Hamburg um 1930: Um der Armut zu entkommen, ist die Proletariertochter Erika zur Heirat mit dem reichen Baron von Hammen bereit. Bei der pompösen Verlobungsfeier erkennt sie aber, dass die Klasse, die ihr Überleben sichern soll, moralisch verderbt und todgeweiht ist. Verzweifelt sucht sie den Freitod im Hafen, wird jedoch vom Schiffsbauzeichner Igor daran gehindert, sich in die Elbe zu stürzen. Sein Bekenntnis zum Leben macht Erika neuen Mut. Bald ist sie von Igor schwanger. Bei der Entbindung kommt es zu Komplikationen, doch dank eines Kaiserschnitts verläuft am Ende alles gut. Glücklich schmieden die Eltern Zukunftspläne für den Neugeborenen, indem sie sich vorstellen, wie »Baby« als Seemann auf großer Fahrt das Leben meistern wird.
Schon als Führer des Moskauer Jüdisch-Akademischen Künstler-Theaters hat dieser Granowsky seine Filmeignung erwiesen.
Die Präzision in der Handhabung des technischen Apparats, die Zusammenfassung der Schauspieler zur Gemeinschaft, vor allem aber jene wunderbare Vielfalt im Bewegungs-Ablauf offenbarte den schöpferischen Sinn fürs Bildhafte. […]
Eine Expedition ins kaum noch erforsche Gebiet des Tonfilms ist da unternommen worden. Und, sieh an, in dieser Zeit des vom Wort eingeengten – anstatt bereicherten – Films hat einer das Visuelle im Film wiederentdeckt.
Hans Feld: Alexej Granowskys Tonfilm
Film-Kurier, Nr. 96, 25.4.1931
Dieser Film kommt geistig und künstlerisch aus Bereichen, die die kapitalistische deutsche Filmproduktion bisher ängstlich gemieden hat. Er baut auf die Pionierarbeit der französischen Surrealisten, die, wie der Name sagt, mit ihrem künstlerischen Ausdruck über die Wirklichkeit hinausgehen wollen. Praktisch gesagt, wollen sie nicht nur das darstellen, was das Auge von der sinnlich erfaßbaren Welt aufzunehmen vermag, sondern auch jene inneren Bilder zur Anschauung bringen, die aus dem Unterbewußtsein im Traum aufsteigen oder uns beim Anblick wirklicher Dinge ergänzend oder kontrastierend vor das innere Auge treten. Also wie der Name der Richtung sagt, nicht nur die reale Welt, sondern die überreale Welt, die Seelenphotographie zu verwirklichen ist das Ziel. […]
Es ist zu begrüßen, daß sich ein Mann und eine Gesellschaft gefunden haben, konsequent in filmisches Neuland vorzustoßen, dramaturgisch und technisch. Denn neben den dramaturgisch kühnen Experimenten steht eine kultivierte Photographie, deren Bildausschnitte ebenfalls neue Ziele stecken. Allerdings ist nicht zu leugnen, daß dieser Film doch allzusehr theoretisch konstruiert ist, daß mehr vom wissenschaftlichen Begriff her als aus unmittelbarer Empfindung heraus geschaffen wurde. Die Arbeit ist weit mehr die Leistung einer psychologischen Chirurgie als einer dichterischen Schau. Die Kälte ihres Verstandes schlägt zumeist die Ansätze frei und dichterisch gestaltender Phantasie im Keime nieder. […] Wenn wir trotzdem zu dem Film stehen, der in seinen Lösungen sicherlich problematisch ist, so deshalb, weil es heute wichtiger ist, ein vorwärtstreibendes Experiment zu wagen, als einen durchschnittlich anständigen Film zu machen.
