Nach dem Militärputsch in Chile am 11. September 1973 mussten tausende Chilenen ihr Land verlassen. Unter ihnen waren junge Autoren und Filmschaffende, die später im Exil beiderseits der deutschen Grenze lebten und an zahlreichen DEFA-Filmproduktionen zum Thema beteiligt waren. Repressionen des Pinochet-Regimes und das Alltagsleben der in der DDR lebenden Chilenen waren wiederholt Gegenstand dieser Filme. Die Existenz dieser Werke ist in Lateinamerika weitestgehend unbekannt, die während der Diktatur verübten Menschenrechtsverletzungen, Emigration und Exil sind jedoch weiterhin höchst kontroverse Themen, vor allem in Chile. Was ist dieses Filmmaterial heute dort wert? #Peliculas Escondidas# ist eine filmische Reise zwischen Zeiten und Orten. In Interviews mit Studenten, Filmkritikern, Künstlern in Berlin, Santiago, Buenos Aires und Puebla untersuchen Claudia Sandberg und Alejandro Areal Vélez die chilenischen DEFA-Filme als gelebte Geschichte und Teil dessen, was wir als unsere Gegenwart erfahren.
Frage: Was hat Sie motiviert, diesen Film zu machen?
Claudia Sandberg: Mein erste Reise nach Chile und Argentinien unternahm ich im Jahre 2012 mithilfe eines Stipendiums der DEFA-Stiftung. Ich wollte mit den chilenischen Filmen der DEFA arbeiten, aber ich wusste noch nicht, aus welchem Blinkwinkel ich sie betrachten sollte. Zu der Zeit, als ich in Chile war, haben das Goethe-Institut und die Cineteca Nacional de Chile in Santiago eine DEFA-Filmreihe organisiert, an der auch ich teilnahm. Nach einigen Vorführungen kamen Leute zu mir und fragten mich, wo sie diese Filme bekommen könnten, um sie im Unterricht einsetzen zu können. Und mir wurde in diesen Augenblicken klar, dass die Filme hier in Chile ein zweites Leben, eine neue Verwendung finden könnten. In Argentinien traf ich einen politisch engagierten Regisseur, dem ich von diesem Erlebnis berichtete. Das war Alejandro. Er hatte sofort die Idee, zusammen einen Film über dieses Thema zu machen.
Was waren Ihre Erwartungen, als Sie die DEFA-Filme in Chile, Mexiko, Argentinien und Deutschland aufführten? Waren Sie über die Reaktionen des Publikums überrascht?
Alejandro Areal Vélez: Wir wussten wirklich nicht, was passieren würde, was für ein Publikum wir erwarten konnten, ob überhaupt jemand auftauchen würde … Interessanterweise (oder auch nicht) kamen die meisten Leute zu Aufführungen, die nicht in Chile stattfanden. In Argentinien, im Museo del Cine, hatten wir zwei Veranstaltungen, zu denen eine Menge Leute kamen, die erstaunt waren und sich mit den Figuren der Filme DIE SPUR DER VERMISSTEN und BLONDER TANGO identifizieren konnten. In Mexiko hatten die Studenten einen sehr wachen Blick.
Claudia Sandberg: Mich hat erstaunt, wie viele verschiedene Gruppen sich für die Filme interessierten; Studenten, ehemalige Emigranten, junge und ältere Leute. Am meisten überrumpelte mich die Reaktion einer Klasse chilenischer Studenten, die nicht darauf vorbereitet waren, mit Filmmaterial konfrontiert zu werden, das unverhohlen linkspolitisch ist. Der Schock, den die Filme bei ihnen auslöste, war spürbar.
Wie erlebten die Protagonisten selbst die Aufführungen? Wie haben sie sich in dieser historischen Wiederbegnung gesehen?
Alejandro Areal Velez: Ich würde sagen, es war eine Mischung aus Stolz und Ergriffenheit, Teil dieser Geschichte(n) gewesen zu sein. Die Begegnungen haben auch gezeigt, dass das Thema der Emigration noch immer aktuell ist.
Claudia Sandberg: Fast alle Beteiligte, die wir kontaktiert hatten, waren bereit, mit uns zu sprechen und haben sich dafür viel Zeit genommen. Ihr tägliches Leben in der DDR hatte viel mit dem zu tun, was und wen sie darstellten. Eine schöne Erinnerung, die wir vom Filmen mitnahmen, war, als sich Álvaro und Sergio den Kurzfilm COPIHUITO anschauten. Man hat ihnen angesehen, dass sie davon bewegt waren, sich selbst und alte Freunde als Kinder wiederzuentdecken. Wir haben diese Momente glücklicherweise mit der Kamera einfangen können.
Interview des Filmkritikers Rudolfo Weisskirch anlässlich der Weltpremiere von »Peliculas Escondidas« beim Filmfestival Mar del Plata im November 2016