfilm über die Arbeitslosigkeit. Gelehrt wird, was falsch und was richtig ist, und daß es Menschen gibt, die aus der grundsätzlich falschen Einschätzung ihrer Lage eine eigene Ideologie entwickelt haben, die Ideologie der Lackschuhe und der Seifenblasen.
Mit dieser Darlegung eines soziologischen Sachverhaltes ist dem Regisseur Dudow ein Film gelungen, der die marxistische Pädagogik Brechts auf die Leinwand überträgt und dem Publikum Erkenntnisse vermittelt, mit denen es sich auseinanderzusetzen hat. Die Bilder sind nicht »schön«,aber sie sind richtig, und sie stellen nicht »Regie-Einfälle« dar sondern Aussagen, die zum Thema gemacht werden. Ein Beispiel: wenn der Schauspieler, der den Angestellten spielt, in ein Automatenbuffet kommt und, weil er kein Geld hat, den Kauenden markieren muß – so wird hinter dieser Komik etwas sehr Grausiges sichtbar, nämlich eine gesellschaftliche Situation, die geändert werden muß. Der Vergleich mit Chaplin drängt sich auf. Und in der Tat: auch dieser Film wäre undenkbar ohne das geniale Vorbild einer Komik, die nicht um ihrer selbst willen da ist, sondern um Kritik zu üben und Zustände anzuklagen.
SEIFENBLASEN ist manchmal ein lustiger, manchmal ein bitterer, ja sogar böser Film; er ist stilistisch durchaus nicht einheitlich, und nicht immer ist es gelungen, das auszudrücken, was der Regisseur, der zugleich sein eigener Drehbuchautor war, konsequenterweise ausdrücken wollte. Aber er besitzt eine Eigenschaft, die im Bereich der Avantgarde immer seltener geworden ist: er hat Humor – jenen Humor nämlich, der aus der Erkenntnis kommt und den wir deshalb so hoch einschätzen, weil er nicht nur dem Gelächter dient sondern: einer Idee.
Hans Sahl: Seifenblasen
Die neue Weltbühne (Prag), Nr. 22, 30.5.1935