Br. [= Heinrich Braune]: Kühnes Experiment
Hamburger Echo, 16.5.1931
Bei dem Granowsky-Film #Das Lied vom Leben# protestierte zunächst einmal ein Sanitätsrat im Interesse der Volksgesundheit gegen Szenen aus einer gynäkologischen Klinik, weil deren quälende Einzelheiten die Frauen von einer lebensrettenden Operation abschrecken könnten. Das war schon seltsam genug, aber die Kammer folgte dem. Doch in der zweiten Instanz, bei Herrn Ministerialrat Seeger, scheint davon nicht mehr viel die Rede gewesen zu sein. Denn hier wird das Verbot hauptsächlich damit begründet, daß der Film »eine Herabwürdigung der Ehe« bedeute. Das ist beste alte Terminologie. Doch der Genauigkeit halber sei hinzugefügt, daß auch die erste Instanz kaum etwas Andres gemeint hat. […]
Es ist heute nicht am Platze, sich mit einem Film ästhetisch auseinanderzusetzen, den die Zensur der Öffentlichkeit vorenthält. Weil er aber den Wenigsten nur bekannt ist, müssen hier ein paar Worte über Form und Inhalt gesagt werden. Zunächst, das LIED VOM LEBEN ist, trotz des russischen Regisseurs, kein Kampffilm, ganz ohne soziale Schlachtmusik, ganz fern dem, was man heute Zeitkunst nennt. Gemessen an den verwegenen Experimenten der pariser Surréalisten wirkt Granowskys Film ziemlich zahm, gemessen jedoch an der deutschen Tonfilm-Produktion bildet er unbestreitbar vorgerückteste Avantgarde. […] Der Film ist eine lyrische Rhapsodie vom Aufgang und Verklingen des Lebens, ein jauchzendes Bekenntnis zur Natürlichkeit, ein Hymnus auf die Welt, die so viel besser ist als die Gesellschaft, die der törichte Mensch sich als Gefängnis errichtet hat. Grade diese Partien werden von den Versen Mehrings stark getragen.
Und worin, zum Teufel, soll eine Herabwürdigung der Ehe zu erblicken sein? Gewiß, in den einleitenden Bildern, dem ersten Meisterstück Granowskys als Filmregisseur, wird der bürgerlichen Gesellschaft heftig zugesetzt. Aber es kommt doch darauf an, von welcher Ecke und wie opponiert wird. Diese Opposition bleibt sachlich: sie klagt nicht an, sie zeigt auf. Es gibt keine jener Frivolitäten und Zoten, von denen jede Tonfilm-Operette wimmelt, diese Opposition sticht gegen die Unvernunft und Öde bourgeoiser Lebensform. Wir blicken auf eine Hochzeitstafel, das heißt, wir sehen zunächst nur den kauenden, mahlenden, schmatzenden Mund jedes der Teilnehmer. Dann erst wird sichtbar, wie die Frackmänner fein tun, wie die Damen läppisch kokettieren. Ein Hogarthscher Einfall. Doch dann biegen sich die Kerzen langsam und vertropfen, und vor schwarzem Hintergrund sitzen grinsende Totenskelette um den Tisch. Der Spuk entschwindet, der Saal ist wieder hell, es geht zum Tanz. Eine scheußliche alte Megäre, im Lehnsessel zwischen Silberleuchtern wie auf dem Katafalk, läßt sich den Hof machen, ein Kavalier tastet einer jungen Dame den üppigen Rückenausschnitt ab, der glückliche Bräutigam, ein Jammergestell, aus dessen trüben Augen die Erinnerung an eine nicht ganz sicher abgelaufene Quecksilberkur wehklagt, versucht die Eröffnung ehelicher Vertraulichkeiten, und die junge Braut rafft die Schleppe und läuft, wie von tausend Hunden gehetzt, davon, und unsre heißen Glückwünsche begleiten sie. Wie gesagt, die Zensoren nennen das »Herabwürdigung der Ehe«. Möglich, daß sich einer der Herren Beisitzer, der aus einer verunglückten Hochzeitsnacht eine Weltanschauung gemacht hat, dadurch touchiert fühlt. Wer aber wagt die Behauptung, es sei eine Verunglimpfung von Ehe und Familie, wenn ein junges Weib, grade rechtzeitig noch, einem Gatten entrinnt, der Lues oder Tabes in das amtliche registrierte Bett trägt? Wo bleibt da der protestierende Repräsentant der Volksgesundheit? Granowskys Film feiert Leibesgesundheit, Bewegung und Sport; Liebesbund junger wohlgewachsener Menschen, also: gute Rasse.
Carl von Ossietzky: Ufa verbietet die Konkurrenz
Die Weltbühne, Nr. 12, 24.3.1931