Eine Kleinstadt in der Slowakei 1942. Seit der Besetzung des »Sudetenlands« gelten auch hier die deutschen »Judengesetze«. Ihnen gemäß wird der Tischler Antonín von seinem Schwager Marcus Kolkotsky, einem Führer der slowakischen Nazi-Partei, mit dem er schon lange im Streit liegt, zum »arischen Verwalter« des Kurzwarenladens der jüdischen Witwe Lautmann bestellt. Doch während der Schwager und seine Gesinnungsgenossen sich die lukrativen Geschäfte unter den Nagel gerissen haben, verspricht der Laden, ganz im Gegensatz zu den Hoffnungen, die sich Antoníns Frau Evelyna macht, keinen Profit. Im Gegenteil: Die Witwe lebt seit langem von Almosen der jüdischen Gemeinde, und auch Antonín bezieht als »Arisierer« sein Gehalt fortan von ihr. Aus Mitleid und Sympathie für die alte Frau renoviert er deren Möbel. Als ihr die Deportation droht, will er sie verstecken. Doch die alte Witwe versteht gar nicht mehr, was um sie herum passiert. Verzweifelt betrinkt Antonín sich – mit tragischen Konsequenzen.
Wenn man in dürren Wortenden Handlungsablauf ungefähr skizziert, wird natürlich nicht unbedingt klar, was den Film zur erheiternden und erschütternden Tragikomödie macht und was ihm seine besondere humane Qualität verleiht. Man müßte Szene um Szene exakt schildern, das Milieu beschreiben, die Typen und Charaktere, mit denen man konfrontiert wird. Man müßte also das Drehbuch, das auf einer Novelle von Ladislav Grosman beruht, abschreiben, denn den Film zeichnet vor allem aus, daß er bis ins kleinste Detail überlegt, durchdacht, ausgefeilt ist. Jede Nuance der Handlung, jede charakteristische Geste, jeder Satz des Dialogs hat hier sein bestimmtes Gewicht, seine Bedeutsamkeit für das ganze Werk. Kader und Klos haben nichts dem Zufall überlassen. Es gibt keine überflüssige Szene, keine dekorative Ausschmückung, jedes Steinchen der Handlung ist genau eingepaßt, ist vorbedacht. Jede Figur in diesem Film ist psychologisch zutreffend. Im Ablauf des Films offenbart sich immer deutlicher, eindringlicher das Wesen, die Lebensart, der Charakter der beiden Hauptpersonen. Es sind vollblütige Menschen, fern von jeglichen Klischees. So klar die Wurzel allen Übels, aller Angst, Not und Sorge der Faschismus ist, so wenig erlauben sich Kadar und Klos Schwarzweißmalerei. Dadurch erhält ihr Film die Wirkungskraft einer Parabel, die weit über die kleine tragische Episode und auch über den historischen Anlaß hinausgeht. […] In der schlichten, simplen Parabel vom GESCHÄFT IN DER HAUPTSRASSE steckt die Wahrheit für und über eine ganze Generation, für Millionen Menschen unter Hitler, seien sie Henker oder Opfer, Schuldige, Mitläufer oder Unschuldige gewesen.
Jan Kadar und Elmar Klos gehören nicht mehr zur »jungen Generation«. Sie sind schon seit Jahrzehnten beim Film tätig, seit 1952 bilden sie ein Team. Sie hatten es aber nicht leicht, ihren kritischen Realismus durchzusetzen. […] Kennzeichnend für die Auffassung von Kadar und Klos ist eine Äußerung von Klos: »Auf der einen Seite steht die Tendenz, das Leben auf eine einfache Formel zu reduzieren, auf der Gegenseite eine komplizierte Realität. Wir mußten neuerlich die alte Wahrheit entdecken, daß es nicht nur gute und schlechte Menschen gibt, sondern daß jeder gute Mensch auch einen Teil Böses und jeder böse Mensch auch etwas Gutes in sich trage.« Dieser Einsicht konsequent folgend haben Kadar und Klos ihren Film DAS GESCHÄFT IN DER HAUPTSRASSE in dreijähriger Arbeit geschaffen. Er nötigt uns tiefe Bewunderung ab. Er gehört zu den wenigen Filmen, die einen nicht nur rein emotionell rühren oder spontan ergreifen, sondern Nachwirkung haben in Herz und Hirn. Ein Film, der zum notwendigen Nachdenken darüber anregt, was aus dem Menschen unter antihumanen Bedingungen werden kann.
Kurt Habernoll: Das Geschäft in der Hauptstraße
Film (Velber), Nr. 7, Juli 1965
Gezeigt wird der Faschismus von einer schäbigen und zugleich lächerlichen, wenn auch nicht minder grausamen Seite, im Provinziellen und Kleinbürgerlichen, im schikanösen Terror der kleinen Amtswalter, in der korrupten Bereicherung der kleinen Nutznießer, in der Verlockung der unpolitisch ruhigen Bürger und kleinen Leute zum Mitmachen. In einem Ereignis am Rande wird das menschenzerstörende Wesen des Faschismus exemplarisch verdeutlicht und total erfaßt. Und subtile Nuancen, atmosphärische Dichte, Feinheit der Charakterisierung von Menschen und Situationen geben dem Film seine erschütternde Intensität.
Eine Tragikomödie haben ihn seine Schöpfer genannt. Gewiß, manche Episoden sind komisch und grotesk, und der »Arisator«, von Jozef Kroner meisterhaft gespielt, ist schon recht komisch, ein verträumt-vertrödelter, unbeholfener Mensch. Aber wie tragisch ist sein Schicksal, in das die Angst ihn treibt. Und wenn die alte taube Jüdin, nicht minder meisterhaft von Ida Kaminska, der großen Schauspielerin des Jüdischen Theaters in Warschau, dargestellt, ein Wort plötzlich begreift: Pogrom … dann ist die ganze Tragödie des verfolgten jüdischen Volkes in einer kurzen Szene vollständig und unmittelbar.
Helmut: Ullrich: Kritischer Blick auf die Welt von gestern
Neue Zeit (Berlin/DDR), 25.9.1966
An diesem meisterhaften Film besticht vor allem die große emotionale Kraft, deren Wirkung sich kein Zuschauer entziehen kann. Man fragt nach den Gründen. Ein Grund wird darin liegen, daß das Thema, der Faschismus und seine Mitschuldigen und zugleich Opfer, an einem ganz kleinen Ausschnitt jener schrecklichen Vergangenheit behandelt wird. Die Tragödie des Tono Brtko, seine an sich geringe Schuld mit den unmenschlichen Folgen, ist im Vergleich zum großen historischen Geschehen eine Mikrostruktur, die durch den Film analysiert wird. Das aber gerade bleibt für den Zuschauer ganz und gar miterlebbar. Die große Tragödie bleibt in dieser kleinen überschaubar. Sie berührt unmittelbar und tiefer, als es eine Darstellung des unendlichen Leids in großen Dimensionen vielleicht je vermöchte, die wir wohl erschüttert registrieren, aber letztlich nicht mehr voll erfassen würden. […]
Über andere Merkmale ließe sich streiten, so z. B. darüber, ob es sinnvoll war, der Macht des Faschismus kein rechtes Gegengewicht gegenüberzustellen. Aber solche Fragen treten in den Hintergrund vor der Eindringlichkeit, mit der die Verführung der »kleinen« Leute durch den Faschismus analysiert wird – eine humanistische Warnung, die durchaus nicht allein historisch aufgefaßt werden darf.
[Adolf] Sckerl: Der Laden auf dem Korso
Neuer Tag (Frankfurt/Oder), 18.10.1965